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konnte, weil ich laut meinem nachbarschaftlichen Bewegungs-Guru falsch atmete. Gab es so etwas überhaupt?

      Nach geschätzten acht Kilometern waren wir wieder am Parkplatz. Mir war schon vor einer Weile die Puste ausgegangen. Ich unterdrückte ein Hecheln. Wer will schon schwächeln, wenn man sich gerade intensiv kennenlernt! Ich hielt mich benebelt am Auto fest. Jeff wirkte wie frisch geduscht. Gab’s das? Ich dachte bisher, dass sich unsere knapp sieben Jahre deutlicher bemerkbar machen würden. Typischer Fall von jugendlicher Überheblichkeit!

      Jeff hielt mir eine Flasche stilles Wasser entgegen und meinte lakonisch: „Weisheit ist die Anerkennung der eigenen Grenzen! Auch beim Sport!“ Ich nahm sie dankbar entgegen, wusste nicht so recht, was ich mit seiner Aussage anfangen sollte. „Sollen wir zu mir fahren, essen gehen oder möchtest du nach Hause?“

      Ich überlegte einige Sekunden. „Würde gern zu dir fahren. Ich möchte sehen, wie du wohnst!“

      „Ich liebe deine ehrliche Neugier. Im Leben sollte man immer neugierig bleiben, das hält jung und aufgeschlossen. Und man kann vom Zustand der Wohnung Rückschlüsse auf die darin lebende Person ziehen.“

      „Stimmt“, antwortete ich und fühlte mich ertappt.

      „Ich interessiere mich seit Jahren für Feng Shui.“

      „Ich kenne die dahinterliegende Philosophie“, nickte ich zustimmend.

      „Aber woher weißt du das?“

      „Ich gehe regelmäßig dienstags zu Sabia Consuela, die Weise Wissende. Wie schon in der Oper Turandot: Wage zu wissen oder Nessun Dorma.“

      „Du magst Opern?“, staunte Jeff.

      „Meine Großeltern mütterlicherseits versuchten mir, ihre Freude an altem Wissen und Können zu vermitteln.“

      An der Kreuzung bog er rechts ab. Wir fuhren durch den Crimson Millway, fuhren in eine Seitenstraße, hielten an. Jeff drückte auf einen Sender, der unter der Sonnenblende angebracht war. Das schmiedeeiserne Tor schob sich in eine Öffnung der Mauer. Die Einfahrt im Rundbogen vor dem Eingang war schwarz geteert. In der Mitte thronte ein plätschernder dreistöckiger Brunnen. Dieses Oktagon war aus hellem Muschelkalk, einem ursprünglichen Gestein, wie Mary mir mal erklärt hatte. Üppiger Farn rahmte ihn ein. Das Haus hatte über dem Eingang einen großen Überbau, der getragen wurde von jeweils drei weißen Steinsäulen, deren Enden zu Schnecken gerollt waren. Am Anfang der Treppen lagen rechts und links Löwenskulpturen. Sie sahen aus wie Ableger der berühmten Löwen von Delos. Oma Clara hatte mir mal vor Jahren erklärt, dass die Steinkünstler aus der griechischen Antike schon damals gewusst hatten, wie man Macht darstellte.

      An der Eingangstür hielt Jeff den linken Daumen vor ein winziges Gerät. Eine Sicherungsanlage, deren grelles Licht Jeffs Einzigartigkeit scannte. Die Tür ging mit einem Surren auf. Jeff beugte sich vornüber, bedeutete mir mit einladender Geste, dass ich eintreten sollte. Der Eingangsbereich war rechteckig. Auf einer antiken Kommode stand ein flaches Aquarium mit bunten Fischen: hauptsächlich Goldfische, zwischen denen ein schwarzer Schleierschwanz schwamm. Flächendeckende Spiegelwände zierten die Wände. An der Bildleiste hing der malerische Traum aller Träume. „Auguste Renoir!“, hauchte ich mit weitaufgerissenen Augen, während er mich ins Wohnzimmer führte. Schwarz-weiß dominierte, wobei Weiß die Oberhand behielt. Semiokulas, die Feng-Shui-Pflanze schlechthin, deren fleischige Blätter an langen Stielen wucherten. Kräftig und gesund ragten sie aus schwarzen chinesischen Lacktöpfen. Ich setzte mich beeindruckt auf seine Couch, ließ meinen Blick schweifen, nahm die interessanten Details auf: chinesische Kunstobjekte in beleuchteten Vitrinen, chinesische Kalligrafien an den Wänden. Fernöstliche Jadefiguren teilten sich den exponierten Platz mit kanadischer Eskimo-Kunst. Die Mischung war außergewöhnlich.

