Скачать книгу

aus aller Welt gesammelt, Devotionalien von Pol Pot über Mao Tse-tung bis Fidel Castro. Nur die Emailledose mit dem Porträt von Imelda Marcos behielt Pfeffer als Andenken. Den Rest verkaufte Cosmo im Internet, sogar recht gewinnbringend.

      Nach der Räumaktion wollte Pfeffer sich betäuben, seine verdammte Selbstdisziplin ausschalten, ganz gezielt und systematisch. Er hatte sich Hottah, die aktuell beliebteste Dating-App für Männer, die Männer mögen, geholt, ein Profil angelegt und sich dann in die Nacht gestürzt. Und gehofft … tja, auf was? Er hatte gesoffen, Poppers gesnifft, sich das erste Mal seit vielen Jahren Ecstasy und Boner Booster reingepfiffen. Alles gleichzeitig. Sollte er doch einen Herzinfarkt bekommen – wurscht! Drogen wurden ihm überall kostenlos angeboten. Er schlief tagelang nicht, er wollte und bekam jede Menge schnellen, belanglosen, gerne auch risikoreichen Sex. Orgiastisch wars, geil wars im Nachhinein betrachtet gar nicht. Seine selbstzerstörerischen vier Tage, die am Aschermittwoch um zehn Uhr morgens endeten, als er am Ende seiner Kräfte auf dem Gärtnerplatz stand und leichter Schneefall einsetzte. Völliger Overkill. Nie ein Wort zu irgendjemanden darüber! Und wie die Tests anschließend gezeigt hatten, hatte er sich glück­licherweise nichts geholt. Die Tage brachten nichts, außer heftigen Kater in Kopf und Muskeln, wunde Stellen am Körper und vor allem an der Seele, mehr Leere und die letztlich nicht neue Erkenntnis, dass egal, wie viele Orgasmen das nicht ersetzen konnten, was er so schmerzlich vermisste: Nähe.

      Danach, immerhin, konnte Max Pfeffer das erste Mal seit Tims Tod richtig weinen. Die App hatte er seitdem nicht mehr genutzt.

      »Sie wollten mich also sprechen?«, sagte Mortimer.

      »Ja, Sie haben sicher inzwischen von dem Mord an Polina Komarowa gehört.«

      Der Junge nickte und rauchte. »Schlimme Sache«, sagte er dann nach einer Weile. »Sagen Sie übrigens ruhig Du zu mir. Ich finde das komisch, wenn Sie mich siezen. Nennen Sie mich Mo.«

      »Wie gut habt ihr euch gekannt, Mo?«

      »Ich war öfter drüben. Wissen Sie, meine Eltern sind viel unterwegs …« Er warf den Kopf zurück und lachte. Sein Adamsapfel tanzte hoch und runter. »Viel unterwegs! Mein Vater ist in China oder Vietnam, da produzieren wir. Aktuell ist er seit fünf Tagen in China, kommt übermorgen wieder. Und meine Mutter … tja, wieder mal auf Entzug. Offiziell natürlich ist sie mit ihm verreist. Aber ich lüge doch keinen Bullen an … ’tschuldigung, Polizisten.«

      »Ihre Eltern lassen Sie einfach so allein? Sie sind noch minderjährig.«

      »Mein Vater ist immer nur ein paar Tage weg. Und meine Mutter sitzt auch nicht das ganze Jahr über in Entzugskliniken.«

      »Alkohol?«

      »Ja. Normalerweise organisieren die beiden das ganz gut. Diesmal hat es sich überschnitten. Momentan sind halt beide mal nicht da. Geht schon. Ich bin ein großer Junge.«

      »Ist das nicht seltsam«, fragte Pfeffer. »So alleine in einem großen Haus?«

      Mortimer Olberding zuckte mit den Schultern. »Nein, ich habe keine Angst, falls Sie das meinen. Vorne in der Kemenate wohnt ja Loser-Bob. Der ist meist zu Hause, der hartzt ja. Und ich gehe oft rüber zu den Försters, zum Essen und so. Und ich habe beim Berti, also beim Herbert Förster, mal ein Praktikum gemacht. Ganz in Ordnung, der Berti. Böser Immobilienhai!« Er lachte fröhlich. »Wir machen manchmal Sport zusammen. Der achtet auch auf sich.«

      »Zum Beispiel Joggen?«

      »Nein, eher selten. Da passen unsere Zeiten nicht. Ich gehe selten joggen …«

      »Gestern früh zum Beispiel?«

      »Gestern früh? Keine Ahnung … Halt, nein, da war ich sicher nicht laufen. Ich hab bis halb sieben geschlafen. Danach dann Schule.«

      »Sie gehen ins Albert-Einstein-Gymnasium hier in Harlaching?«

      »Wäre naheliegend, nein, aufs Wilhelmsgymnasium.«

      »Oha«, machte Pfeffer. Das Wilhelmsgymnasium im Lehel, immerhin Oberbayerns ältestes humanistisches Gymnasium, galt als Kaderschmiede. Mortimer musste wirklich etwas auf dem Kasten haben. Hier reichten wohlhabende und einflussreiche Eltern nicht aus.

