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zeigte ich ihr meinen blutigen Degen, wischte ihn ab und steckte ihn wieder in die Scheide. In dem Augen blick fühlte ich einen heftigen Drang, etwas zu verrichten, was ein anderer statt meiner nicht tun konnte; deshalb gab ich meiner Herrin zu verstehen, ich wünschte auf den Fußboden gesetzt zu werden. Nachdem sie dies getan, erlaubte mir meine Schamhaftigkeit nicht, mich weiter auszudrücken, als daß ich auf die Tür zeigte und mich mehreremal verbeugte. Die gute Frau verstand endlich mit vieler Mühe meinen Wunsch; sie nahm mich auf ihre Hand und brachte mich in den Garten, wo sie mich auf den Boden setzte. Ich ging ungefähr zweihundert Ellen seitwärts, winkte ihr, mir nicht zu folgen oder auf mich hinzusehen, versteckte mich zwischen zwei Sauerampferblättern und entledigte mich dort des natürlichen Bedürfnisses.

      Ich hoffe, der gütige Leser wird mich entschuldigen, daß ich bei diesen und ähnlichen Umständen so lange verweile; diese mögen niedrigen und kleinlichen Seelen als unbedeutend erscheinen, werden aber gewiß manchem Philosophen zur Erweiterung seiner Gedanken und seiner Einbildungskraft verhelfen, damit er sie zum Frommen des öffentlichen und Privatlebens benutze. Dies war nämlich mein einziger Zweck bei der Herausgabe dieser und anderer Reisebeschreibungen, worin ich hauptsächlich die Wahrheit als Ziel vor Augen hatte, ohne irgendeine Ausschmückung durch Gelehrsamkeit oder Stil zu erstreben. Der ganze Eindruck dieser Reise wirkte aber so tief auf meine Seele und ist mir genauso im Gedächtnis geblieben, daß ich keinen einzigen wesentlichen Umstand übergangen habe, als ich die Beschreibung entwarf. Nach einer genaueren Durchsicht habe ich jedoch einige Stellen von geringerer Wichtigkeit gestrichen, die sich in meinem Manuskript befanden, weil ich den Tadel befürchtete, ich sei ein langweiliger Kleinigkeitskrämer, ein Vorwurf, der Reisenden, und vielleicht nicht mit Unrecht, oft gemacht wird.

      Zweites Kapitel

      Die Beschreibung der Tochter des Pächters. Der Verfasser wird auf einen Jahrmarkt und von dort in die Hauptstadt gebracht. Die Begebenheiten auf dieser Reise.

      Meine Herrin hatte eine neunjährige Tochter, ein Kind mit ziemlichen Fähigkeiten für ihr Alter, denn sie wußte bereits sehr geschickt mit der Nadel umzugehen und ihre Puppe zierlich anzukleiden. Die Mutter aber und die Tochter bereiteten mir sehr bequem ein Nachtlager in der Puppenwiege; diese wurde in eine kleine Schublade und die Schublade auf ein freihängendes Brett gestellt, um mich so gegen die Ratten zu schützen. Jene Puppenwiege war mein Bett, solange ich bei dem Pächter blieb, wo mir der Aufenthalt allmählich angenehmer wurde, als ich die Sprache zu lernen begann und somit imstande war, meine Wünsche auszusprechen. Das kleine Mädchen war so geschickt, daß sie mich an- und auskleiden konnte, nachdem ich ein- oder zweimal vor ihren Augen meine Kleider abgelegt hatte, ob ich ihr gleich nie diese Mühe machte, wenn sie zugab, daß ich dies selbst tat. Sie verfertigte mir sieben Hemden und einige andere Wäsche von so feiner Leinwand, wie man bekommen konnte, die aber doch noch rauher als Sacktuch war; diese Wäsche hat sie mir immer mit eigener Hand gewaschen. Ebenfalls war sie meine Lehrerin in der Sprache; wenn ich auf etwas zeigte, nannte sie mir den Namen, so daß ich in wenigen Tagen zu fordern vermochte, was ich wünschte. Sie war sehr gutmütig und nicht größer als vierzig Fuß, denn für ihr Alter war sie noch sehr klein. Sie gab mir den Namen Grildrig, den die Familie und später sogar das ganze Königreich annahm. Das Wort hat ungefähr die Bedeutung des lateinischen Homunculus und des italienischen Uomicciuolo, das wir mit Diminutivmensch übersetzen können; ihr verdanke ich hauptsächlich meine Lebensrettung in diesem Lande. Wir trennten uns nie, solange ich dort war. Ich nannte sie meine Glumdalclitch oder kleine Wärterin und würde der größten Undankbarkeit schuldig sein, wenn ich diese ehrenvolle Erwähnung ihrer Sorgfalt und Liebe überginge. Auch wünsche ich von Herzen, es möge in meiner Macht liegen, ihre Wohltaten so zu vergelten, wie sie es verdient, statt daß ich die unschuldige, aber unglückliche Ursache ihres Unglücks geworden bin, wie ich leider allen Grund zu fürchten habe.

