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ist immerhin Ihr eigenes, und ihm treu zu bleiben, ist Ihre Sache. Dem Gewissen anderer zu folgen, hieße, sich zu versklaven.

      Sie werden oftmals stolpern oder fallen, werden sich viele Wunden zuziehen und sich oft anstoßen. Machen Sie gläubig weiter und gehen Sie unerschütterlich davon aus, dass Ihnen der letztendliche Sieg gesichert ist!

      Suchen Sie nach einem Fels, einem Prinzip, und nachdem Sie fündig geworden sind, halten Sie sich daran fest.

      Bringen Sie diesen Fels unter Ihre Füße, stellen Sie sich aufrecht darauf, und Sie werden den Wellen und Stürmen der Selbstsucht trotzen.

      Denn Selbstsucht ist in jeder ihrer Formen Verschwendung, Schwäche und Tod. Selbstlosigkeit ist in ihrem spirituellen Aspekt Bewahrung, Macht und Leben.

      Je mehr das spirituelle Leben in Ihnen wächst und Sie nach Prinzipien leben, umso mehr werden Sie selbst der Unverwandelbarkeit und Schönheit dieser Prinzipien gleichen; Sie werden ihre unsterbliche Essenz spüren und das ewige und unzerstörbare Wesen des Gottes in Ihnen erfahren.

      7 Anspielung auf Matthäus 25,32. Bedeutung: das Gute vom Schlechten unterscheiden

      8 Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882) US-amerikanischer Geistlicher, Lehrer und Philosoph

       Kapitel 4Selbstlose Liebe vorleben

      Man sagt, dass Michelangelo in jedem unbehauenen Steinblock eine schöne Figur erblickte, die von der Hand eines Meisters herausgebracht werden müsse.

      Gleichermaßen befindet sich in jedem Menschen ein göttliches Ebenbild, das auf die meisterliche Hand des Glaubens und den Meißel der Geduld wartet, um hervorgebracht zu werden. Und dieses göttliche Ebenbild zeigt sich als makellose und selbstlose Liebe.

      In jedem menschlichen Herzen befindet sich – wenngleich oftmals von harten und undurchdringlichen Ablagerungen überwuchert – der Geist der göttlichen Liebe, dessen heilige und makellose Essenz nicht sterben kann und ewig ist.

      Das ist die Wahrheit im Menschen. Das ist der Anteil des Allerhöchsten, das Reale und Unsterbliche.

      Alles Übrige verändert sich und vergeht.

      Nur diese Wahrheit ist unvergänglich.

      Diese Liebe durch stetige Rechtschaffenheit zu leben, heißt, in ihr zu leben, sich ihrer bewusst zu werden, und im Hier und Jetzt in die Unvergänglichkeit einzugehen. Diese Bewusstwerdung ist ein Einswerden mit Gott, ein Einswerden mit der Wahrheit, mit dem zentralen Herzen aller Dinge, und die Erkenntnis unserer eigenen göttlichen und ewigen Natur.

      Um diese Liebe zu erlangen, sie zu verstehen und zu erfahren, muss der Mensch mit großer Beharrlichkeit und Sorgfalt an seinem Herzen und seinem Geist arbeiten; er muss seine Geduld immer wieder erneuern und stark im Glauben bleiben, denn es gilt, viele Ablagerungen zu beseitigen, bevor sich das göttliche Ebenbild in seiner Herrlichkeit zeigen kann.

      Wer nach dem Göttlichen in sich trachtet, wird immer wieder auf die Probe gestellt und muss sich auf zahlreiche Prüfungen einstellen.

      Dies ist auch notwendig, denn wie könnte diese außergewöhnliche Geduld, ohne die keine wirkliche Weisheit erlangt werden kann, sonst erworben werden?

      Immer wieder steht der Mensch vor einer Situation, in der sein Trachten ergebnislos geblieben zu sein scheint und seine Mühen vergeblich erschienen.

      Mitunter wird sein Bild von einer voreiligen Berührung verunstaltet und ein andermal, wenn er seine Arbeit für beinahe vollendet glaubt, muss er feststellen, dass das, was er für die schöne Form der göttlichen Liebe hielt, völlig zerstört wurde und er muss, geleitet von seiner bitteren Erfahrung, wieder von vorne beginnen.

      Wer sich jedoch fest vorgenommen hat, sich nach dem Höchsten auszurichten, erkennt auch, dass solche Schläge keineswegs Niederlagen sind. Alle Misserfolge sind nur scheinbar, nicht wirklich.

