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Drei Wanderer. Helmut Tack
Читать онлайн.Название Drei Wanderer
Год выпуска 0
isbn 9783347055377
Автор произведения Helmut Tack
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Er bereitete das Frühstück, als hätte er das schon immer für uns getan. Deckte den Tisch. Er wies mit seiner knochigen Hand auf einen Stuhl und forderte mich zum Platznehmen auf.
«Setz Dich, mein Junge, und lass uns essen», war alles, was er sagte.
Ich setzte mich, obwohl mir die Anrede seltsam vorkam.
In seiner Stimme schwang keine Bitterkeit mehr. Da waren nur Wärme und Hoffnung, wie sie ein winterliches Kaminfeuer verbreiten kann.
Wir aßen, und ich bemerkte bei ihm einen ungewohnten Appetit.
‹Was ist mit ihm los?›, dachte ich bei mir. Warum auf einmal dieser Sinneswandel? Hatte ich alles doch nur geträumt? Auch die Nachricht vom Tod seines Sohnes? Er ließ mir meine Zweifel, vielleicht bemerkte er sie nicht einmal.
Als die Sonne sich anschickte, ihren höchsten Punkt zu erreichen, schien ihm der Moment gekommen, mich in sein Geheimnis einzuweihen.
Hannibal machte wieder eine Pause. Er stopfte sich eine neue Pfeife, wobei er zuvor die Wurzel gründlich reinigte. Mit tiefen Zügen inhalierte er den ersten Rauch. Mit jedem Zug wurde sein Gesicht verklärter, als gewinne er Abstand zu der Geschichte, als verarbeite er die Geschehnisse. Sogar die Falten auf seiner Stirn glätteten sich.
Der Rauch verteilte sich über die Runde der Zuhörer und hielt sie wie eine wärmende Decke zusammen.
Hannibal rührte mit einem Strohhalm im Glas herum. Als würde er im entstehenden Strudel seine Worte wiederfinden, begann er aufs Neue.
Wir saßen vor dem Haus, und die Sonne schien die Gedanken des Alten aufzutauen.
«Du wirst Dich gefragt haben, wo ich in den letzten Tagen war. Vielleicht hast Du Angst um mich gehabt, Dich vielleicht sogar nach mir gesehnt. Ich weiß es nicht. Aber ich war nicht allein. Ich war, Du wirst über mich lachen oder mich für verrückt erklären. Ich war bei GOTT.»
Er beobachtete meine Reaktion mit einem Seitenblick. Und ich muss zugeben, dass bei mir Sorgen um seinen Geisteszustand aufkamen.
«Wie? Du warst bei Gott.»
Der Alte setzte ein wissendes Lächeln auf. Wisst ihr, so wie Lehrer es haben, wenn sie eine Frage stellen und die richtige Antwort kennen.
«Du verstehst mich vielleicht nicht richtig. Ich habe es Dir auch nicht richtig gesagt.» Er fuchtelte mit den faltigen Händen.
«Ähm, nicht ich war bei Gott, sondern ER war bei mir.» Ein Lächeln zog seinen Mund glatt.
«Nicht wieder was Falsches denken. Ich hab‘ ihn nicht gesehen, nicht gehört, wie ich Dich höre und sehe. Doch ER hat zu mir gesprochen.»
Das wollte ich wissen. Was hatte der Alte erlebt, was war ihm widerfahren? Also fragte ich ihn frei heraus.
Der Alte nahm meine Hand in die seinen und machte ein geheimnisvolles Gesicht.
«Als Du neulich gekommen bist und ich Dir von meinem neuerlichen Unglück erzählt habe, konnte ich die ganze Nacht nicht so richtig schlafen. Immer wieder habe ich versucht herauszufinden, weshalb ich so geprüft werde.» Er wies mit dem Finger in den leeren Raum.
«Meine Kinder haben sich von mir zurückgezogen. Meine Frau ist schon lange tot, mein Hof, ja mein ganzes Leben hat an Sinn verloren. Immer wieder habe ich im Gebet gefragt, warum ich als Einziger weiterleben muss.» Er tupfte sich mit einem verwaschenen Taschentuch die Augen.
«Es gab keine Antwort, sondern neue Prüfungen und Qualen. Jeder Tag, den ich leben musste, war für mich ein weiteres Elend. Und oft habe ich mir gewünscht, das Haus breche über mir zusammen.» Dabei machte er eine ausladende Bewegung mit den Armen in Richtung Decke.
«Nichts dergleichen geschah, keine Ruhe, keine Erlösung für mich. In den vergangenen Jahren war mein Dasein nur darauf gerichtet, für meinen Sohn den Hof zu erhalten. Nun war alles umsonst. Als ich diese Nachricht erhielt, hatte ich auch den letzten Sinn meines Lebens verloren.»
