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für unsere Versorgung arbeiten und hofften, das noch lange tun zu können. Kronacker ist ein kleiner Familienbetrieb. Wenn jemand infiziert würde wäre es schnell vorbei mit den regelmäßigen Kisten, alle ab in Quarantäne. Uns war mulmig geworden.

      Das Arbeiten für die Versorgung wird endlich gebührend gewürdigt. Bei ihr in Eimsbüttel, so erzählte Gabi, wurde gestern Abend um 22 Uhr zum ersten Mal von den Balkonen geklatscht: für all diejenigen, die den Betrieb am Laufen halten.

      Nicht nur bei der Vorstellung vom kollektiven Applaudieren traten mir schon vor zehn Uhr die Tränen in die Augen (Ihr wisst, ich weine schnell), auch als ich am frühen Morgen die Bilder von den Armeelastwagen sah, die in der Nacht aus Bergamo herausgefahren waren mit Särgen an Bord. Die Toten können nicht mehr in der Stadt kremiert werden, die Zahl ist zu groß, sie werden in ihre Heimatorte gebracht. „Piango“ schrieb ich schnell auf Federicas Account, wo ich den kurzen Handyfilm gefunden hatte, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Wie so oft in letzter Zeit war ich mir unsicher, was von meinen Gefühlen in Italien ankam.

      Endlich habe ich es geschafft in Piobbico anzurufen. Es war wider Erwarten fast beruhigend. Und wie meistens, wenn man das italienische Leben liebevoll zuspitzt, hatte es auch einen komischen Aspekt.

      In Piobbico – meinem italienischen Heimatort – ist noch niemand wissentlich infiziert, außer dem Bürgermeister, denn der kommt herum, und zwei jungen Krankenschwestern, letztere asymptomatisch. Piobbico liegt im Tal, auf allen Seiten umgeben von Bergen. Die Mentalität ist annähernd so verschlossen wie die geographische Lage und die Piobbicesen reisen wenig. Seit Jahren, was sag ich seit Jahrzehnten, wollen mich einige von ihnen in Daudieck besuchen. Jedes Frühjahr, jeden Sommer und jeden Herbst reden wir darüber – doch sie werden nie kommen und das wissen wir alle ganz genau. Nun, mit Corona wird die Standorttreue durchaus zu einem Vorteil. Allerdings herrscht komplette Ausgangssperre, bereits die zweite Woche, und das ist nicht einfach, besonders für ItalienerInnen, deren Leben sich gewöhnlich nur zum Schlafen in den eigenen vier Wänden abspielt. Kein Spazierengehen, keine Bar- und Restaurantbesuche, man verlässt das Haus jetzt nur noch zum Einkaufen oder mit einem Passierschein für einen Arzttermin.

      Meine Güte, sage ich eine Spur listig zu Maria, die bereits seit Januar zu Hause sitzt mit gebrochenem Fußgelenk, was macht denn dann Giulio, der fährt doch bestimmt nach wie vor mit seiner Ape in den Bergen herum? Ape, das sind diese dreirädrigen fahrbaren Untersätze, praktisch die italienischen Tuktuks.

      Nun ja, antwortet sie, ganz so einfach ist es im Moment nicht. Der Maresciallo hat ihren Mann gleich angehalten (streng): Was machst du denn da, Giulio, das geht aber jetzt nicht mehr. Darauf Giulio (Mann vom Lande): Ich habe meine Hühner, den Hund und die Katze oben auf dem Berg zu versorgen. Trotzdem, so der Maresciallo (bereits etwas weniger streng, er stammt nicht aus dem Dorf): Vorschrift ist Vorschrift. Darauf Giulio (bauernschlau): Dann sollen die Tiere also verhungern?

      Besagte Katze, die das Tierensemble auf dem Berg gerade verstärkt, ist übrigens meine. Wer besitzt jetzt eine außerordentliche Fahrerlaubnis? Worauf ist meine Katze konditioniert seit Giulio ihr Futter bringt?

      In den Bergen der Marken scheint zumindest einiges noch so wie vorher, das beruhigt mich ungemein. Gleichzeitig hat die Provinz Pesaro-Urbino die höchste Infiziertenrate in der ganzen Region, so das Resultat einer Testung nach dem Zufallsprinzip diese Woche. Die Zahl realisiert sich jedoch in den größeren Orten an der Küste, weniger im Hinterland. Das Krankenhaus in Urbino, unser 25 Kilometer entferntes Bezugskrankenhaus (in dem ich auch einmal einen Tag in der Notaufnahme verbrachte, andere Geschichte), hat, ich konnte es kaum glauben, gegenüber Coronainfizierten geschlossen. Die sollen nämlich an die Küste.

      „Leader of the democratic world“ titelt heute die New York Times über Angela Merkel und ihre Rede an die Nation. Donnerwetter, unsere Kanzlerin, zeigt flotte Führungsqualitäten. Wenn ich noch an ihre Neujahrsrede denke, die fand ich völlig blutleer. Danach hab ich zu Sigrid gesagt, die Frau ist völlig ausgebrannt, wenn sie nicht so pflichtbewusst wäre hätte sie längst abgedankt. Ihre Ansprache gestern hingegen war phantastisch. Schreibt sie eigentlich selber? Kann ich mir kaum vorstellen bei ihrem Programm. Den Menschen, die einen solchen Text verfassen, sollte man mal vom Balkon applaudieren, mindestens fünf Minuten.

