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Auf der Suche nach dem Märchenprinzen. Denise B. Frei Lehmann
Читать онлайн.Название Auf der Suche nach dem Märchenprinzen
Год выпуска 0
isbn 9783749794027
Автор произведения Denise B. Frei Lehmann
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Der Griff nach dem Rettungs-Anker
Im Frühsommer, fünf Monate nach Charlottes Herzstillstand lud Konrad Koch Vivienne und die Personalassistentin samt ihren Partnern zu einem gemeinsamen Abendessen zu sich nach Hause ein. „Passt Ihnen Samstag in zwei Wochen?“ wollte er von seinen Mitarbeiterinnen wissen. „Danke für die Einladung, doch ich muss zuerst meinen Partner fragen. Er ist momentan ziemlich beschäftigt mit dem Aufbau seiner Setzerei“ erwiderte Vivienne wenig begeistert. Dass Richard und sie mehr oder weniger getrennt lebten, verschwieg sie bislang ihrem Chef, weil sie fand, das sei ihre Privatsache. Nach wie vor stand Richard als Begleiter zur Verfügung, wenn sie nicht allein zu irgendwelchen Anlässen gehen wollte. „Bis mein Nachfolger eingearbeitet ist, übernehme ich diesen Job halt noch“ witzelte er jeweils, wenn Vivienne ihn wieder mal um seinen Begleitservice bat. „Ich komme mit, aber nicht mit Freuden. Wie Du weisst, mag ich die Kochs nicht besonders. Zudem habe ich keine Lust, den ganzen Abend da zu sitzen und mir Geschichten aus der Firma Matter anzuhören. Und warum laden die uns überhaupt ein?“ wollte er noch wissen. „Keine Ahnung, aber gut, kommst du mit“, bedankte sich Vivienne, die ebenfalls erstaunt über die Einladung war.
Der Abend bei Kochs entpuppte sich angenehmer, als erwartet. Die Gastgeberin gab sich alle Mühe und das von ihr servierte Filet im Teig war vorzüglich. Trotzdem fühlten sich die Gäste in der Gesellschaft des vom Schicksal gebeutelten Ehepaars unwohl, vor allem auch, weil der gegenseitige Umgang zwischen den Ehepartnern eher unterkühlt und distanziert zu sein schien.
„Zu Ihrer Information, wir wagen räumlich einen Neuanfang und werden nächstens in eine andere Wohngegend umziehen. Hier erinnert uns alles zu sehr an Charlotte und das schmerzt uns jeden Tag aufs Neue“ liess Konrad Koch seine Gäste während des Desserts wissen. „Das würde mir wahrscheinlich auch so gehen“ meinte Vivienne kurz angebunden, weil es sie je länger je mehr befremdete, was ihr normalerweise zurückhaltender Chef alles aus seinem Privatleben preisgab.
„Vor Charlottes Unglücksfall erzählte er kaum etwas über sich oder seine Familie und irgendwie war mir dies auch recht so. Plötzlich sucht mein Chef nun meine Nähe und erzählt mir Dinge, die ich so nie von ihm erwartet hätte“ meinte Vivienne auf dem Nachhauseweg zu Richard. „Ich weiss nicht, was du hast. Er muss sich halt mit jemandem austauschen, nachdem was er alles erlebt hat. Auf jeden Fall war‘s ein netter Abend und das Essen schmeckte ausgezeichnet.“
Tatsächlich zog die Familie Koch wenig später in eine neue Wohnung und ihr Chef wirkte nach dem Umzug um einiges gelassener und zufriedener. Nachdem das neue Zuhause eingerichtet war, lud Konrad Koch sein Führungsteam zu einem Mittagessen ein, worüber vor allem Fridolin Tobler erstaunt war. „Noch nie in der bald vierzehnjährigen Zusammenarbeit habe ich erlebt, dass der Koch irgendjemanden aus der Firma in seine Wohnung eingeladen hätte. Ob ihn das Unglück seiner Tochter geläutert hat? Er ist in letzter Zeit um einiges ruhiger und zugänglicher geworden. Selbst wenn es Probleme mit dem Lohnsystem gibt, reagiert er gelassener.“ ‚Hauptsache das Arbeitsklima hat sich verbessert, warum auch immer‘, überlegte Vivienne, während sie ihrem Kollegen zunickte. Auch ihr war nicht entgangen, dass sich ihr Chef nach dem Wohnortwechsel um einiges umgänglicher verhielt und lernte ihn so von einer völlig neuen Seite kennen.