‹Sag es schon!›, schrie es in mir.
«Ich gebe es zu», fuhr er fort, «ich hatte vor, mich aus dem Leben zu stehlen. Hatte mir einen Strick mitgenommen.» Mit einer flinken Bewegung um den Hals unterstrich er seine Worte.
«Doch zuvor wollte ich es wissen, wollte von IHM hören, warum er mich so quälte.» Er wies mit der Stirn in Richtung des Kruzifixes über der Tür.
«Ich ging in den Wald. Ging tief hinein, immer in der Absicht, eine Stelle zu finden, an der ich sicher vor Entdeckung wäre.» Der Alte trank einen Schluck des frisch gebrühten Kaffees.
«Die Zweige hingen zunehmend tiefer, der Weg wurde immer mühsamer. Nichts hielt mich auf. Der Farn schnitt mir in die Finger, ich ging weiter. Wenn ich Geräusche hörte, hoffte ich, es sei irgendein wildes Tier, das mich anfallen und töten werde. So gelangte ich an eine Stelle, von der ich keine Ahnung hatte, dass es sie gibt.» Er blickte mich Antwort heischend an, ohne eine zu erwarten.
«Du weißt doch, dass ich den Wald wie meine Westentasche kenne. Und doch hatte ich noch nie zu dieser Stelle gefunden.» Der Alte machte dabei ein Gesicht, als würde er über die ewige Belehrbarkeit des Menschen sprechen.
«Die Stelle war wunderschön.» Er strich mit der Hand durch die Luft, als würde er ein Bettdeck glatt streichen.
«Das Gras am Waldboden schmiegte sich schmeichelnd an meine Füße. Die Stämme der Bäume sahen aus, wie auf einem Zeichenbrett entworfen, so perfekt waren sie. In den Ästen der Tannen hingen so prachtvolle Zapfen, dass es jedes Eichkaterherz erfreut. In der Luft war ein Flirren, schön wie eine träumerische Melodie.» Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht.
«Ich ging wie betrunken durch dieses Waldstück, bis ich auf eine Lichtung trat. Sie war ganz mit Moos bedeckt, das eine so satte Farbe hatte, dass sogar mir das Wasser im Mund zusammenlief. Ja, dachte ich, hier ist der richtige Platz, um aus dem Leben zu gehen, hier wird sogar das Sterben zur Freude.» Sein Gesicht erhellte sich, als hätte er die Letzte aller Weisheiten erfahren.
«Mitten auf der Lichtung standen zwei Pappeln. Beide gleich groß, doch die eine schien schon sehr alt zu sein.
Ihre Blätter waren dunkler, ihre Rinde war von tiefen Furchen durchzogen. Als ich zu ihrem Wipfel hinaufblickte, sah ich, dass sie hier und da schon kahle Stellen zeigte. Sie war alt, doch unendlich schön.» Wieder erhob er seinen Arm, wies zur Zimmerdecke und darüber hinaus.
«Die kaum zehn Meter davon entfernt stehende Schwester war ebenso schön, jedoch war sie von einem frischen Grün. Ihre Blätter breiteten sich wie unzählige Fächer über alles Leben unter ihr. Sie stand stolz aufgerichtet mit glatter ebenmäßiger Rinde. Es stand das junge Leben neben dem alten, verbrauchten. Ich fragte mich, was das bedeuten sollte.» Er runzelte fragend die Stirn.
«Die alte Pappel hatte sicherlich ihre Aufgabe erfüllt und würde von einem Förster schon bald zum Fällen freigegeben werden. Was sollte sie noch hier? Ich setzte mich zwischen die beiden Bäume. Meine Hände fanden zusammen und ich begann zu beten.» Er faltete tatsächlich die Hände.
«Ich betete darum, doch endlich zu erfahren, wozu ich noch da war. Bat darum, zu wissen, warum eine Prüfung nach der anderen mich ereilte. Weshalb ich keine Erlösung von dem Elend fand. So saß ich einen Tag und eine Nacht, saß und betete. Nichts tat sich.» Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit und deckte das Lächeln, wie eine frische Schneedecke zu.
«Als ich lange genug gewartet hatte, ohne eine Antwort zu finden, stand ich auf und ging auf eine der Kiefern am Rande der Lichtung zu. Es kostete mich einige Mühe, den Baum zu erklimmen, mich mit einer Hand zu halten und das Seil mit der anderen zu befestigen.
Als ich es geschafft hatte und schon die Schlinge formte, hörte ich ein berstendes Geräusch hinter mir. Dem Bersten folgte ein Pfeifen, und im selben Augenblick glaubte ich, ein unendlich schmerzerfülltes Stöhnen zu hören. Ich drehte mich um und sah, dass eine der Pappeln umgestürzt