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werden von jeder Volksklasse verachtet und gehaßt. Wenn ein Struldbrugg geboren wird, hält man dies für ein böses Vorzeichen. Man kann ihr Alter erfahren, indem man die Register um Rat fragt, die jedoch nicht über tausend Jahre hinaus geführt sind oder vielfach durch bürgerliche Unruhen zerstört wurden. Die gewöhnliche Art, ihr Alter zu berechnen, aber besteht darin, daß man sie fragt, an welche Könige oder große Personen sie sich erinnern können, und daß man dann die Geschichte nachschlägt. Dies Verfahren ist untrüglich, denn der letzte Fürst, an den sie sich erinnern, hat seine Regierung vor ihrem achtzigsten Lebensjahre nicht begonnen.

      Sie boten mir den scheußlichsten Anblick, der mir jemals vorgekommen ist; die Frauen waren aber noch furchtbarer anzusehen als die Männer. Neben den Entstellungen des Alters zeigten sie im Verhältnis zu ihren Jahren eine furchtbare Totenfarbe, die ich nicht beschreiben kann, und unter einem halben Dutzend erkannte ich bald die ältesten, obgleich der Unterschied ihres Alters nicht mehr als ein oder zwei Jahrhunderte betrug.

      Der Leser wird mir sehr gern glauben, daß mein Wunsch eines fortdauernden Lebens auf Erden sehr herabgestimmt wurde. Ich schämte mich herzlich der angenehmen Visionen, die ich mir gebildet hatte, und dachte mir, kein Tyrann könne einen so schmerzhaften Tod erfinden, daß ich ihn nicht einem solchen Leben vorziehen möchte. Der König hörte alles, was zwischen mir und meinen Freunden bei dieser Gelegenheit vorgegangen war, und hatte die Güte, mich hierüber zu necken. Er wünschte, ich könnte ein paar Struldbrugg in mein Vaterland senden, um unser Volk gegen die Todesfurcht zu schützen; dies war aber, wie es schien, durch die Grundgesetze des Königreichs verboten, sonst hätte ich gern die Lasten und die Kosten des Transportes auf mich genommen.

      Ich mußte zugestehen, daß die auf die Struldbruggs bezüglichen Gesetze des Königreichs auf den allerbesten Vernunftgründen beruhten und daß jedes Land unter ähnlichen Umständen zu demselben Verfahren gezwungen werden würde. Da nämlich Geiz die notwendige Folge des Greisenalters ist, so müßten diese Unsterblichen zuletzt die Eigentümer des Vermögens der ganzen Nation werden und sich dadurch die Regierungsgewalt verschaffen, die sie aus Mangel an Fähigkeiten nicht ausüben könnten, so daß der Untergang des Staates die Folge sein müßte.

      Elftes Kapitel

      Der Verfasser verläßt Luggnagg und segelt nach Japan. Von dort kehrt er auf einem holländischen Schiffe nach Amsterdam und von da nach England zurück.

      Ich habe geglaubt, mein Bericht über die Struldbruggs könne dem Leser einige Unterhaltung gewähren, weil er etwas Ungewöhnliches enthält. Ich erinnere mich wenigstens nicht, je etwas Ähnliches in irgendeiner Reiseschilderung, die mir in die Hände gekommen ist, gelesen zu haben. Habe ich mich getäuscht, so muß es zu meiner Entschuldigung dienen, daß Reisende, die dasselbe Land beschreiben, häufig bei denselben Umständen verweilen müssen, ohne den Tadel zu verdienen, sie hätten von ihren Vorgängern abgeschrieben.

      Es herrscht ein reger Handelsverkehr zwischen diesem Königreich und dem Kaisertum Japan. Somit ist es wahrscheinlich, daß die japanischen Schriftsteller etwas von den Struldbruggs berichtet haben. Mein Aufenthalt in Japan aber war so kurz, und ich war mit der Sprache so gänzlich unbekannt, daß ich nicht imstande war, mich danach zu erkundigen. Ich hoffe jedoch, die Holländer werden nach dieser von mir gegebenen Notiz neugierig und fähig sein, meinen unvollkommenen Bericht zu erweitern. Seine Majestät hatte mich oft gebeten, eine Stelle an seinem Hofe anzunehmen, erkannte aber bei mir den festen Entschluß, in mein Vaterland zurückzukehren, und hatte darauf die Gnade, mir die Erlaubnis zur Abreise zu erteilen und mich mit einem eigenhändig geschriebenen Empfehlungsbrief an den Kaiser von Japan zu beehren. Seine Majestät schenkte mir ferner vierhundertvierundvierzig große Goldstücke (die ganze Nation findet viel Vergnügen an gleichen Zahlen) und einen roten Diamant, den ich in England für elfhundert Pfund Sterling verkaufte.