      Jeder Missgriff, jedes Stolpern, jeder Rückfall in die Selbstsucht, ist eine gelernte Lektion, eine gewonnene Erfahrung, aus der ein goldenes Körnchen Weisheit herausgezogen wird und dem Vorwärtsstrebenden hilft, sein vornehmes Ziel zu erreichen, „um aus seinen Mängeln eine Leiter zu bauen, und, sofern wir nur über jede Entgleisung hinwegsteigen, Höh’res zu schauen.“9

      Dieser Weg führt unweigerlich zum Göttlichen, und jeder auf diese Weise erkannte Fehltritt gleicht einem toten Selbst, über das er sich erhebt und der ihm als Trittstein für Höheres dient.

      Sobald Sie Ihre Schwächen, Ihre Sorgen und leidvollen Erfahrungen als Stimmen begreifen, die Ihnen verdeutlichen, wo Sie noch schwach und fehlerhaft sind, wo Sie dem Wahren und Göttlichen noch nicht entsprechen, werden Sie sich selbst unablässig beobachten, und jeder Fehltritt, jeder Schmerz, wird Ihnen aufzeigen, woran Sie noch zu arbeiten haben und was Sie aus Ihrem Herzen zu beseitigen haben, um der vollkommenen Liebe näherzukommen.

      Je mehr Sie sich Tag um Tag von der inneren Selbstsucht lösen, umso mehr wird die selbstlose Liebe durch Sie zum Ausdruck gebracht werden.

      Nachdem Sie geduldig und ruhig geworden sind, nachdem Ihre Launenhaftigkeit und Ihre Gereiztheit von Ihnen abgefallen ist und Sie die Gelüste und Vorurteile, von denen Sie bisher versklavt wurden, beherrschen, wissen Sie, dass das Göttliche nun in Ihnen erwacht ist und dass Sie dem ewigen Herzen nähergekommen sind. Sie wissen dann, dass Sie sich bereits sehr nahe an der selbstlosen Liebe befinden.

      Göttliche Liebe unterscheidet sich von der menschlichen Liebe insofern, als Erstere frei von Parteilichkeit ist. Menschliche Liebe richtet sich unter Ausschluss aller übrigen Objekte auf ein bestimmtes Zielobjekt, und wenn dieses Zielobjekt nicht mehr vorhanden ist, ist das Leid des Liebenden groß.

      Göttliche Liebe umfasst das gesamte Universum und klammert sich nicht an ein bestimmtes Einzelteil, sondern enthält in sich das Ganze, und wer sie über den Weg der allmählichen Reinigung und Erweiterung seiner menschlichen Liebesausrichtungen und der sich daraus ergebenden Beseitigung aller selbstsüchtigen und unreinen Elemente erlangt hat, hat sich vom Leid befreit.

      Aus einer absolut reinen Liebe, die für sich selbst nichts erstrebt, kann kein Leid erwachsen.

      Dennoch sind die menschlichen Liebesausrichtungen als Zwischenstufen zum Göttlichen durchaus notwendig; eine Seele kann nur dann an der göttlichen Liebe teilhaben, wenn sie auch zu einer tiefen und intensiven menschlichen Liebe fähig ist.

      Nur, indem wir die menschliche Liebe und die menschlichen Leiderfahrungen durchmachen, können wir die göttliche Liebe erlangen und verwirklichen.

      Jede menschliche Liebe wird durch einen menschlichen Hass ausgeglichen. Es gibt jedoch eine Liebe, welche keinen Gegenpart und keine Gegenreaktion zulässt; diese Liebe ist göttlich und selbstlos und versprüht ihren Duft auf jedermann gleichermaßen.

      Die menschliche Liebe ist eine Widerspiegelung der göttlichen Liebe und zieht die Seele näher an die Wirklichkeit, an die Liebe, welcher Leid und Wandel nicht bekannt sind, heran.

      Es ist gut, dass die Mutter, deren Zärtlichkeit auf das kleine hilflose Wesen an ihrer Brust überströmt, durch die dunklen Gewässer des Leides schreitet, wenn sie dieses fleischliche Wesen auf dem kalten Erdboden liegen sieht. Es ist gut, dass ihre Tränen fließen und ihr Herz schmerzt, denn nur so kann sie an die vergängliche Natur der Freuden und der sinnlichen Objekte erinnert werden und der ewigen und unvergänglichen Realität näherkommen.

      Es ist gut, dass der Liebende, der Bruder, die Schwester, der Ehemann oder die Ehefrau Qualen leidet, wenn das sichtbare Objekt seiner oder ihrer Zuneigung fortgerissen wird, denn diese Lektion bringt den Liebenden dazu, seine Zuneigung der unsichtbaren Quelle von allem zuzuwenden.

      Nur dort kann beständige Befriedigung gefunden werden.

      Es ist gut, dass der Stolze, Ehrgeizige und Selbstsüchtige Niederlagen, Erniedrigung und Ungemach zu erleiden und das glühend heiße Feuer der Bedrängnis zu durchschreiten hat, denn nur so kann die auf Abwege geratene Seele dazu gebracht werden, über das Rätsel des Lebens nachzudenken. Nur so kann sich das Herz erweichen, und für

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