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Lichts gegen abgründige Mächte der Finsternis. Solche Ungeheuerkämpfe sind in verschiedenen Versionen überliefert, mal der Kampf eines Berittenen mit Helm und Lanze oder Schwert gegen den Lindwurm, wie beispielsweise beim heiligen Georg, mal der Kampf zweier Tiere, in den der Held eingreift, wie etwa in der Heinrichsage oder bei Dietrich von Bern, dann wieder die Besiegung des Ungeheuers durch List wie in der Sage von Beowulf und Grendel. „Der Kampf mit dem Drachen“, schreibt der Märchenforscher Max Lüthi, „ein Lieblingsmotiv des europäischen Märchens, erinnert zunächst an den Kampf des Menschen mit wirklichen Untieren, ein Geschehen, das die Phantasie früherer Zeiten mit großer Gewalt beschäftigt haben muss. Gerade deshalb wird der Kampf mit dem Untier zum Symbol für den Kampf mit der feindlichen Umwelt, mit dem Bösen außer uns und in uns, des Willens mit den Trieben, der Form mit dem Chaos, des Menschen mit dem Jenseitigen oder mit dem Schicksal. Der Drache ist ein Bild für die ungestaltete und gefährliche Natur wie für das eigene Unbewusste.“18

      Dem Wort „Drache“, ein Lehnwort in der deutschen Sprache, liegt das griechische drakon („der furchtbar Blickende“) zugrunde; im Germanischen entspricht ihm das Wort „Wurm“ (oder Lindwurm), der auch in der germanischen Mythologie im Mittelpunkt zahlreicher Drachenkämpfe steht. In der Mythologie vieler Völker erscheint der Drache als eine fabelhafte Mischgestalt, zumeist eine Kreuzung aus Vogel und Schlange, auch aus Löwe und Vogel, mehrköpfig, Feuer speiend, möglicherweise auf eine vorzeitliche Saurierform zurückgehend. Meist wird der Drache mit beschupptem Körper, übergroßen Fledermausflügeln, Hörnern auf dem Haupt und furchtbaren Fangzähnen dargestellt; sein giftiger Atem kann töten wie ebenfalls sein starrer Schlangenblick. In vielen Schöpfungsmythen verkörpert der Drache die bösen gottfeindlichen Mächte; er hält die fruchtbringenden Wasser zurück, will Sonne und Mond verschlingen, bedroht die Mutter des heilbringenden Helden, oder er muss getötet werden, damit die Welt entstehen kann.

      Der heldenhafte Drachenkampf findet sich in indoeuropäischen, aber auch vorderasiatischen, alttestamentlichen wie christlichen Mythologien; er scheint ein kulturübergreifendes Symbolbild darzustellen. Schon die Antike kannte Drachenkämpfe – Zeus gegen Typhon, Herakles gegen die berüchtigte Hydra von Lerna, Bellerophon gegen die Chimaira (daher das Wort „Schimäre“), Perseus bei der Befreiung der Andromeda. Der Drachentöter ist entweder ein Sonnenheld oder die Verkörperung jenes frühjahrszeitlichen Donner- und Gewittergottes, der im Pantheon des Heidentums stets im Mittelpunkt stand. Der älteste Drachentöter, den wir überhaupt kennen, scheint der altindische Hochgott Indra gewesen zu sein. In den Gesängen des Rigveda, die bis auf die Zeit um 1800 v. Chr. zurückgehen, wird er als der Götterkönig und Schirmherr aller Krieger angerufen, als den Gebieter über Blitz und Donner, der erlösende Gewitter herbeiführt, indem er Vritra, den Drachen der Dürre tötet. In einem dieser Hymnen heißt es:

       Den schrecklichen Unhold jage hinaus

       Und, Indra, des Drachen Kiefer zerbrich,

       Und den Grimm, du Drachentöter, treib aus

       Dem Widersacher, das bitten wir dich.19

      In einer modernen poetischen Nacherzählung des vedischen Drachenkampfmythos finden wir den Drachen Vritra wie folgt beschrieben: „Writra verfügt im Gegensatz zu den meisten Göttern über magische Kraft, und vermöge dieser Kraft kann er mancherlei Gestalt annehmen; einmal erscheint er als Schlange, ein andermal als Eber. Auch seinen Aufenthaltsort wechselt er: jetzt ist er auf dem Gipfel eines Berges, dann liegt er auf der Oberfläche des Meeres. Starke Festungen – neunundneunzig an der Zahl – stehen ihm zu Diensten; hier verteidigt er sich gegen die Angriffe der Götter. Seine Waffen sind Blitz, Donner, Hagel und Nebel. Besonders vom Nebel macht er Gebrauch, und daher nennt man ihn auch den Nebling. Sich selbst hüllt er in Nebel ein, und über seinen Gegner wirft er einen Nebelschleier, damit er die Spur verliert und sich verirrt.“20