      Am 6. Mai 1709 nahm ich von Seiner Majestät und allen meinen Freunden einen feierlichen Abschied. Der König war so gnädig, mir eine Leibwache bis nach Glanguenstald, dem königlichen Hafen an dem südwestlichen Teile der Insel, zu stellen. Nach sechs Tagen war ein Schiff nach Japan segelfertig, worauf ich fünfzehn Tage auf dieser Reise zubrachte. Wir landeten in einer kleinen Hafenstadt mit Namen Xamoschi, die am südwestlichen Teile von Japan liegt; die Stadt ist auf der westlichen Spitze erbaut, wo eine schmale Meerenge nordwärts in eine Bucht führt, an deren nordwestlichem Teile sich die Hauptstadt Jedo erhebt. Beim Landen zeigte ich den Zollbeamten meinen Brief des Königs von Luggnagg an Seine Kaiserliche Majestät. Sie kannten das Siegel, das so breit war wie meine Hand. Auf diesem war ein König dar gestellt, der einen lahmen Bettler von der Erde aufhebt. Als die Beamten der Stadt von meinem Briefe gehört hatten, empfingen sie mich wie einen Staatsminister, versahen mich mit Wagen und Dienern und ließen mich bis Jedo verpflegen, wo ich eine Audienz erhielt und meinen Brief überreichte. Dieser wurde mit vielen Zeremonien eröffnet und dem Kaiser durch einen Dolmetscher übersetzt, der mir auf Befehl Seiner Majestät die Erklärung gab: Ich möge meine Bitte aussprechen, was sie auch betreffe, sie werde mir aus Rücksicht auf seinen königlichen Bruder in Luggnagg gewährt werden.

      Dieser Dolmetscher war ein Beamter, der die Geschäfte mit den Holländern besorgte. Er erkannte bald aus meinen Gesichtszügen, daß ich ein Europäer sei, und wiederholte deshalb den Befehl des Kaisers auf holländisch, das er vollkommen beherrschte. Ich erwiderte, wie ich vorher beschlossen hatte: Ich sei ein holländischer Kaufmann, der in einem sehr entfernten Lande Schiffbruch gelitten habe; von dort sei ich zu Land und See nach Luggnagg gereist und endlich nach Japan eingeschifft worden. Ich wisse, daß meine Landsleute dort Handel trieben, und hoffe, durch diese Gelegenheit zur Rückkehr nach Europa zu kommen. Deshalb erbitte ich mir die kaiserliche Gunst, daß ich nach Nagasaki gebracht werde.

      Hier fügte ich auch noch eine andere Bitte hinzu: Aus Rücksicht auf meinen Beschützer, den luggnaggischen König, möge Seine Majestät die Herablassung zeigen, mir die meinen Landsleuten auferlegten Zeremonien zu erlassen, wonach sie das Kruzifix mit Füßen treten müßten. Ich sei ja, ohne Absicht Handel zu treiben, durch Unglück in dies Reich geraten. Als diese letzte Bitte dem Kaiser übersetzt worden war, schien er ein wenig erstaunt und äußerte: Ich sei der erste meiner Landsleute, der in diesem Punkte Bedenken geäußert habe; somit hege er Zweifel, ob ich ein wirklicher Holländer, und Verdacht, daß ich ein Christ sei. Wegen der Gründe, die ich angeführt, vorzüglich aber, um dem König von Luggnagg durch eine besondere Gunstbezeigung gefällig zu sein, werde er sich bei meiner besondern Laune nachgiebig erweisen. Die Angelegenheit müsse jedoch mit Geschicklichkeit ausgeglichen werden; seine Offiziere würden Befehl erhalten, mich passieren zu lassen, als sei dies durch Vergeßlichkeit geschehen. Er könne mir die Versicherung geben, daß meine Landsleute, die Holländer, mir unterwegs den Hals abschneiden würden, wenn sie dies Geheimnis entdeckten. Ich dankte durch meinen Dolmetscher auf die verbindlichste Weise für eine so außerordentliche Gunstbezeigung. Da nun damals einige Truppen nach Nagasaki marschierten, so erhielt der kommandierende Offizier Befehl, mich dorthin in Sicherheit zu bringen, und außerdem noch besondere Instruktionen im Hinblick auf das Kruzifix.

      Am 9. Juni 1709 war ich nach einer langen und verdrießlichen Reise in Nagasaki angelangt und machte bald Bekanntschaft mit einem holländischen Matrosen der »Amboyna« von Amsterdam, einem starken Schiff von vierhundertundfünfzig Tonnen.

      Ich hatte lange in Holland gelebt, weil ich früher in Leyden studierte, und verstand deshalb die Sprache. Die Matrosen erfuhren bald, woher ich zuletzt gekommen war; sie erkundigten sich neugierig nach meinen früheren Reisen und nach meinem Lebenslauf. Ich brachte deshalb eine Geschichte, so kurz und wahrscheinlich wie möglich, zusammen, verschwieg jedoch das meiste aus meinem Leben. Ich kannte in Holland viele Personen und konnte leicht Namen für Verwandte erfinden, von denen ich vorgab, sie beständen aus Leuten niederen Stande in der Provinz Geldern.

      Ich hätte dem Kapitän Theodor Vangrult sehr gern bezahlt, was er mir für die Reise nach Holland abgefordert haben würde. Als er aber erfuhr, ich sei Wundarzt, so begnügte er sich, mir die halbe Taxe der Überfahrt abzuverlangen unter der Bedingung, daß ich ihm in meinem Berufe diente. Ehe wir unter Segel gingen, wurde mir von einigen aus der Schiffsmannschaft die Frage vorgelegt, ob ich die erwähnte Zeremonie bereits ausgeführt hätte. Ich wich dieser Frage durch die allgemeine Antwort aus, ich habe den Kaiser und seinen

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