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Der Nebel von Cornish Cove. Oliver Erhardt
Читать онлайн.Название Der Nebel von Cornish Cove
Год выпуска 0
isbn 9783347082878
Автор произведения Oliver Erhardt
Жанр Учебная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
„Nein, ich werde da schlafen.“
„Nein, ich.“
Dee verdrehte die Augen, stellte seine Ohren auf Durchzug und fühlte sich nur noch müde. Langsam ging er an den immer noch wie wild tobenden Geschwistern vorbei, auf das Hochbett zu. Er stieg die Leiter hinauf und entdeckte zu seiner Überraschung, dass sich ein Fenster in der Form eines Bullauges1 hinter dem Kopfteil befand. Dee legte sich bäuchlings hin und schaute hinaus. Die Dämmerung setzte allmählich ein und sein Blick wanderte über die Häuserdächer von Cornish Cove hin zum Hafen, wo gerade die Laternen eingeschaltet wurden. Dann sah er zum hinteren Ende der Bucht. Dort streckte sich der Leuchtturm auf Lands End dem Himmel entgegen und schickte kreisend sein wegweisendes Licht in die immer dunkler werdende Ferne. In regelmäßigen Abständen wanderte der Lichtstrahl über das Meer, die Bucht und auch in Dees Fenster.
1 Rundes Fenster in einem Schiff
Der erste Kontakt
Das regelmäßig wiederkehrende Licht machte ihn schläfrig und seine Phantasie begann aktiv zu werden. Er stellte sich vor, mit einigen Seeleuten auf einem kleinen Fischerboot draußen auf offener See zu sein. Sie waren in einen Sturm geraten, der das Boot stundenlang hin und her schleuderte. Die Wassermassen brachen nur so über das Schiff herein. Sie hatten das Deck überflutet und die komplette Elektrik zerstört. Mittlerweile beruhigte sich die See wieder, doch es war dunkel geworden und sie trieben orientierungslos auf dem Meer, denn der Motor war ausgefallen und der Kompass war auch nicht mehr zu gebrauchen.
Dee stand an der Reling und starrte durch ein Fernglas. Er war auf der Suche nach Land oder dem Licht eines Leuchtturms, der ihnen den Weg weisen würde. Doch außer einer schwarzen Wand vor seinen Augen konnte er nichts erkennen. Trotzdem hielt er weiter gespannt Ausschau, während die Männer unter Deck versuchten den Motor wieder in Gang zu bringen. Dee schaute fieberhaft durch sein Fernglas, es musste doch irgendwo etwas zu sehen sein. Wenn aber nichts zu sehen war, überlegte Dee schließlich, konnte es dafür nur eine Erklärung geben: Der Sturm hatte sie weit auf das Meer hinausgetragen, deshalb konnte er nichts … doch zu seiner Überraschung sah er plötzlich etwas! „Leute, da ist was!“, schrie er euphorisch. Er sah etwas hell Schimmerndes auf dem Meer.
Ein rettendes Schiff?
Dee nahm das Fernglas aufgeregt von seinen Augen. Schnell verflog seine Freude, denn es war kein Schiff, auch kein zweites Fischerboot, es war … nur eine Nebelbank.
„Und?“, fragte einer der Seemänner. „Was ist es?“
„Es ist nur eine Nebelbank.“
Enttäuscht schaute Dee in die weiße Wolke, die er eine Zeit lang beobachtete. Dann stutze er, denn sie schien näher zu kommen.
„Sie kommt auf uns zu!“
Die helle Nebelbank, bewegte sich lautlos und unaufhaltsam auf ihr Schiff zu. Mittlerweile waren alle Seeleute an Deck. Keiner sagte ein Wort, alle starrten stumm in den Nebel und diese drückende Stille machte Dee Angst. Schließlich erreichten sie die ersten Nebelschleier. Sie umhüllten das Boot und Sekunden später verschwanden Boot und Besatzung im dichten Nebel.
Sie waren von der weißen Masse umgeben, die nach Seetang roch und sie spürten, wie sich eine vermodert riechende Feuchtigkeit auf sie legte. Sie sahen kaum noch die Hand vor den Augen. Die Stille wurde immer unerträglicher und Dees Herz schlug ihm bis zur Kehle. „Was ist das für ein Nebel?“, flüsterte einer der Seemänner. Dee streckte seine Hände tastend in die feuchten, umherwabernden Dunstschwaden. Augenblicklich verdichteten sie sich und er konnte seine Hände nicht mehr sehen. Gleichzeitig strahlte ihnen ein grelles Licht aus dem Inneren des Nebels entgegen. „Was war das?“, fragte ein anderer. Hastig zog Dee seine Hände zurück. Er spürte wie die Angst in ihm hochkroch, als er plötzlich bei den Schultern gepackt und hin und her geschüttelt wurde. „Dee!“, erklang eine entfernte Stimme.
