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gesagt:

      Alkohol zum Beispiel ist die meistkonsumierte Substanz. Die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung von Alkohol ist in der Regel schleichend, kann Jahre, manchmal Jahrzehnte dauern. Die Betroffenen haben sehr häufig ein Gespür dafür, wann es eigentlich zu viel ist mit dem Alkohol.

      Bei Kokain sieht das ganz anders aus: die Konsumenten haben über einen manchmal monate- und sogar jahrelangen Konsumzeitraum das Gefühl, die Droge beherrschen zu können. Dabei ist es sehr schnell, meist nach fünf- bis sechsmaligem Konsum, schon andersherum: die Droge übernimmt die Herrschaft. Kokain ist die hinterlistgste Droge, die ich kenne. Und wohl diejenige mit dem ausgeprägtesten Schadenspotenzial, weil sie so oft konsumiert wird von Menschen in Führungspositonen - und deren Entscheidungen und Sichtweisen dann sehr korsettiert sind.

      Denn alle Substanzen zwängen den Menschen in das Korsett ihres Wirkprofils. In der Folge kann sich dann ein Gefühl des Überlegenseins einstellen, des Alles-schaffen-könnens, ein Gefühl, Kraft stünde ohne Ende zur Verfügung und man sei hellwach und top-leistungsfähig über viele Stunden (z.B. Kokain, Amphetamine).

      Oder man nimmt alles aus der Umgebung und in seinem eigenen Körper als besonders schön und intensiv wahr, ist die Gelassenheit in Person und blendet Negatves einfach aus (z.B. Ecstasy, Benzodiazepine)

      Dass solcherlei Interpretaton der Realität im privaten wie beruflichen Umfeld zu sehr suboptmalen Handlungen führen kann, dürfte schon aufgrund dieser wenigen Beschreibungen klar sein.

      „Rückfall“

      Wir arbeiten nicht mit dem Begriff Rückfall. Das will ich gerne erklären.

      Jedes Wort hat allgemeine „Bedeutungsinhalte“ und natürlich persönliche Färbungen. Bei „Rückfall“ denken wohl die meisten von uns daran, dass etwas erneut auftritt, das besser nicht erneut auftreten sollte: die Deutung, das Gefühl bei diesem Wort ist negatv, unangenehm. Bei abhängig kranken Menschen bedeutet das Wort meist: „zurück auf Anfang; alles bis hierhin, das war alles umsonst, wir sind wieder da, wo wir gestartet sind, ich habe versagt.“ Selbst Therapeuten denken und reden so. Und klassifizieren den Rückfall gern als Versagen des Klienten, Versagen der Therapie oder alles zusammen. Das ist nicht nur falsch, sondern auch alles andere als hilfreich.

      Denn einen „Rückfall“ kann es nur geben nach einer Phase, in der alles soweit in Ordnung war. Bei einer chronisch-rezidivierenden Erkrankung gehört der „Rückfall“ sozusagen per Definiton zum Krankheitsverlauf dazu, ist also nichts Besonderes.

      Würde man jetzt alles wieder auf Anfang schrauben, wäre diese Phase des Erfolgs verloren, nicht mehr wichtg, zunichte gemacht… was erdreisten wir uns da eigentlich? Da hat ein Mensch es geschafft, über einen gewissen Zeitraum seiner Erkrankung ein Schnippchen zu schlagen, gesund zu leben, vielleicht mit Mühen verbunden, mit Anstrengung und schmerzendem Kopf - aber er hat es geschafft. Und das soll jetzt nichts mehr Wert sein? Dieses wunderbare Gefühl, nicht mehr unter dem Zwang der Substanz zu stehen, das war nichts wert? Das ist es nicht wert beachtet, geschätzt und hochgehalten zu werden?

      Dazu kommt: schon eine Weinbrandpraline wird als Rückfall bezeichnet, schon eine Pille oder eine Line. Was ist das für eine blöde Philosophie, die ganze tolle Teile einer Biografie, eine Erfolgsgeschichte, einem einzigen Moment opfert?

      Nein.

      Wir schauen uns das sehr genau an, in jedem einzelnen Fall. Und dann wird in Ruhe nachgesehen, nachgespürt und bewertet: Steht eine erneute Konsumphase bevor? Befindet sich der Klient schon in einer solchen? Wie war die Situaton des Konsums? Hätte er z.B. auch mehr konsumieren können, tat es aber nicht?

      Es gibt in dieser Situaton immer eine ganze Menge Fragen zu klären, zu Gewichten und erst dann, wenn man alles inclusive Zeitablauf berücksichtgt hat, dann kann man sagen, ob's eine Konsumphase ist oder nicht. Und das ist die einzige Entscheidung bei der chronischrezidivierenden Abhängigkeits-Erkrankung: Konsumphase oder Clean-Phase.

