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winkte ihr zu.

      2

      Signora Orsini hatte das Abendessen schon bereitet und war dabei den Tisch zu decken. Ihr Mann würde heute nicht zum Essen kommen. Er hatte noch einiges für den Bischof zu erledigen und blieb dann über Nacht in Venedig. Ihre ältere Tochter Valentina ging ihr zur Hand.

      „Deine Schwester müsste doch eigentlich schon hier sein, oder?“

      Valentina sah auf die große Uhr, die in der Küche an der Wand hinter dem Esstisch hing.

      „Eigentlich schon, wenn der Bus pünktlich war. Aber vielleicht war er das nicht, oder sie hat noch jemanden getroffen. Vielleicht hat sie ja auch diesen Job bekommen.“

      „Welchen Job?“, fragte Signora Orsini erstaunt.

      „Ach, das hatte ich ganz vergessen dir zu sagen. Sie rief mich an, ich glaube das war kurz nach dem Ende ihres Unterrichts und erzählte mir ganz aufgeregt, dass man ihr einen Job angeboten hätte.“

      „Was? Das hättest du mir sagen müssen. Was soll das denn sein? Sie ist doch erst fünfzehn.“

      Signora Orsini war völlig aufgelöst.

      „Irgendeine Promotion Sache für Parfüm, wie ich es verstanden habe.“

      „Was? Kannst du das auch in deiner Muttersprache ausdrücken? Du weißt, dass ich solche ausländischen Begriffe nicht leiden kann.“

      „Ach Mamma, das heißt nun einmal so, außerdem ist es ja nichts Schlimmes, wenn sie sich ein bisschen Taschengeld dazu verdient.“

      „Das sehe ich völlig anders. Zudem bekommt sie ja Taschengeld.“

      „Was soll sie denn mit den paar Euro anfangen? Ihre Freundinnen bekommen alle viel mehr.“

      „Etwas mehr Demut wäre wohl angebracht. Wir bekamen damals gar nichts.“

      „Das ist ja auch schon hundert Jahre her. Heute ist das alles anders“, erwiderte Valentina genervt. „Denk doch nur einmal daran was ein neues Handy kostet."

      „Wir hatten damals keins und haben auch gelebt. Außerdem muss man ja nicht jedes Jahr ein neues haben.“

      „Dann gehörst du aber nicht dazu. Dann wirst du nicht beachtet, höchstens ausgelacht“, schrie Valentina, knallte den letzten Teller auf den Tisch und verschwand in ihrem Zimmer.

      Sie war es leid immer nur zu hören, wie es damals war. Damals ist vorbei. Sie lebten heute. Estella rebellierte offen dagegen, während sie es immer schluckte. Zumindest bisher.

      Signora Orsini stand einen Moment wie angewurzelt da. Solch einen Ausbruch hatte sie von ihrer Tochter noch nicht erlebt. Dann schüttelte sie den Kopf und sah auf die Uhr.

      In diesem Moment hörte sie, wie die Haustüre aufgeschlossen wurde. Das musste Estella sein. Wurde ja auch Zeit.

      Aber es war nicht Estella, es war Patricio, ihr Sohn.

      „Patricio, du bist schon da?“

      „Ja, wir hatten heute früher Schluss.“

      „Dann lege ich dir noch ein Gedeck auf. Hast du Estella gesehen?“

      „Nein, warum?“

      „Sie ist noch nicht zurück und der Bus müsste schon längst dagewesen sein.“

      „Vielleicht hatte er Verspätung. Ich gehe mir nur noch die Hände waschen.“

      „Könntest du nicht nochmal kurz zur Bushaltestelle gehen und nachfragen?“

      „Och Mamma…na gut.“

      „Danke, mein Junge.“

      ***

      Patricio Orsini machte sich missmutig auf den Weg zum Busbahnhof. Er war froh heute einmal etwas früher zu Hause zu sein und hatte obendrein einen Bärenhunger. Seine Mutter machte sich zu viel Sorgen. Estella ist fast sechzehn Jahre alt. In diesem Alter sind die Mädchen heute zu Tage schon etwas anders, etwas reifer als früher. Das sollte Mutter auch langsam einsehen. Seine Schwester war kein kleines Kind mehr.

