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dass sie manches Mal nicht wussten, wohin mit dieser Kraft. Aus Spaß trieben sie dann ihren Schabernack – mit anderen Elfen, Geistern oder auch Tieren und Menschen. (2)

      Ramazans Bekannte und Freunde wohnten ebenfalls in Sandburgen am Wasser; sie waren aber praktisch nie zu Hause. So sprangen sie den lieben langen Tag umher, durch Wald und Ebenen, übers Tal, hinauf und hinab. Ramazan konnte sie aus weiter Ferne hören, denn sie redeten alle auf einmal und lachten viel. Alle Kobolde waren Naturgeister und trieben sich deshalb auch am liebsten draußen herum. Spielen, necken, erschrecken, sich stupsen und schubsen – dies zählte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. (3)

      Eines Morgens entschied Ramazan, sich auf die Wanderung zu machen. In all den stillen Stunden, die er am Wasser verbrachte, war ihm in den Sinn gekommen, dass er Lust hatte, Neues zu sehen, andere Orte kennen zu lernen und Unbekanntes zu erforschen. (4) Außerdem war es ihm am Fluss in seiner Sandburg nicht mehr ruhig genug.

      Ramazan wanderte sieben Tage und sieben Nächte. Unterwegs ernährte er sich von allem, was er an Essbarem zwischen seine Finger bekam. Auch seine Geschwister, die Elfen, halfen ihm auf seinen Wegen. Sie mochten diesen kleinen Kerl, der so anders war als all die anderen. Sie beobachteten ihn schon seit langer Zeit, weil er sanft, still und ruhig seiner Eigenart frönte – ohne jedes Aufheben. So wachten sie über ihn in der dunklen Waldesnacht und ließen ihn am Tage die Sträucher finden, deren Beeren er essen konnte. (5)

      Am siebten Tag sah Ramazan in weiter Ferne ein Haus. Es schien sehr alt zu sein und aus dem Schornstein rauchte es Wolken. Eine alte Frau saß davor. Ramazan hatte noch nie ein Haus oder einen Menschen gesehen! Er war ganz aufgeregt und eilte sich, den Hügel hinab zu kullern, um noch schneller beim Haus zu sein. In seinen Augen war die Frau sehr groß, viel größer als er selbst. Ramazan reichte ihr gerade bis zum Schuh. Und er verstand sofort, dass sie ihn nicht sehen konnte. Also schlüpfte er durch das Schlüsselloch ins Innere des Hauses.

      Welch eine Ruhe! Ein alter Mann saß am Feuer und hielt etwas in der Hand, in dem er blätterte. Ganz versunken war er mit diesem Gegenstand. Eine tiefe Gelassenheit ging von ihm aus. (6) Und überhaupt hatte alles in diesem Haus seinen Platz: das Feuer im Kamin, der Topf auf dem Herd, das kleine Licht über dem Esstisch … Ramazan wünschte sich nur eines: „Geist in diesem Hause zu sein! Hier leben zu dürfen und sich in das zu versinken, was der alte Mann da in seinen Händen hielt!“

      So wurde aus dem Kobold Ramazan, dem Naturgeist, ein Hausgeist. (7) Und weil er als Geist sehr schnell lernen konnte, dauerte es nicht lange und er hatte seinen Lieblingsplatz gefunden: im Schneidersitz auf der Hand des alten Mannes sitzend. Seitdem lesen sie, versunken in Gedanken, ein Buch zu zweit.

      Wirklich reich ist derjenige, der Zuwendung und Liebe erfahrt.

      Indische Weisheit

      Wahrer Reichtum2

      Vor sehr langer Zeit gab es in einem indischen Dorf einen reichen und einen armen Mann. Beide hatten einen Sohn. Beide wohnten in einem Tal, das von einer hohen Gebirgskette umgeben war. Der reiche Mann hatte sein Haus auf der einen Seite des Hochgebirges, der arme Mann seine Hütte auf der anderen. Es war ein gutes sattes Land, in dem die Bäume und Sträucher Früchte trugen und die Wiesen voller bunter Blumen waren. (1)

      Eines Morgens sagte der reiche Mann zu seinem Sohn: „Yaro, mein Sohn! Lass uns auf den Berg steigen, ich will dir etwas zeigen!“ Der Berg war hoch und sie mussten sich früh auf den Weg machen, um gegen Mittag auf der Spitze des Berges zu sein. Der reiche Mann ging eiligen Schrittes einher, kletterte und hangelte sich schnell von der einen zur anderen Baumwurzel, denn er dachte daran, dass er noch arbeiten musste und beizeiten wieder im Tal sein wollte. Schließlich verdiente er tagein, tagaus das Geld für die Familie und vergrößerte so die Summe seiner Goldtaler. (2) Yaro musste sich sputen, um seinem Vater folgen zu können, waren seine Beine doch kürzer und sein Schritt zaghafter. (3)