      Oft genug entscheiden wir dann zusammen mit dem Klienten: kein Grund zum Jubeln, über diesen Konsum hat sich niemand gefreut, das war überflüssig, gefährlich und doof, ein Moment punktueller Blödheit. Aber dann schauen wir wieder nach vorn und betrachten zum Beispiel, was diesen Moment nicht zu einer Konsumphase hat werden lassen…“Stärken zu stärken,“ sagte einmal der Kollege Hirschhausen als er noch richtg gut war, „ist so viel sinnvoller, als an seinen Schwächen herumzudoktern.“2

      Ich will gerne zugeben, dass diese Art des Umgangs sehr viel Erfahrung voraussetzt und, noch wichtger, wohl nur dann wirklich erfolgreich bewältgt werden kann, wenn Akupunktur eingesetzt worden ist: die Redukton des Suchtdrucks ist ein Segen.

      Und ich will gerne zugeben, dass diese Sichtweise in erster Linie dem abhängig Kranken selbst und seiner Helferseite nützlich, sinnvoll und einfach richtg ist. Angehörigen, die unter einem erneuten Konsum leiden, es mitansehen müssen, es nicht verstehen können, die die mühsam wieder aufgebaute Stabilität mit voller Wucht zusammenkrachen sehen - Angehörigen in solchen Situatonen müssen wir zugestehen, dass sie allen verstehenden Sichtweisen zunächst mit Unverständnis, Zorn und Verzweiflung entgegen treten.

       Der abhängig kranke Mensch ist schwer krank.

      „Du siehst doch, wohin das führt, hör' doch auf mit dem Mist.“ Das bekommt ein Suchtkranker oft zu hören. Aber Abhängigkeit, Sucht, ist eine schwere Krankheit. Das wissen viele gar nicht. Sie wissen nicht, dass man eine Krankheit nicht einfach loswerden kann, wenn man sie nicht mehr haben will. Sagen Sie mal einem Diabetker, einem Rheumatker, einem Allergiker, einem Schilddrüsenkranken oder einem Krebskranken, er solle doch einfach damit auffiören, er wisse doch, dass ihm das nicht gut tut.

      „Selbst schuld“ sind zwei Worte, die abhängig kranke Menschen so oft zu hören bekommen, dass sie's selbst glauben. Rauchenden Lungenkrebspatenten, fußamputerten Diabetkern und querschnittsgelähmten Reitern schlägt da deutlich mehr Verständnis und Respekt entgegen.

      Alkoholkranken und anderen abhängig kranken Menschen, die nicht unverzüglich „zur Vernunft kommen“, wird sogar von Therapeutenseite vorgehalten: „Du bist noch nicht tef genug unten, um's zu kapieren. Du musst wohl noch eine Runde drehen.“.

      Es ist Menschen verachtend, jemanden absichtlich immer weiter abrutschen zu lassen und sein inneres und äußeres Gefüge damit zu demolieren. Es ist eine Illusion zu glauben, jemand habe ausgerechnet dann die größten Kräfte, wenn seine Krankheit gerade die schwersten Schäden anrichtet.

      Andererseits: selbstverständlich wird niemand gezwungen, Alkohol zu trinken, als Gesunder Pillen zu schlucken, Heroin zu injizieren, Kokain zu schnupfen oder mit dem Tabakrauchen anzufangen. All das sind freiwillige Entscheidungen. Dummerweise sind alle davon überzeugt, die Angelegenheit im Griff zu behalten.

      Wir Menschen halten uns auch angesichts ganz offensichtlicher Gefahren oft für unverwundbar. Jugendliche erst recht. Niemand hat in diesem Alter die Endlichkeit des eigenen Lebens vor Augen, auch als Erwachsene können uns Klimakatastrophe, Umweltverseuchung und Asteroiden nichts anhaben.

      Die Millionen-Mega-Cites Istanbul und San Francisco liegen in Gebieten, die mit Sicherheit von verheerenden Erdbeben betroffen sein werden und Fukushima findet immer nur bei den anderen statt. Wir leben mit dem Risiko, es bleibt oft nichts anderes übrig. Aber das verleitet eben auch zu riskanten Entscheidungen, die dann zu Krankheiten führen, die wir so gar nicht haben wollen. Wobei das Trinken eines oder auch mehrerer Biere oder eines Glases Wein absolut nicht als riskante Entscheidung gilt.

      Alle abhängig kranke Menschen unterliegen zwei meist zu wenig beachteten Krankheitsmerkmalen: dem Craving und der Ambivalenz.

      Craving

      Während eine „normale“ Krankheit regelmäßig Abwehrmechanismen im Menschen in Gang setzt, durch Medikamente oder Operatonen beeinflussbar oder heilbar ist und eigentlich immer durchgehend den Wunsch nach Besserung und Genesung auslöst, macht die Suchtkrankheit etwas anders: sie erzeugt gnadenloses Verlangen nach dem Stoff, der krank macht und krank hält.

      Das ist das Craving, der Suchtdruck, die Giftgeilheit. Das ist keine „Art

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