Eine Zeit lang passierte nichts, bis er erneut geschüttelt wurde. „Dee, du musst aufwachen.“ Die Stimme wurde klarer. Dee schaute nach vorne. Zuerst sah er gar nichts, dann erschien ein verschwommenes Bild, auf dem es hin und wieder hell blinkte. Allmählich sah er genauere Umrisse und erkannte, dass er auf seinem Bett lag und durch sein Fenster nach draußen schaute. Das blinkende Licht war das Licht des Leuchtturms, das kreisend seine Runde machte. Sein jüngster Bruder Benny saß auf seinem Rücken und trommelte wild mit den kleinen Fäusten auf Dees Schultern herum. „Wach jetzt endlich auf, Dee. Du machst mir Angst.“
Angekommen
In den folgenden Tagen packten die Carpenters fleißig ihre Umzugskartons aus und machten das Haus schnell wohnlich. Dinge, die sie im Moment nicht brauchten, landeten auf dem Dachboden. John verbrachte die meiste Zeit in der Garage. Er richtete sich im hinteren Teil eine kleine Werkstatt ein und schraubte platzsparende Fahrradhalterungen an die Decke. Die Stimmung war gut, denn sie fühlten sich in Cornish Cove auf Anhieb wohl. Das Haus war ideal, bis auf das Kinderzimmer (Dee hatte seinen Vater mehrmals darauf angesprochen und der fand auch, dass Dee unbedingt ein eigenes Zimmer haben sollte, doch er hätte im Moment einfach nicht die rechte Zeit für den Umbau) und die Menschen des Ortes zeigten sich gastfreundlich und hilfsbereit.
Maggie fand schnell Anschluss bei einer Frauengruppe in der Kirche und Mick und Benny entdeckten einen Spielplatz mit angrenzendem Fußballfeld. Dort verbrachten sie die meiste Zeit des Tages, worüber Dee sehr froh war. Seine anfängliche Abneigung Cornish Cove gegenüber war wie verflogen. Dieser Ort hatte etwas Besonderes, Spezielles an sich. Deshalb setzte er sich gerne auf sein Fahrrad und erkundete die Gegend, die weitaus schöner war, als der Vorort von London, wo sie zuletzt gelebt hatten. Auch London vermisste er nicht mehr, auch nicht die Chancen, die er dort gehabt hätte. Er lebte jetzt in Cornish Cove und das war gut so. Vielleicht sollte es sogar so sein, dachte Dee.
Lizzy
Der Dezember war milder als gewöhnlich und die Weihnachtsferien hatten vor Tagen begonnen. Dee ging in die Garage um sein Fahrrad zu holen. Er wollte heute mal zum Leuchtturm raus nach Lands End. Vielleicht würde ihm das Mädchen vom Umzugstag wieder begegnen. Er hatte sie schon ein paar Mal im Ort gesehen und wenn sie ihn sah, hatte sie stets gelächelt. Dee schloss das Garagentor und fuhr am Hafen vorbei Richtung Lands End, als plötzlich jemand neben ihm herfuhr.
„Hey, Fremder, wohin des Weges?“
Dee schaute überrascht zur Seite und erkannte das Mädchen mit den rot braunen Haaren, die mit einem Mal neben ihm her radelte.
„Ich wollte nach Lands End zum Leuchtturm raus.“
„Genau meine Richtung“, lachte sie. „Wie heißt du eigentlich?“
„Ich heiße David, aber alle nennen mich nur Dee.“
„Hi, Dee, ich bin Lizzy.“
„Hi!“
„Na dann mal los Dee, mal sehen, wer als Erster am Leuchtturm ist“, rief Lizzy voller Energie und trat stehend in die Pedale. Dee schaltete einen Gang runter und spurtete ihr nach. Sie rasten den ausgetrampelten Weg nach Lands End hinauf. Fast gleichzeitig kamen sie lachend am Wahrzeichen des Ortes an, als eine junge Frau gehetzt aus der Tür des Leuchtturms geschossen kam und fast in sie hineingelaufen wäre.
„Ah, Lizzy, gut, dass du hier bist“, stöhnte sie vollkommen außer Atem. „Meine Mutter ist zu Hause gestürzt. Ich muss sofort zu ihr, kannst du in der Zeit auf den Leuchtturm aufpassen?“
„Aber sicher Jenny, kein Problem!“, rief Lizzy der jungen Frau hinterher, die ohne die Antwort abzuwarten auf ihren Motorroller gestiegen war und davonbrauste.
„Das war Jennifer O’Brian, sie arbeitet hier im Leuchtturm.“
„Verstehe“, nickte Dee. „Muss wirklich was Ernstes sein.“
„Ja, das glaube ich auch“, bestätigte Lizzy und zerrte an der metallenen Eingangstür des Leuchtturms. Die quietschende Tür ließ sich nur schwer öffnen und fiel, als sie im Inneren waren, mit einem lauten Knall hinter ihnen zu.
Zum