      Die Sprache war einfach, wirklich an jeden und jede gerichtet, ohne jemals platt zu sein, an sich schon hohe Kunst. Es kamen keine Beweihräucherungen vor über unser tolles Land oder was wir schon alles geschafft haben. Es wurde nicht gedroht – das überlässt sie anderen. Was eine Demokratie von einer Diktatur unterscheidet erklärte die Kanzlerin noch einmal prägnant: nicht Zwang oder gar Gewalt, sondern geteiltes Wissen und gemeinsames Engagement.

      Mir fällt auf, dass viele, und damit meine ich nicht nur Rechte, jetzt mehr Durchgreifen fordern. In einer bedrohlichen Situation möchte man offensichtlich gerne drastische und strenge Maßnahmen sehen. Der Staat soll Stärke zeigen, der Laden laufen, die Bevölkerung spuren. Letzteres ist glücklicherweise unrealistisch. Unsere Antwort auf die Corona-Situation kann nur ein Prozess sein und der muss sich zurecht ruckeln.

      Genauso wenig wie ich zu einer krisengeschüttelten Patientin sagen könnte „Nun ändern sie mal flugs ihr bisheriges Verhalten, dann geht es ihnen gleich besser!“ könnte man einem Volk urplötzlich einschneidende Änderungen verordnen. Das richtige Timing sollte scharf im Auge behalten werden. Widerstände wollen berücksichtigt sein. Für den Erfolg muss der Prozess in Gang gehalten werden, hartnäckig, mit Geduld, Einfühlung und dem Ziel fest im Blick.

      Ebenso wie eine Pandemie befinden sich übrigens auch Psychotherapien in einem Wettlauf gegen die Zeit. TherapeutInnen müssen zügig arbeiten angesichts von Suizidrisiken, aber auch wegen anderer möglicher Gefahren, körperlicher zum Beispiel. Wenn die Lösung zu lange dauert würden sich möglicherweise irreparable Schäden einstellen. PsychotherapeutInnen arbeiten mit dem Risiko im Hinterkopf, dass es schief gehen könnte, und sie setzen alles dran, damit das nicht passiert. Wir therapieren am Rande der Gefahrenlinie auf einem schmalen Grat. Das passende Timing wird immer wieder neu ausgeklügelt: Was geht grade? Was geht noch nicht? Was muss jetzt unbedingt sein? Und was kann man noch aufschieben?

      Nicht dass die Kanzlerin Psychotherapeutin wäre, zu unser aller Glück ist Angela Merkel Physikerin und Politikerin, aber gestern kam sie mir psychologisch ziemlich gewieft vor.

      Liebe treue LeserInnen,

      Ich hoffe, ich bin heute nicht zu polemisch geworden, ich will ja nicht fertige Meinung(en) verbreiten, sondern Tiefe, Bewegung und Zusichkommen fördern …

      Gebt mir gerne Rückmeldung (über die bisherige, gar nicht so wenige, gar nicht so knappe, freu ich mich doll!)

      Alles Liebe von Gabriele

      ITALIENISCHE VERHÄLTNISSE

      20.3.2020

      In letzter Zeit träume ich viel. An den Traum der letzten Nacht erinnere ich mich deutlich. Unerklärlicherweise, ich hatte ja mein Handy nicht wieder aufladen können (Laden ist geschlossen) und nahm daher an, dass der Vertrag ausgesetzt sei, bekam ich vorgestern Mittag eine SMS. Es kam mir vor, als sei die Nachricht aus dem All zu mir durchgedrungen – noch mehr als ich den Absender sah, meinen Freund Alberto auf Levanzo, einer kleinen Insel vor Sizilien. Auch dass er meine deutsche Handynummer kannte schien mir wie ein Wunder. Prompt träumte ich in der darauf folgenden Nacht vom Schwimmen in türkisfarbenen sizilianischen Meeresbuchten und Wanderungen durch windzerzauste Pinienwälder. Es war herrlich, mein ganzer Körper lebte auf. Und ich befand mich ganz weit weg von Angst und Bedrohung.

      Oh wie schön ist Levanzo! Gestern hätte dort das wichtigste Dorffest San Giuseppe stattgefunden, San Giuseppe ist der Schutzpatron der Insel. Normalerweise wird dann gemeinsam an langen Tischen auf der Dorfstraße gegessen und alle, die sich gerade auf der Insel befinden, sind zu gegrilltem Fisch und Wein eingeladen. Alberto zündet danach auf den Felsen überm Meer den großen Reisighaufen an, welchen er in den Tagen zuvor kunstvoll aufgeschichtet hat. Seit vielen Jahren ist das Feuer seine Aufgabe, auf deren Erfüllung er, das würde er natürlich nie zugeben, ein bisschen stolz ist. Vorletztes Jahr konnte ich mich von der Pracht

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