      Um diese Zeit begann man auch in der Nachbarschaft davon zu sprechen, mein Herr habe auf dem Felde ein sonderbares Geschöpf, von der Größe eines Splacknuck, gefunden, das jedoch in jeder Hinsicht die Gestalt des Menschen besitze, dessen Handlungen nachahme, seine besondere kleine Sprache zu sprechen scheine, bereits mehrere Worte der Landessprache erlernt habe, aufrecht umherginge, zahm und artig sei, auf den Ruf herbeikomme, alle Befehle vollführe, mit den schönsten Gliedern und einem Gesicht begabt sei, wie es kaum bei dreijährigen Mädchen vom höchsten Adel angetroffen werde. Ein anderer Pächter, der in der Nähe wohnte und ein intimer Freund meines Herrn war, stattete ihm deshalb einen Besuch ab, um sich nach der Wahrheit der erwähnten Geschichte zu erkundigen. Ich wurde sogleich herbeigeholt und auf den Tisch gestellt, wo ich nach Wunsch umherging, meinen Degen zog, ihn wieder einsteckte, dem Gaste meines Herrn eine Verbeugung machte, mich nach seinem Befinden erkundigte und ihm sagte: Er sei willkommen – eine Phrase, die meine kleine Wärterin mich gelehrt hatte. Dieser Mann, der alt und kurzsichtig war, setzte seine Brille auf, um mich besser betrachten zu können, worüber ich herzlich lachen mußte, denn seine Augen erschienen mir wie der Vollmond, der durch zwei Fenster in ein Zimmer scheint. Unsere Leute, welche die Ursachen meiner lustigen Stimmung bald erkannten, leisteten mir im Lachen Gesellschaft; der alte Mann war aber töricht genug, sich hierüber zu ärgern und außer Fassung zu kommen. Er war als großer Geizhals berüchtigt und verdiente, zu meinem Unglück, vollkommen seinen schlechten Ruf. Er gab nämlich meinem Herrn den fluchwürdigen Rat, mich als Merkwürdigkeit auf dem Jahrmarkte der nächsten Stadt zu zeigen, der ungefähr zweiundzwanzig Meilen, das heißt eine halbe Stunde zu Pferde, von unserm Hause entfernt lag. Ich erriet, daß mein Herr irgendein Unheil im Sinne hatte, denn er flüsterte lange Zeit mit seinem Freunde und wies dabei auf mich hin; meine Furcht hatte zur Folge, daß ich mir einbildete, einige ihrer Worte verstanden und gehört zu haben. Am nächsten Morgen erzählte mir Glumdalclitch, meine kleine Wärterin, die ganze Sache, die sie durch List ihrer Mutter abgefragt hatte; das arme Mädchen drückte mich an ihre Brust und weinte aus Besorgnis und Mitleid. Sie befürchtete irgendein Unheil von seiten der rohen und gemeinen Leute, die mich vielleicht zu Tode drücken oder die mir ein Glied zerquetschen könnten, wenn sie mich auf die Hand nähmen. Sie hatte auch meine Schamhaftigkeit und mein Ehrgefühl bereits bemerkt und konnte somit auch meinen Unwillen begreifen, dem niedrigsten Pöbel für Geld öffentlich zur Schau gestellt zu werden. Sie sagte, Vater und Mutter hätten ihr versprochen, Grildrig solle ihr gehören; wie sie jedoch sähe, werde sie jetzt ebenso behandelt wie vergangenes Jahr, als die Eltern ihr ein Lamm versprochen, aber sobald dasselbe fett geworden sei, an den Schlächter verkauft hätten. Was mich betrifft, so kann ich ehrlich behaupten, daß ich weniger Kummer als meine Wärterin empfand. Die Hoffnung, ich werde eines Tages meine Freiheit wiedererlangen, verließ mich nie, und wegen der Schmach, als eine Art Wundertier behandelt zu werden, überlegte ich mir, in diesem Lande sei ich ja vollkommen fremd; auch könne mir dies Unglück nie zum Vorwurfe gemacht werden, sollte ich jemals nach England zurückkehren; denn der König von Großbritannien müsse sich ja selbst dieser Unannehmlichkeit unterziehen.

      Mein Herr brachte mich nun, dem Rate seines Freundes gemäß, in einer Schachtel zum Jahrmarkt der nächsten Stadt und nahm seine Tochter, meine kleine Wärterin, hinter sich aufs Pferd; die Schachtel war an allen Seiten geschlossen; in der Wand befand sich nur eine kleine Tür, damit ich hinein- und herausgehen könne, nebst einigen gebohrten Löchern, um Luft hereinzulassen. Das Mädchen war so sorgsam gewesen, die Matratze aus ihrem Puppenbett hineinzulegen, damit ich weich liegen könne; dennoch wurde ich auf dieser Reise furchtbar geschüttelt und zugerichtet, obgleich diese nur eine halbe Stunde dauerte; denn das Pferd legte mit jedem Schritte wenigstens vierzig Fuß zurück und trabte so hoch, daß die dadurch bewirkte Erschütterung dem Steigen und Fallen eines Schiffes bei großem Sturme glich, aber bei weitem häufiger war. Unsere Reise dauerte etwas länger als ein Ausflug von London nach Sankt Albans. Mein Herr stieg in einem Wirtshause ab, das er gewöhnlich besuchte; nachdem er sich einige Zeit mit dem Wirt beraten und die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, mietete er den Gultrud oder Ausrufer, damit dieser der Stadt bekanntmache: Es sei im »Grünen Adler« ein sonderbares Geschöpf in der Größe eines Splacknuck zu sehen (das ist ein sehr fein gebautes sechs Fuß langes Tier des Landes); dieses gleiche in jedem Teile des Körpers der Menschengestalt, könne mehrere Worte aussprechen und an hundert ergötzliche Possen vollbringen.

      Ich wurde im größten Zimmer des Gasthofes auf einen Tisch gestellt, das an dreihundert Quadratfuß im Umfange betragen mochte. Meine kleine

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