      Am Corso Chiggiato traf er einen Mitarbeiter der ATVO, der Verkehrsgesellschaft dieser Provinz.

      Signor Pelozzi war Busfahrer und wohnte in der Via Don Orione, einer Parallelstraße der Via Santo Giuseppe, in der die Orsinis zu Hause waren.

      Er hatte seine Schicht beendet, rauchte eine Zigarette und unterhielt sich noch etwas mit ein paar Kollegen.

       „Buona sera, Signor Pelozzi.“

      „Ah, Patricio. Was treibt dich denn hierher?”

      „Könnten Sie mir sagen, ob der Bus aus Portogruaro Verspätung hat?“

      „Nein, der war pünktlich.“

      „Sind Sie sicher?“

      „Sicher bin ich sicher. Den vorletzten habe ich selbst gefahren. Warum fragst du?“

      „War meine Schwester Estella mit im Bus?“

      „Nein, sie ist nicht mitgefahren.“

      „Wann kommt den der nächste?“

      „Der ist auch schon hier. Der kam fünfzehn Minuten nach mir hier an und das war auch der letzte Bus aus Portogruaro für heute.“

      Patricio war bleich geworden.

      „Danke Signor Pelozzi.“

      Langsam drehte er sich um und ging nach Hause. Nun machte sich langsam bei ihm doch ein Gefühl der Beklemmung breit. Hoffentlich war seiner Schwester nichts zugestoßen.

      Kaum hatte er die Haustüre aufgeschlossen, als seine Mutter schon mit fragendem Blick aus der Küche gestürzt kam.

      „Und?“

      Er schüttelte langsam den Kopf.

      „Sie war nicht im Bus und der letzte ist auch schon durch.“

      Signora Orsini gaben die Beine nach und Valentina musste sie stützen.

      „Ihr ist bestimmt etwas passiert“, jammerte sie, „mein armes Kind. Was machen wir denn nun? Wenn doch nur euer Vater hier wäre.“

      „Wir gehen zur Polizei.“

      „Ja, das machen wir.“

      Sie straffte sich, trocknete vor dem Spiegel noch ihre Tränen ab und dann verließen sie alle drei das Haus in Richtung Stazione der Carabinieri, die nur wenige Minuten entfernt lag.

      ***

      Maresciallo Dorio sah sichtlich genervt auf seine drei Besucher, die ihm gegenüber am Schreibtisch saßen. Vor allem, dass die Signora permanent in Tränen ausbrach, konnte er überhaupt nicht vertragen. Hin und wieder blickte er auf seine Uhr um so deutlich zu machen, dass seine Zeit wertvoll und nicht unbegrenzt sei.

      „Signora Orsini“, unterbrach er schnell, als sie sich wieder einmal die Nase putzen musste, „Sie wollen eine Vermisstenanzeige aufgeben, nur weil Ihre Tochter nicht rechtzeitig zum Abendessen erschienen ist? Sie wird bestimmt noch kommen.“

      „Aber sie war doch nicht im Bus“, rief Valentina dazwischen.

      „Wie hätte sie denn sonst von Portogruaro nach Hause kommen sollen?“

      „Wer weiß, vielleicht als Anhalter?“

      „Das würde sie nie tun“, begehrte die Signora auf.

      „Woher wollen Sie das wissen? Sie ist immerhin fast sechzehn Jahre alt. Und nun entschuldigen Sie mich, ich habe noch viel zu tun.“

      „Das heißt, Sie wollen nichts unternehmen?“

      „Doch, aber erst, wenn Ihre Tochter in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht auftaucht. Dann können Sie wiederkommen.“

      Dorio stand auf und öffnete die Tür.

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