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Leben. Nehmen.. Tullio Forgiarini
Читать онлайн.Название Leben. Nehmen.
Год выпуска 0
isbn 9783401809151
Автор произведения Tullio Forgiarini
Жанр Учебная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
Immer und immer wieder. Das gefällt dir total gut. Hätten wir Zuhörer, würden die uns für total bekloppt halten. Aber niemand kann uns hören. Sandra auch nicht, die hört Robbie Williams. Ganz laut, wie immer. Und dabei rast sie wie eine gesengte Sau. Auch wie immer. Und sie heult. Du kannst sehen, wie sie sich ständig Tränen und Rotze aus dem Gesicht wischt.
Mach dir keine Gedanken, sie heult nicht wegen dir. Das tut sie selten, sehr selten. Nur ein bisschen manchmal, wenn sie sentimental wird. Aber meistens, wenn sie dicht ist. Jetzt weint sie wegen Steve, wegen diesem erbärmlichen Wichser … Neun, zehn Wochen – das ist so der Durchschnitt, dann haben ihre Macker genug von Sandra …
Was? Was stört dich? Dass ich deine Mutter beim Vornamen nenne? Das machst du doch auch! Nie sagst du Mutter. Oder Mama. Du sagst immer nur Sandra. Und blöde Kuh … Oder willst du nicht hören, was all die Typen mit ihr gemacht haben? Du? Ernsthaft, du? Und was ist mit den ganzen Pornos, die du dir reinziehst? Lächerlich, aber gut … Zurück zu Sandra. Spätestens nach zehn Wochen fängt sie an, ihren Mackern auf den Sack zu gehen … zickig, hysterisch, eifersüchtig … Zehn Wochen sind gar nicht mal so schlecht, wenn man bedenkt, wie Sandra drauf ist … Steve war noch einigermaßen in Ordnung, hat nicht viel geredet. Auch wenn er oft versucht hat, dir vorzuschreiben, was du zu tun hast …
Er ist sogar mal mit uns Kart gefahren … Jedenfalls war er besser als der, der uns zum Klauen mitgenommen hat. Wie hieß der noch mal? Nico, oder? Weißt du noch? Wir mussten an der Straßenecke Schmiere stehen. Mit dem Handy in der Hand, falls jemand kommt … Ist aber nie passiert. Wie oft war das? Drei-, viermal? Danach sind sie immer ins Casino, Sandra und er. In Nennig. Einmal haben sie uns mitgenommen, aber wir mussten im Auto warten. Bis drei Uhr, oder? Jetzt sagst du nichts mehr. Glotzt einfach nur so aus dem Fenster, schaust dir jedes einzelne Kuhdorf an, durch das wir fahren. Du hörst, wie deine Mutter ihre Nase hochzieht. Du wünschst dir, sie wär tot oder wenigstens nicht mehr da …
Frau Molitor hat ganz rechts gesessen. Und in der Mitte Herr Schanck, dein Klassenlehrer. Eigentlich magst du den Schanck. Um sie herum all die anderen. Frau Corinne, Herr Bartholmé, den ihr schwule Sau nennt, und die Steines … sorry, Nathalie, ganz links. Der Rest in der zweiten Reihe. Du kennst sie nicht mal alle beim Namen. Du hast sie dieses Jahr auch noch nicht so oft gesehen …
Sandra hat eine Viertelstunde auf sich warten lassen. Dann hast du sie endlich kommen hören. Die hohen Absätze haben einen Megakrach gemacht. Du hast dich mal wieder geschämt. Auch wie sie angetanzt ist: Minirock, die ganze Farbe im Gesicht … und die lächerlich überdrehte Stimme …
Du hast die Tischplatte vor dir angestarrt …
»Du sollst mich anschauen! Nicht den Tisch!«, hat der Schanck gesagt.
Das hast du dann auch gemacht, aber nicht lang. Der Schanck hat sowieso die meiste Zeit mit deiner Mutter geredet. Und die hat mal wieder ihr Ich blase dir einen, wenn du nett zu mir bist-Lächeln aufgelegt. Das kann sie unglaublich gut, deine Mutter …
»Wissen Sie, warum Sie hier sind?«, hat der Schanck gefragt und deine Mutter hat genickt.
»Das ist doch schlimm, oder etwa nicht?«, hat die verfickte Molitor gemeint.
Sandra hat weiter schön brav genickt.
Ob du was dazu zu sagen hättest, wollten sie alle wissen. Du hast getan, was du immer tust, wenn du nicht klarkommst. Nichts hast du gesagt, die Tischplatte fest im Blick.
Du sollst den Leuten ins Gesicht schauen, wenn sie mit dir reden, hat die Molitor gesagt. Das hast du dann gemacht, zumindest ein paar Sekunden lang. Wenn du nichts zu sagen hast, sollst du wenigstens noch mal erzählen, was an diesem einem Dienstagmittag passiert ist.
»Aus deiner Perspektive«, hat Frau Corinne gesagt.
»So, wie du es erlebt hast«, hat Nathalie ergänzt. Als würdest du nicht wissen, was Perspektive bedeutet.