      Eine verspielte französische Kaminuhr aus Porzellan mit üppigen Goldverzierungen thronte über dem Kamin. Rechts und links auf dem Kaminsims standen weiße Marmor-Obelisken, die große Ähnlichkeit mit denen in Kairo, die neben der Sphinx standen, hatten. Die moderne Einrichtung, gepaart mit edlen, fast höfischen Antiquitäten, verliehen dem Wohn- und Esszimmer eine wohnliche Ausstellungsatmosphäre. Neben dem Kamin auf der Marmorsäule fiel mir die lebensgroße Skulptur eines Torsos auf. Sie sah aus, als ob sie aus Kupfer oder Bronze wäre. Vielleicht ein Modigliani? Nee, glaubte ich nicht. Der könnte nicht einfach so hier rumstehen, oder?

      Opa hatte mir mal in einem Kunstbuch gezeigt, dass man bei dieser Skulptur den Brustkorb wie Doppeltüren öffnen konnte. Man sah in den menschlichen Körper und dessen Anordnung innerer Organe, alles aus polierten Metallen, unglaublich detailliert. Ob die Skulptur und das Bild wohl echt waren? Es machte mich unruhig und nervös. Alles war so sauber, so aufgeräumt und roch betörend nach Vanille und Rose, dass ich glaubte, in einem Schloss, einer Galerie oder im Möbelgeschäft zu sein. Ich konnte riechen, Jeff achtete aufs kleinste Detail. Selbst die frischen Blumen, Callas mit weißen Lilien und Lederfarn, standen in Vasen in Küche, Wohn- und Esszimmer. Nichts zu wenig. Nichts zu viel. Hier gab es Klarheit, Ordnung und Schönheit.

      Hey? War das nicht auch mein Mantra? Haha, mein Zimmer ähnelte im Vergleich einer zugemüllten Hundehütte. Ich entschied: Jeff durfte niemals nach oben in meine Abstellkammer kommen. Da waren sie wieder, meine Minderwertigkeitskomplexe. Ich ging in seine Küche, die ein riesiges Fenster hatte. Beim Spülen konnte er in einen gepflegten Garten schauen. Nicht schlecht!

      „Darf ich fragen, warum deine Küche keine Griffe hat?“

      „Lustig, dass dir das auffällt. Den meisten Menschen entgeht dieses Detail. Nun, an den Griffen erkennst du, wie alt eine Küche ist. Hersteller verändern die Griffleisten.“

      „Aha, und das wolltest du bei deiner verhindern?“

      „Nein! Aber ich liebe Technik, Funktionalität und Originalität.“

      Was sollte ich dazu noch sagen! Aus dem Kühlschrank holte Jeff eine Flasche Moët, öffnete sie mit einem lauten Knall, schenkte ihn in die bereitgestellten Flöten ein. Ich beobachtete, wie er eine Drahtspirale aus rosa Glasperlen um den Fuß meines Glases wickelte. An seinem Glas waren die Perlen hellblau. Wir hoben das Glas, prosteten uns zwinkernd zu.

      „La Chaim, auf das Leben“, sagte Jeff. Er kam nah an mein Gesicht, beugte sich vor und hauchte einen zarten Kuss auf meine Wange. Seine Augen strahlten so hell, dass sie eine Sonnenfinsternis erzeugen konnten.

      „La Chaim“, erwiderte ich. „Warum hast du die Perlenspirale um mein Glas gelegt? Ist das auch ein Symbol?“

      „Nein. Damit kann man aber Gläser voneinander unterscheiden.“

      Wie vornehm! Ich kam mir ziemlich gewöhnlich vor. Jeff hielt mich am Ellbogen. Er führte mich ins Wohnzimmer auf die Couch zurück.

      „Möchtest du den Rest des Hauses sehen oder lieber hier sitzen bleiben?“

      Ich platzte vor Neugierde, denn mein Eindruck, meine Einschätzung von ihm hatten komplett danebengelegen. Ich zügelte diesmal meine Neugierde.

      „Vielen Dank, aber ich würde gern hier sitzen bleiben.“

      Er auch, das sah ich seinen Augen an. Jeff prostete mir zu.

      „Was ist los, schmeckt der Schampus vielleicht nicht? Du verziehst dein Gesicht.“

      „Doch, es ist nur, dass ich Champagner ohne süßen Likör nicht so wahnsinnig gern trinke!“

      „Entschuldigung, dass ich das einfach so angenommen habe. Die meisten Frauen lieben Champagner pur.“

      „Möglich, aber ich nicht.“ Bin ich wie andere?, dachte ich bissig. Oder schlich schon Mrs. Eifersucht von hinten auf der Bühne?

      „Was möchtest du denn?“

      „Hast du einen Himbeerlikör und einen Apfel?“

      „Einen Apfel?“, fragte er erstaunt. Jeff stand auf, ging in die Küche. Kurz darauf kam er wieder: „Habe zwei zu Auswahl, den grünen Delicious oder den Braeburn!“

      „Nehme den Braeburn. Danke! Wo kaufst du dein Obst?“, fragte ich interessiert.

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