      Und hier nun der Drachenkampf Indras: „Der Somatrunk verlieh Indra besonderen Mut und gab ihm unüberwindliche Kraft. Hochauf schwingt er sich in die Luft und zielt mit seiner Waffe auf Writra; dieser aber benutzt seine magischen Fähigkeiten, hüllt sich in Nebel und stürzt sich in voller Größe auf den Angreifer. Indra jedoch durchschaut alle Gestalten, die das Ungeheuer annimmt, späht nach seinen verwundbaren Stellen und fällt ihn immer wieder an. Mit seiner tausendspitzigen Waffe trifft er ihn, wie der Blitz einen Baum spaltet (….). Danach begibt sich Indra dorthin, wo die Wasserfluten verborgen und eingesperrt sind. Wie ein Zimmermann das Holz, so spaltet er die Wolken und befreit die Regenströme, die sich nunmehr ungehindert auf die Erde ergießen.“21 Indra erscheint hier wie ein gigantischer Regenmacher; die Einkleidung seines Drachenkampfes in einen Naturmythos tritt klar zutage und weist auch auf das hohe Alter dieser Geschichte hin.

      Spuren von Drachenmythen finden sich auch im Alten Testament; jedoch tritt der Drache hier unter Namen wie Tannin, Leviathan, Rehab, Behemoth auf, bald als Verkörperung riesiger Meertiere, bald allegorisch als Israel feindliche Geschichtsmächte wie Babylon, das Perser-, Meder- Alexanderreich, dann als Gegner im persönlichen Lebenskampf. Unter den Schutz Gottes soll man sich stellen, denn von ihm wird gesagt: „Über Löwen und Ottern wirst du gehen, und junge Löwen und Drachen niedertreten.“ (Psalm 91/13) Apokalyptisch erscheint der Drache im Buch Daniel als Verkörperung gottloser Weltreiche (Dan.7), um dann in der Offenbarung des Johannes sich ganz mit dem Endzeitmythos zu verbinden: „Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel.“ (Offenbarung des Johannes 12/7–8)

      Der Erzengel Michael ist hier an die Stelle Indras getreten; denn in der Gestalt des Drachentöters zeigt sich ebenso viel Archetypisches wie im Drachen selbst. In der griechischen Mythologie haben wir, als ein Beispiel unter vielen, den Lichtgott Phoibos Apollon, dem das Heiligtum zu Delos geweiht war und der das Orakel von Delphi in Besitz nahm, das zuvor unter der Macht alter Urmuttergöttinnen stand. Aber zuerst musste Apollon in Delphi den dort hausenden furchtbaren Drachen Python töten. Im Homerischen Hymnus an den Pythischen Apollon heißt es:

       Nahe dabei fließt schön ein Quell. Der Herrscher Apollon

       tötete dort die Drachin mit seinem gewaltigen Bogen,

       ein gar riesiges, feistes und wildes Untier,

      das vieles Elend schuf den Menschen im Lande ….22

      In der germanisch-nordischen Mythologie schließlich tritt der Drache als Ungeheuer von sagenhafter Gestalt häufig auf, kosmologisch als die weltumringende Midgardschlange, gegen die der Gott Thor zu kämpfen hat, eschatologisch als der drohende Drache Niddhöggr in den Tagen der Götterdämmerung. Daneben sehen wir den Drachen als Schatzhüter und als Inhaber magischen Wissens, oder es sind zaubermächtige Riesen wie der berüchtigte Fafnir, die sich in einen Lindwurm verwandeln können. Vielleicht kann man hier regelrecht von einer geheimen Drachenweisheit und einer Drachenmagie sprechen. Das Bild des den Goldhort bewachenden Drachens begegnet uns noch in J. R. R. Tolkiens großartigem Märchen DER KLEINE HOBBIT, wo mit Bilbos Konversation mit Smaug ein hervorragendes Beispiel für Drachenpsychologie gegeben wird.

      Magische Motive tauchen auch in der nordischen Sigurd-Sage auf, dem Urbild der Siegfried-Geschichte: das Baden im Drachenblut macht unverwundbar; der Verzehr des Drachenherzens lässt den Helden plötzlich die Vogelsprache verstehen. Das Drachenhortlied ist in der Liederedda enthalten, die eine wohl aus Deutschland stammende Sigurdsage benutzt hat. Zwei Felsritzungen in Södermannland südlich des Mälarsees zeigen uns Abbildungen zu der Geschichte: wir sehen da einen Fischotter; sodann das Ross Grani, das eine Last auf dem Rücken trägt und an einen Baum gebunden ist, auf dem zwei Vögel sitzen; ferner Sigurd, wie er das Drachenherz brät und einen Finger in den Mund hält – die Runeninschriften unter den Bildsteinen lassen erkennen, dass sie um das Jahr 1020 geritzt wurden. Die dargestellte Situation wird in der Edda so geschildert: „Sigurd nahm Fafnirs Herz und briet es an einem Zweig. Als er glaubte, dass es gar sei, und der Saft aus dem Herzen schäumte, da fasste er es mit einem Finger an, um zu versuchen, ob es fertig sei. Er verbrannte sich und fuhr mit seinem Finger

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