Dann hast du es halt noch mal erzählt. So, wie ich es dir schon so oft erzählt hab. Nicht so, wie es war … sondern so, wie es hätte sein müssen …
Daniel. Er ist der größte Arsch der gesamten Hauptschule. Er kann es einfach nicht lassen, seit Wochen immer wieder das Gleiche. Dass du keinen Vater hast oder gleich mehrere. Deine Mutter? Über die ist schon das ganze Viertel drübergerutscht … So hast du es natürlich nicht erzählt, obwohl Daniel genau das gesagt hat. Obwohl du weißt, dass Daniel recht hat. Gerade weil du weißt, dass er recht hat … Daniel! Was für ein Spast … Vor dem Rausschmeißkommando hast du nur gesagt, dass er nicht damit aufgehört hat, über deine Mutter herzuziehen. Du warst erleichtert, dass keiner gesagt hat: herziehen? Wie, herziehen?
Du hast ihn dann am Kragen gepackt, weil er nicht aufgehört hat, Scheiße zu labern. Hast ihn so lang am Schal gezogen, bis er seine Fresse gehalten hat. Der Sack hat einfach nicht aufgegeben. Du hast nicht mal mitbekommen, dass er fast nach hinten weggekippt ist. Du hättest ihn niemals fallen lassen, hast du gesagt … Er ist ganz blau im Gesicht geworden. Hat sich vor Panik fast in die Hose gekackt. Glaubst du, er hat was draus gelernt? Fehlanzeige – am nächsten Tag hat er einfach weitergemacht. So dumm … ist doch nicht normal, oder?
Dann hat es dir gereicht und du hattest eine Idee. Die Megaidee … Na ja, eigentlich wars meine, so wie alle deine Ideen. Aber das würde dir niemand glauben. Also hast du eben gesagt, es wär deine gewesen …
Du hast Rui überredet, sich mit Daniel auf dem Fußballplatz zu treffen. Hinter der Umkleide. Du hast erklärt, wie du am Tag zuvor den Baseballschläger in der Regenrinne versteckt hast und dann rein zufällig bei ihrem Treffen aufgekreuzt bist. Sie waren gerade dabei, Pornos auf dem Handy zu schauen, als Daniel gleich wieder angefangen hat, über deine Mutter herzuziehen. Dass sie ihr gerade dabei zusehen würden, wie sie Schwänze lutscht. Ob du denn mitschauen willst.
Du hast nichts gesagt, hast bloß den Schläger aus seinem Versteck geholt. Daniel hat natürlich nichts gerafft. Dumm, wie er ist, hat er nur weitergelacht. Und dann hast du einfach draufgehauen. Nein, nicht einfach so. Du hast aufgepasst, dass du ihn nicht am Kopf erwischst. Nur die Arme, die Beine und den Rücken. Das Handy hast du ihm abgenommen. Du hattest keinen Bock, es danach auch noch bezahlen zu müssen. Und allzu fest hast du auch nicht draufgehauen. Es hat nie was geknackt oder so. Zwanzig Mal. Genau zwanzig Mal. Du hast mitgezählt, laut mitgezählt. Du hast Daniel gesagt, er soll auch mitzählen. Nach dem zwanzigsten Mal hast du den Schläger weggeworfen und noch mal mit dem Fuß nachgetreten. In den Bauch. Nicht zu fest. Du wolltest die Eier erwischen, ging aber daneben.
Das hast du auch nicht gesagt, das mit den Eiern. Das hören die Lehrer nicht so gern. Du hast aber gesagt, dass es dir leidtun würde. Das stimmt zwar nicht, aber das hören sie gern. Und nach Dreiborn willst du auch nicht, hast du gesagt.
Dann hat deine Alte wieder mit Flennen angefangen, als hätte sie auf ihren Einsatz gewartet. Du hast auf den Tisch geschaut und sie heulen lassen, hast dich nicht mal gewehrt, als sie deinen Arm festgehalten hat. Eigentlich hasst du es, wenn sie das macht, aber es wär nicht gut gekommen, wenn du sie weggestoßen hättest.
Sie haben euch rausgeschickt. Sandra hat weitergeheult. Du hast nichts gesagt, hast dich nur weiter fremdgeschämt. Sandra ist es mit dir bestimmt genauso gegangen. Nach einer halben Stunde hat man euch wieder reingerufen.
Du hast gleich kapiert, dass du nicht nach Dreiborn musst. Alle haben streng geschaut. Je strenger sie schauen, desto milder die Strafe.
Erst mal hat die Molitor eine Moralpredigt über Respekt gehalten und darüber, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt und so einen Scheiß … Sie hat gesagt, dass du eine letzte Chance bekommst. Die allerletzte. Und dass du dich für die Auszeit anmelden sollst. Das ist eine Sonderklasse, wo du erst mal für sechs Wochen hinmusst. Mit extra geschulten Lehrern. Die können dir helfen … deinen Weg zu finden. Oder so ähnlich. Damit musst du aber einverstanden sein. Sandra auch. Die war sehr einverstanden. Hat geweint, gelacht, geschnieft …