Nachdem sich das positive Arbeitsklima über drei Monate hinweg hielt, gab es für Vivienne keinen Grund mehr, sich um eine neue Stelle zu bemühen. Wohl gab es Momente, in denen sie gewisse Animositäten ihres Chefs nicht verstand, doch da diese nichts mit ihr zu tun hatten, nahm sie sich vor, darüber hinwegzusehen. Natürlich war ihr bewusst, dass Konrad Koch Tag für Tag alle Kraft zusammennehmen musste, um mit der neuen Familiensituation klar zu kommen. Einmal gestand er ihr unter Tränen ein, dass er aus verschiedenen Gründen nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen war und sich dies nun durch Charlottes Unglück noch verstärkt hätte. „Ich verstehe Gott nicht, wenn es ihn überhaupt gibt, warum er so etwas zulässt. Charlotte war so eine hoffnungsvolle und fröhliche junge Frau. Warum musste ausgerechnet sie einen Herzstillstand erleiden? Nie klagte sie über Herzprobleme. Warum nur muss sie jetzt für den Rest ihres Lebens als Schwerstinvalidin leben?“ „Dies ist Charlottes Schicksal und Sie als Vater müssen das wohl lernen zu akzeptieren. Sie können für den Moment nichts anderes tun, als ihr beizustehen“, versuchte sie ihn zu trösten. Dann wollte sie noch wissen: „Wie geht Ihre Frau mit der Situation um?“ „Keine Ahnung, wie meine Frau damit umgeht, wir sprechen nicht darüber. Und warum muss meine Tochter so ein grausames Schicksal überhaupt durchleben, haben Sie dazu auch eine Antwort?“ fragte Konrad Koch, der alles andere als begeistert über Viviennes Auslegung der traurigen Situation war. Erstaunt blickte ihn Vivienne an, was ihn irritierte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er seiner Mitarbeiterin gar nicht so viel aus seinem Privatleben Preis geben wollte. Er wandte sich rasch ab und verliess ihr Büro, um in seines zu gehen. Nachdem er an seinem Pult Platz genommen hatte, überlegte er, dass er bis zum heutigen Moment noch nie so offen mit jemandem über seine wahren Gefühle gesprochen hatte. Früher als Kind und in seiner Jugendzeit war er sehr emotional veranlagt. Doch durch die Ehe mit Elena legte er jene Seite ab, weil sie Gefühlsduseleien nichts abgewinnen konnte. Der Umgang zwischen ihm und seiner Frau war eher rational, respektvoll und kumpelhaft, statt von grosser Nähe und Zärtlichkeit geprägt. Er liebte seine Frau, doch von der wahren, grossen Liebe, wie er sich diese immer mal wieder zwischen Mann und Frau vorgestellt hatte, konnte keine Rede sein. Grad jetzt, wo er ihre Nähe gebraucht hätte, wo auch er ihr gerne Nähe gegeben hätte, verhielt sie sich ihm gegenüber noch distanzierter und kühler.
Am anderen Morgen suchte Konrad Koch wieder Viviennes Nähe und erzählte ihr von einem Konzert, das er kürzlich besucht hatte. Es kam Vivienne langsam so vor, als würde er durch die persönlichen Gespräche mit ihr Lebenskraft tanken. Für die Personalchefin war es nicht neu, dass Menschen ihre Nähe suchten, um ihr Herz auszuschütten. Das gehörte zu ihrem Beruf und gerne half sie mit aufmunternden Worten oder Ratschlägen weiter. Doch dass nun ihr sonst so distanzierter Chef ihre Nähe suchte, überforderte sie, weil sie der Meinung war, dass er besser professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollte, um den schweren Schicksalsschlag zusammen mit seiner Familie zu verarbeiten.
Dass Konrad Koch immer mehr Viviennes Nähe suchte, fiel mit der Zeit auch anderen Mitarbeitenden auf. Vor allem die Assistentin des Unternehmensleiters, Irma Müller, flüsterte ihrer Kollegin während eines Firmen-Apéro augenzwinkernd und mit vorgehaltener Hand zu: „Was mit dem Koch los ist, sieht ein Blinder.“ „Ja was denn?“ fragte Vivienne arglos zurück. „Der ist in Sie verschossen, mein liebes Kind. Schade, gefällt er Ihnen nicht. Er könnte tatsächlich verborgene Qualitäten haben, die bis jetzt noch keiner wahrgenommen hat. Und wissen Sie, seine Frau ist doch etwas zickig und haben Sie gesehen, wie es in deren Wohnung aussieht? Wie in einem Museum.“ Tage zuvor besuchten Vivienne und Irma Müller das Stadtkino, um sich den Film „Nicht ohne meine Tochter“ anzusehen. Ihr Chef bekam dies mit und da das Kino direkt neben seiner Wohnung lag, passte er die beiden Damen nach der Vorstellung ab und lud sie spontan zu einem Glas Champagner ein. Seine Frau schien etwas irritiert darüber zu sein, liess ihren Ehemann jedoch gewähren. Irma Müller, eine kultivierte und vom Leben nicht gerade verwöhnte Deutsche, die sich und ihren kleinen Sohn allein durchbringen musste, nachdem ihr Mann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, musste man nichts vormachen. Durch ihre Lebenserfahrung besass sie einen Röntgenblick, dem nichts entging. So auch nicht, dass Kochs Wohnung kein gemütliches Zuhause war, sondern, wie sie es ausdrückte, eine sterile Museumsatmosphäre ausstrahlte. „Vielleicht kommt der Mann emotional zu kurz und ist deswegen immer so komisch drauf“ mutmasste die Geschäftsleitungsassistentin, während sie eines der Apéro-Häppchen in ihren Mund schob.
Vivienne bewunderte die grossgewachsene, kluge Deutsche mit Stil, Weitsicht und klarem Verstand, mit der sie sich nach deren Anstellung in der Chefetage etwas angefreundet hatte. Die Initiative hatte damals Irma Müller ergriffen, weil diese nach ihrem Eintritt rasch erkannte, dass Vivienne die einzige