      So kamen Vater und Sohn bald ins Schwitzen, hetzten den Berg hinauf und kamen gegen Mittag auf der Bergspitze an. Der Vater setzte sich auf den vom Tau noch feuchten Boden und Yaro tat es ihm gleich. Sie saßen keine fünf Minuten, da sprach der Vater: „Schau her, Yaro! Das alles ist mein Land!“ Seine Arme machten dabei eine große ausladende Bewegung, als umfassten sie mit den Händen das ganze Land unterhalb. Er sprach weiter: „Yaro, mein Sohn! Das alles wird eines Tages dir gehören! Es ist unser Besitz!“ Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören. Seine Augen leuchteten. (4) Da er jedoch nicht viel Zeit hatte, erwähnte er augenblicklich: „Lass uns wieder hinabsteigen! Ich muss noch arbeiten!“ Und sie hetzten den Berg ebenso hinab wie sie ihn bestiegen hatten. (5)

      Eines Tages sprach der arme Mann zu seinem Sohn Navin: „Lieber Sohn! Magst du morgen mit mir auf den kleinen Berg im Osten steigen? Ich möchte dir etwas zeigen!“ Navin, der immer gerne mit seinem Vater zusammen war, stimmte sofort zu. „Aber wir müssen in der Früh' hinauf; du musst also beizeiten aufstehen!“ Auch das störte Navin nicht – liebte er doch das Abenteuer und liebte er es, mit seinem Vater zusammen zu sein! (6)

      Am folgenden Morgen, noch vor dem Aufgang der Sonne, trafen sich Vater und Sohn vor ihrer kleinen, mit Stroh bedeckten Hütte, um auf den Berg zu steigen. Der Vater ging vor und Navin folgte ihm. (7) Sie nahmen sich alle Zeit der Welt, waren sie doch zeitig losgegangen. Beim Aufstieg schauten sie sich um, fühlten das Gras unter ihren nackten Füßen, naschten von den roten Beeren des Waldes und kamen einige Stunden später auf der Spitze des Berges an. (8) Müde, aber entspannt setzte sich Navin in den Schneidersitz und sein Vater tat es ihm gleich. (9)

      Sie saßen noch keine fünf Minuten, da ging vor ihren Augen im Osten die Sonne auf. Ein roter Feuerball stieg am Horizont hinauf und tauchte den gesamten Himmel in orange-rötliches Licht. Auch die Landschaft erstrahlte in diesem hellen Schein. „Schau …“, sprach der Vater zu seinem Sohn, „schau, Navin! Das alles ist unser Land! Es ist das Land unserer Mutter Erde. Sie schenkt uns ihre Schönheit!“ (10) Dabei breitete er seine Arme aus, als umfasste er das gesamte Land.

      Navin aber blickte hinaus in die Weite der Natur und staunte. Tief in seinem Inneren spürte er das Licht in all seinen Farben und die Kraft der Sonne. Noch lange saßen er und sein Vater beisammen und taten nichts anderes als schweigend zu schauen. (11)

      2 Frei übersetzt aus: Les Philo-Fables, Michel Piquemal, Philippe Lagautrière, èdition Albain Michel Jeunesse, 2003, Paris

      Ändere Deine Gedanken und Du änderst Deine Taten.

      Clara Welten

      Traurigkeit

      Mira, der Kolibri, saß an einem sonnigen Mittag auf den Ästen eines Baumes. Der Himmel war blau, in einem so belichteten Blau, dass er sich türkis über die Weiten des Horizonts erstreckte. Der Wald, in dem Mira wohnte, sprießte voller bunter Farben; die Blumen und Beeren waren reichlich gewachsen und ließen das Grün der großen Palmenblätter noch satter erscheinen.

      All das berührte Mira nicht, nicht an diesem Tag. Es war, als sähe sie die Farbenpracht nicht, als fühle sie die leichte Brise des Windes nicht und als könne sie die Wärme der Sonne in dem Blau des Himmels nicht spüren. (1)

      Mira war traurig. Sie legte ihr kleines Köpfchen tief nach unten, soweit es ging, in ihre Brustfedern hinein. Die sollten sie wärmen, denn ihr war kalt, recht kalt sogar, trotz des Sommers. (2) So schauten ihre Augen auf den braunen Boden herab. Der Baum, auf dem sie saß, war hoch. Unten, auf der feuchten Erde, wo die Strahlen der Sonne nur selten trafen, war es dunkel. (3) Je mehr Mira ihren Blick nach unten verrichtete, desto mehr kam sie in der Dunkelheit an: Einsam war es hier, trotz der vielen Insekten, die sie von ihrem Ast aus erkennen konnte. Einsam und traurig war es, ohne die wärmenden Strahlen der Sonne zu spüren.

      „Warum bin ich heute eigentlich so schwermütig?“, fragte sich Mira selbst – und bekam zunächst keine Antwort von ihrer inneren Stimme. (4) Sie fühlte nur diese dunkle Leere, die sich in ihr ausbreitete, je mehr sie nach unten auf den braunen Boden starrte. (5) Und während sie eine

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