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Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
Читать онлайн.Название Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten
Год выпуска 0
isbn 9783958555181
Автор произведения Jonathan Swift
Жанр Триллеры
Издательство Readbox publishing GmbH
Wie ich schon erwähnte, hatte ich noch eine besondere Tasche, die man bei den Nachsuchungen nicht bemerkt hatte. Hierin befand sich eine Brille (die ich wegen meiner schwachen Augen bisweilen gebrauchen muß), ein Taschenperspektiv und einige andere Geräte, die dem Kaiser von keinem Nutzen sein konnten, weshalb ich mich denn auch mit gutem Gewissen nicht für verpflichtet hielt, sie herauszugeben. Ich befürchtete nämlich, sie möchten verlorengehen oder verdorben werden, wenn ich sie überlieferte.
Drittes Kapitel
Der Verfasser unterhält den Kaiser und den Adel beider Geschlechter auf eine ungewöhnliche Weise. Die Vergnügungen des Hofes von Liliput werden beschrieben. Der Verfasser erhält seine Freiheit unter gewissen Bedingungen.
Meine Sanftmut und mein gutes Betragen hatten den Kaiser und seinen Hof sowie auch Heer und Volk im allgemeinen so sehr gewonnen, daß ich anfing, die Hoffnung zu hegen, ich würde in kurzem meine Freiheit erhalten: Ich gab mir alle mögliche Mühe, diese günstige Stimmung zu erhalten. Die Eingebornen fürchteten allmählich weniger Gefahr; bisweilen legte ich mich nieder und ließ fünf oder sechs auf meinen Kopf; Knaben und Mädchen wagten zuletzt, Verstecken in meinem Haare zu spielen. Auch hatte ich schon ziemliche Fortschritte im Verständnis der Landessprache gemacht. Eines Tages hatte der Kaiser den Einfall, mich mit dem Schaugepränge des Landes zu unterhalten, worin sein Volk alle anderen, die ich kenne, an Gewandtheit und Pracht übertrifft. Keines gefiel mir aber so sehr wie ein Seiltanz, der auf einem dünnen weißen Faden ausgeführt wurde, der ungefähr vier Fuß lang war und zwölf Zoll über dem Boden ausgespannt wurde. Ich nehme mir die Freiheit und des Lesers Geduld in Anspruch, hierüber ein wenig weitläufiger zu werden.
An dieser Unterhaltung wird nur von denjenigen mitgewirkt, die sich um bedeutende Ämter und um die höchste Gunst bei Hofe bewerben. Von Jugend auf erlernen die Kandidaten diese Kunst, sind jedoch nicht immer von adliger Geburt oder durch Erziehung gebildet. Wenn ein höheres Amt vakant wird, entweder durch Tod oder Ungnade (letzteres geschieht öfter), so ersuchen fünf oder sechs Kandidaten den Kaiser in einer Bittschrift, Seine Majestät mit einem Seiltanz unterhalten zu dürfen. Wer am höchsten springt, ohne zu fallen, erhält das Amt. Oft erhalten die regierenden Minister Befehl, ihre Geschicklichkeit zu zeigen, um den Kaiser zu überzeugen, daß sie ihre Fähigkeit nicht verloren haben. Der Finanzminister (Flimnap) besitzt das Privilegium, auf dem straff gespannten Seile Kapriolen zu machen, und zwar um einen Zoll höher als der übrige hohe Adel des Reiches; ich habe oftmals gesehen, wie er jenen gefährlichen Sprung vollführte, bei dem der Seiltänzer sich kopfüber in der Luft überschlägt und dennoch auf seinen Füßen steht, sobald er den Boden erreicht. Dies Meisterstück wurde auf einem Teller ausgeführt, der auf einem Tau von der Dicke eines gewöhnlichen Bindfadens befestigt war. Mein Freund Redresal, erster Sekretär für die Hausangelegenheiten, ist nach meiner Meinung, wenn mich die Freundschaft nicht parteiisch macht, der zweite nach dem Finanzminister; die übrigen Großbeamten der Krone sind einander gleich an Kunstfertigkeit.
Diese Unterhaltungen werden oft von unglücklichen Zufällen unterbrochen, von denen man in den Annalen des Reiches mehrere verzeichnet finden kann. Ich selbst habe gesehen, wie zwei oder drei Kandidaten ein Glied brachen. Bei weitem größer ist jedoch die Gefahr, wenn die Minister selbst Befehl erhalten, ihre Geschicklichkeit zu zeigen; da sie nämlich miteinander wetteifern, strengen sie sich so heftig an, daß fast jeder einmal, mehrere aber zwei-, dreimal zu Falle gekommen sind. Man hat mir die Versicherung gegeben, Flimnap würde zwei oder drei Jahre vor meiner Ankunft unfehlbar den Hals gebrochen haben, hätte nicht ein Kissen des Kaisers, das zufälligerweise auf dem Boden lag, die Heftigkeit seines Falles gemildert.
Ein zweiter Zeitvertreib findet allein in Gegenwart des Kaisers, der Kaiserin und des Premierministers statt. Der Kaiser legt drei feine seidene Fäden von drei Zoll Länge auf den Tisch, der eine ist blau, der andere rot, der dritte grün. Diese Fäden werden denjenigen als Belohnung bestimmt, die der Kaiser durch eine besondere Gunstbezeigung auszeichnen will. Die Zeremonie wird in Seiner Majestät großem Staatszimmer ausgeführt, wo die Kandidaten eine Probe ihrer Geschicklichkeit ablegen müssen, die von der eben erwähnten sehr verschieden und von so besonderer Art ist, daß ich nie etwas Ähnliches in der Alten oder Neuen Welt angetroffen habe. Der Kaiser hält einen Stock horizontal in der Hand. Die Kandidaten treten einer nach dem anderen vor diesen hin und springen mehreremal vorwärts und rückwärts darüber weg oder kriechen darunter durch, je nachdem der Stock erhoben oder gesenkt wird. Bisweilen hält der Kaiser das eine Ende des Stockes und sein Premierminister das andere, bisweilen ist dem Minister allein dies Geschäft übertragen. Derjenige, welcher die meiste Behendigkeit zeigt und das Kriechen und Springen am längsten aushält, erhält als Belohnung die blaufarbene Seide, die rote erhält derjenige, welcher als nächster kommt und dann wird die grüne ausgeteilt; die Herren tragen sämtlich diese Auszeichnung zweimal um den Bauch gewunden. Auch sieht man wenige Personen bei Hofe, die nicht mit diesen Gürteln ausgeschmückt sind.
Da die Pferde des Heeres und der kaiserlichen Ställe mir täglich vorgeführt wurden, so waren sie nicht lange scheu, sondern kamen, ohne zu stutzen, bis vor meine Füße. Die Reiter pflegten mit ihren Tieren über meine Hand hinwegzusetzen, wenn ich diese auf den Boden hielt; ein Jäger des Kaisers setzte sogar einmal auf einem großen Renner über meinen Fuß mit dem Zubehör der Schuhe, und dies war wirklich ein wunderbarer Sprung. Am Tage darauf hatte ich auch das Glück, den Kaiser auf außerordentliche Weise zu unterhalten. Ich bat, er möchte mir einige Stöcke von zwei Fuß Höhe und von der Dicke eines gewöhnlichen Rohres bringen lassen, worauf Seine Majestät dem Inspekteur seiner Forsten sogleich die notwendigen Befehle erteilte, und am nächsten