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stehen. Nachdem er die ganze Klasse abgefragt hatte, mussten alle, die noch standen, sich über ihr Pult beugen, um seine Züchtigung mit einem langen Zeigestock entgegen zu nehmen. Da wir zu viert auf einer Bank saßen, kamen die in der Mitte immer am schlechtesten dabei weg, weil man von seinen Hieben zweimal getroffen wurde. Obwohl seine Methoden nach heutigem Standard furchterregend sein mochten (geschweige denn erlaubt), haben sie uns auch nicht einschüchtern können. Wenn ich mal lernfaul war, dann ließ ich es eben darauf ankommen. Manchmal musste ich zur Strafe nachsitzen, das war aber nicht so schlimm, denn Herr Raguse war oft sehr beschäftigt und hatte wenig Zeit.

      Kurzerhand forderte er uns dann auf, mit ihm nach Hause zu gehen, wo wir die uns aufgetragenen Arbeiten erledigten. Des Öfteren zog es ihn auf die Jagd, und er wäre uns am liebsten gleich los geworden. Ich nutzte diese Gelegenheiten aus und überredete ihn, mich mit auf die Jagd zu nehmen. Er rief dann bei meinem Vater an, um dessen Erlaubnis zu bekommen. Mein Vater bestand darauf, dass ich zuerst nach Hause komme, um etwas zu essen. Ich wusste dann schon, dass mit dem Essen ein Nachtisch von ein paar Ohrfeigen fällig war.

      In meinen Schuljahren mangelte es nicht an Freunden. Wir fanden immer reichlich zu tun, und wir nahmen jede Gelegenheit wahr, in den ansässigen Handwerkerbetrieben etwas zu lernen. Schon auf dem Heimweg von der Schule war es die Tischlerei Radmer, wo wir einkehrten, um den Schreinern zuzuschauen, wie sie aus rohem Holz die schönsten Möbelstücke fertigten. Herr Radmer und mein Vater waren befreundet, und er war derjenige, der mich später, als mein Vater starb, so großartig unterstützte. Wir gingen den Schreinern bei ihrer Arbeit zur Hand, so gut wir konnten. Als Belohnung bekamen wir dann das für uns so heiß begehrte Balsaholz, aus dem man diverse Sachen basteln konnte.

      Auch zu unserem Schmied, Herrn Kukies, ging ich gerne. Dort durfte ich verbogene Hufnägel wieder gerade klopfen. Es war immer interessant zu beobachten, wenn ein Pferd mit neuen Hufeisen beschlagen wurde oder einfach dabei zu sein, wenn Herr Kukies zusammen mit seinem Gesellen ein Stück heißes Eisen im Takt auf dem Amboss bearbeitete. Herr Kukies hielt dann das glühende Eisen mit einer Zange auf den Amboss, klopfte auf das Eisen mit einem kleinen Hammer, während der Geselle diesem Werkstück zu dem angegebenen Takt mit einem schweren Vorschlaghammer eine bestimmte Form gab.

      Wir wohnten in einem Zweifamilienhaus zusammen mit Familie Freese. Herr Freese war Lokomotivführer bei der Kleinbahn, die zwischen Großjestin und Kolberg pendelte, sowie weiter südlich nach Regenwalde. Oft war Herr Freese zur Mittagszeit auf dem Bahnhof, und ich brachte ihm häufig sein warmes Mittagessen. Bei dieser Gelegenheit durfte ich auf der Lokomotive herumklettern, was für mich immer ein besonderes Vergnügen war. Des Öfteren habe ich ihn abends abgeholt, dann durfte ich mit ihm ins Rundhaus fahren, wo die Lok für die Nacht untergebracht war. Bevor Herr Freese nach Hause ging, wurden die Armaturen auf Hochglanz gebracht, wobei ich nach Kräften half. Der Geruch von Kohle und Schmieröl, der an der Putzwolle haftete, zieht mir heute noch durch die Nase.

      Herr Freese zeigte mir auch, wie man Figuren aus Blei gießen konnte. Mit meinem ersparten Geld kaufte ich mir eine Form, mit der man tolle Reitersoldaten herstellen konnte. Das Blei besorgte ich mir in der Grube auf dem Schießstand des Schützenvereins neben einer alten Windmühle. Bei dem Bleigießen zündete ich einmal beinahe unser Wirtschaftsgebäude an. In meiner Dummheit wollte ich Benzin in eine Konservendose gießen, die Kelle mit Blei darauf und auf diese einfache Weise das Metall schmelzen. Irrtum! Als ich das Streichholz anzündete, stand der ganze Wirtschaftsraum auch schon in Flammen. So schnell ich konnte, lief ich raus. Dass ich nicht von der Stichflamme erfasst wurde, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich holte meinen Vater zur Hilfe, der das Feuer sehr schnell unter Kontrolle brachte. Ich glaube, das war das einzige Mal, dass ich für meinen Unfug nicht bestraft wurde. Mein Vater sagte nur: „Ich hoffe, du hast daraus gelernt!"