      »Auch nur ’ne Schule«, sagte Mortimer. »Okay, Sie wollen sicher wissen, was zwischen Polly und mir lief. Nichts. Wir hatten nichts miteinander. Sie war nett, immer ein Sonnenschein, aber sehr verschlossen.« Genau das hatten Polinas Mitbewohner auch gesagt. »Wenn ich zum Mittagessen drüben bei Försters war, war sie oft dabei. Wir haben über dies und das geratscht. Sie war ein Bollywoodfan. Hat für diesen Typen mit den grünen Augen geschwärmt, Hrithik Roshan, voll der Zungenbrecher. Drum hat sie auch so auf Hamed gestanden.«

      »Hamed?«, fragte Pfeffer.

      »Ja, das war mal so ein Praktikant vom Beppo, eben erst im Frühjahr. Afghane. Sah tatsächlich dem Hrithik Roshan ähnlich, zumindest diese hellen grünen Augen hatte er. Für den hat Polly geschwärmt.«

      »Und?«

      »Was und? Nichts weiter, der war ’ne Woche oder so mit dem ­Beppo unterwegs, hat rumgegärtnert und war dann wieder weg. Ich glaube nicht, dass da was gelaufen ist. Polly war viel zu schüchtern, um ihn anzusprechen.«

      »Interessant«, sagte Pfeffer nachdenklich. »Ihre beste Freundin und Mitbewohnerin wusste zwar, dass Polina für jemanden geschwärmt hat, aber nicht für wen. Und Sie, also du … dir hat sie sich anvertraut?«

      »Ne, hat sie nicht.« Mortimer lachte wieder entwaffnend. »Ich habe Augen im Kopf. Ich habe sie ein paar Mal gesehen, wie sie heimlich Fotos von Hamed gemacht hat und so. Und wie sie ihn angeschaut hat. Da konnte ich eins und eins zusammenzählen. Und was die Freundin betrifft – vielleicht lügt die ja.« Er zog schelmisch die linke Augenbraue nach oben.

      »Was wurde aus Hamed?«

      »Keine Ahnung, das müssen Sie den Beppo fragen. Haben Sie eigentlich den Loser-Bob angetroffen?«

      »Ja«, sagte Pfeffer.

      »Und?«

      »Was und? Ich werde dir sicher keine Details unserer Befragung verraten.«

      »Hat er Ihnen von seinem Foodtruck erzählt«, fragte Mortimer, und als Pfeffer nickte, fuhr er grinsend fort: »Der Bob hat immer verrückte Ideen. Der ist schon mit so vielen Projekten pleite gegangen, dass er einem fast leidtun könnte. Der kann froh sein, dass seine Schwester ihn unterstützt. Und der Herbert übrigens auch. Der schimpft zwar immer über ihn und hat ihn aus dem Haus geekelt, aber er will nun in diese Foodtruck-Sache mit einsteigen, beziehungsweise ihn finanzieren. Leute sind seltsam.«

      »Das stimmt«, antwortete Pfeffer. »Vor allem, wenn es um die Aussagen von Minderjährigen geht. Wir haben uns jetzt ja nur unterhalten. Ich würde dich aber gerne noch zu mir ins Büro bitten. Mit einem Anwalt deines Vertrauens. Ich bin sicher, dass ihr einen Familienanwalt habt. Komm mit dem baldmöglichst zu uns ins Präsidium, und dann machen wir ein Protokoll.«

      Mo nickte. »Ja, Vernehmungen von Minderjährigen nur im Beisein eines Anwalts.«

      »Eben.« Pfeffer musterte den jungen Mann. »Woher weißt du das?«

      »Ich schaue fern.«

      14

      Das Nachhausekommen war immer noch das Schlimmste. Nicht mehr so schlimm wie am Anfang, doch es kostete Max Pfeffer immer noch Überwindung, die Tür zu dem Haus in der Gietlstraße aufzuschließen, hineinzugehen und sich nicht nach einer Umarmung von Tim zu sehnen. Ja, es wurde langsam besser. Vor allem, seit Frühling war und er ein bisschen im kleinen Garten werkeln konnte. Das gab ihm sogar manchmal ein wohliges Gefühl. So viel hatte er früher nie im Garten gemacht – und in ihrem alten Haus in Obermenzing hatten sie einen deutlich größeren Garten. Würde er nun so ein wunderlicher Alter werden, der langsam verwahrloste, sich in seinen vier Wänden verschanzte, jeden Tag eine Flasche harten Schnaps literte und im Garten mit den letzten überlebenden Blumen sprach? Pfeffer dachte manchmal daran. Wäre gar nicht mal das Schlechteste. Wobei er viel zu diszipliniert war, um auch nur ansatzweise zu verwahrlosen und mit dem Trinken anzufangen. Das mit dem Rauchen

Скачать книгу