      Die Freeses hatten einen Sohn, der im Winter zum Urlaub nach Hause kam und dann des Öfteren auf seinen Skiern über die zugeschneiten Wiesen lief. Ich folgte ihm einmal eine Weile mit meinem Rodelschlitten, konnte aber nicht mithalten, da es zu schwierig war, in dem tiefen Schnee hinter ihm her zu laufen. Da kam ich auf die Idee, dass ich ebenfalls unbedingt ein paar Ski brauchte. Von meinen Eltern richtige Skibretter zu bekommen, war gar kein Thema, dafür hatten sie kein Geld. Meine Freunde und ich versuchten es zuerst mit Tonnenbrettern. Die Bretter konnten wir vom Böttcher Helwig bekommen, die er uns schmunzelnd schenkte. Er wusste schon warum. Die Bretter waren zu kurz und wir zu schwer, um damit über den Schnee zu gleiten. Eine andere Lösung musste her! Im Dorf hatten wir noch einen Stellmacher, der notwendig war, da alle Bauern mit Pferd und Wagen arbeiteten und im Winter Pferdeschlitten benutzten, um ihre Arbeiten zu verrichten. Hin und wieder brauchte jemand ein neues Wagenrad oder eine neue Kufe für den Schlitten. Auch den Stellmacher, Herrn Scheutzow, habe ich oft besucht, um ihm bei seiner Arbeit zuzuschauen. Ich war immer wieder aufs Neue begeistert zu sehen, wie er aus einem rohen Stück Holz in Handarbeit Wagenspeichen oder sogar ganze Wagenräder machen konnte. Im Winter durfte ich bei ihm den eisernen Ofen, der mitten in der Werkstatt stand, mit Holzabfällen und Spänen füttern, die es zur Genüge gab. Herr Scheutzow hat mich immer gerne in seiner Werkstatt gehabt, ich glaube, er brauchte das Lob und die Anerkennung, die er immer wieder von mir für seine Geschicklichkeit bekam. Heute weiß ich, wie wichtig solche Anerkennung ist, zu jener Zeit war mir das noch nicht bewusst.

      Nachdem wir die Niederlage mit den Tonnenbrettern verarbeitet hatten, entschied ich mich, Herrn Scheutzow darum zu bitten, mir vielleicht die heißersehnten Skier zu machen, damit ich endlich den Schnee so richtig genießen konnte. Zu meiner Überraschung stimmte er zu. Er suchte sich einen Birkenstamm aus, den er auf seine Säge legte und davon Bretter ausschnitt, die für meine Größe passend waren. Die Bretter glättete er mit einem Hobel und formte Spitzen an einem Ende. Nachdem das fertig war, zog er beidseitig eine Rille über jedes Brett. Dieser ganze Prozess dauerte mehrere Tage, und ich konnte kaum die Zeit abwarten, bis ich wiederkommen durfte, um bei dem nächsten Arbeitsgang zuzuschauen. Nachdem all diese Arbeiten gemacht waren, durfte ich einen Eimer voll Wasser auf dem Ofen zum Kochen bringen. Er steckte die Bretter mit den Spitzen in das kochende Wasser, wonach sich die Spitzen dann mit Leichtigkeit in eine Halbmondform biegen ließen. Herr Scheutzow befestigte die Bretter mit den gebogenen Spitzen zwischen den Wasserrohren unter der Decke der Werkstatt. Dort blieben die Bretter ein paar Tage hängen, bis sie trocken waren und danach ihre Form hielten. Jetzt war ich der stolze Besitzer von ein paar Brettern ohne Bindung. Nun marschierte ich zu der Schmiede von Herrn Kukies, der behilflich war, ein Stück Blech so zu formen, dass die Spitzen der Schuhe hineinpassen würden. In diese Bleche bohrte er mir ein paar Löcher, damit ich sie an die Bretter schrauben konnte. Mit den Brettern und dem Anfang einer Skibindung, fehlten jetzt nur noch ein paar Ledergurte, damit die Schuhe einen festen Halt haben würden.

      Die Ledergurte schnorrte ich mir bei unserem Sattler Kröhl. Auch er war begeistert von meinem Erfindergeist und gern bereit, mir weiter zu helfen. Er gab mir die nötigen Lederreste, die ich selbst zuschneiden durfte, dazu ein paar Schnallen und Nieten. Er machte mir vor, wie die Schnallen anzubringen waren und wie man Löcher in die Gurte stanzte. Herr Kröhl zeigte mir sogar, wie man den Gurten einen schönen Rand gibt, damit sie etwas professioneller aussahen. Jetzt musste nur noch Bienenwachs her, um den Brettern eine gute Rutschfähigkeit zu geben. Kurt Quades Großvater hatte eine Bienenzucht, und da er jedes Jahr Honig schleuderte, wusste ich, dass er auch Bienenwachs hatte. Kurt war mein Klassenkamerad, und so war es kein Problem, das Wachs zu bekommen.

      Ich möchte erwähnen, dass Kurt und andere Klassenkameraden, unter anderen auch Gerhard Rattunde, nach dem Kriege weit nach Russland verschleppt wurden, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Kurt ist nicht wieder zurückgekommen. Gerhard und seine Leidensgenossen haben ihn in der Wüste des russischen Lagers Nebit Dag, in der Nähe des Kaspischen Meeres, beerdigt. (Gerhard hatte Kurts Tagebuch retten können, und dessen Eintragungen wurden veröffentlicht in dem Büchlein „Großjestin – Ein Dorf im Kreis Kolberg – Körlin”.)

      Wegen meiner Skiausrüstung wurde ich von meinen Freunden beneidet, und ich bin sicher, Herr Scheutzow hätte damit ein Bombengeschäft machen können. Seine gute Tat habe ich nie vergessen! Fragt mich nicht, was für Skistöcke ich benutzte, ich weiß es wirklich nicht mehr. Auf alle Fälle war ich jetzt gut gerüstet, um den Schnee so richtig mit meinen neuen Skiern auszunützen. Wenn es die Zeit erlaubte, zog ich mit meinen Freunden in die Lubahn, um von den kleinen Hügeln auf unseren

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