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öffentlich zum Objekt der professionellen Betrachtung in der Rolle als Journalistin, Filmemacherin und Psychologin zu machen, ist weniger einfach, zwiespältig und in gewisser Hinsicht auch ein wenig verrückt. Dass Sie sich offenbar angesprochen gefühlt haben, in die Episoden meiner Lebensreise eintauchen zu wollen, freut mich erst einmal sehr. Dass Sie mich mit Toleranz und Verständnis auf diesem schwierigen Pfad begleiten, das wünsche ich mir.

       Reise in die Vergangenheit

       Begegnung im Flieger

      Der Flieger von Hamburg nach Athen startete mit einer halben Stunde Verspätung. Hoffentlich bekomme ich den Anschluss-Flug nach Karpathos, sorgte ich mich. Sonst müsste ich in Athen übernachten, in der Stadt, mit der ich immer noch verbinde, was mich mit neunzehn Jahren dorthin geführt hatte: meine erste große Liebe. Als ich damals im Januar 1960 dort ankam, sah ich eine glückliche Zukunft vor mir. Mit Dimitri, dem Mann, dem ich in England begegnet bin. Ich war ihm vom ersten Moment an verfallen. In den sechs Jahren, die ich mit ihm in England, Griechenland und Spanien verbrachte, durchlebte ich ein Wechselbad der Gefühle: Ich liebte bis zur Selbstaufgabe, ich hoffte, ich war enttäuscht, ich war wütend, hilflos, verzweifelt und trotzig.

      Am frühen Morgen hatte ich mich am Flughafen in Hamburg von meinem dritten Mann Frankie verabschiedet. Ich sah ihn winkend vor der Absperrung stehen, die nur Fluggästen vorbehalten war. Irgendwie wirkte er verloren. Er warf mir mit der rechten Hand Küsschen zu. Lange und ganz fest hatte er mich umarmt und mir immer wieder versichert, wie sehr er meinen Entschluss unterstütze, mich schreibend meiner Vergangenheit zu stellen. Ich dachte liebevoll an ihn. Er würde mir fehlen. Ein Mann, der jeden Menschen in seiner Würde respektiert, egal woher er kommt. Der sich bemüht, hinter die Dinge zu schauen, nicht gleich urteilt, der freiheitsliebend ist, so wie ich auch. Diese Eigenschaften sind seinen Erfahrungen als Kameramann und den Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Herkunft in fast jedem Winkel der Welt geschuldet. Uns verbindet seit mehr als fünfunddreißig Jahren eine innige, zärtliche Liebe. Bei Radio Bremen hatten wir uns kennengelernt.

      Im Flieger nach Athen saß eine sportlich gekleidete Mittdreißigerin neben mir. Sie lächelte mich freundlich an. Offenbar hatte sie Lust, sich zu unterhalten. Als Fernsehjournalistin und Diplompsychologin war ich viele Jahre mit Frauenschicksalen konfrontiert. Was sich wohl hinter ihr verbarg? Ob sie denn auch noch weiterreise, fragte ich. „Ja“, entgegnete sie lebhaft. „Ich fahre nach Agistri, einer kleinen Insel unweit von Athen.“ Dort erwarte sie eine Gruppe, um mit ihr an Träumen zu arbeiten. Ich zuckte innerlich zusammen: Was für ein Zufall. Dass ich ebenfalls seit vielen Jahren als Traumtherapeutin arbeite, behielt ich erst einmal für mich. Ich forderte sie auf zu erzählen und sie plauderte munter darauf los: Sie sei Psychodramatherapeutin, die Szenen der Träume würden gespielt und was dabei an Gefühlen hochkomme, sei das Wichtigste dieser Arbeit. Manchmal schlüpften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch in Figuren aus der griechischen Mythologie und je nachdem, welche Rolle sie sich ausgesucht hätten, könnten Schlussfolgerungen auf ihre innere Welt gezogen werden. „Ich kenne Traumarbeit sehr gut“, hörte ich mich sagen, „wenn auch mit einem anderen Ansatz.“ Die junge Frau war verblüfft. Und dann erzählte ich ihr, dass meine Lehrmeisterin, die Traumforscherin Ortrud Grön und ich, viele Jahre lang Traumseminare auf Thassos, einer Insel im Norden Griechenlands, geleitet haben. Im Konzept von Ortrud Grön spielt die sogenannte „Gleichnissprache“ eine große Rolle und den Bildern der Natur wird eine wichtige Aussagekraft zugeschrieben. Ortrud Grön geht davon aus, dass „die Evolution der Natur, sich in der geistigen Evolution des Menschen wiederholt.“ Damit konnte meine Sitznachbarin nichts anfangen. Also erzählte ich von unserem Film über Ortrud Grön: „Dem Traum des Lebens auf der Spur - Träume als Gleichnis von Naturgesetzen verstehen“ und bot an, ihn ihr zu schicken, sobald ich wieder zu Hause sei.

      Dann wechselten wir das Thema: Welche Europäischen Sehenswürdigkeiten sollte man unbedingt gesehen haben. Ich erwähnte eine einwöchige Reise mit meinem Mann nach Andalusien. Als Kameramann hatte er Mitte der sechziger Jahre unter anderem in der Mesquita in Cordoba und auf der Alhambra in Granada, diesen einmaligen maurischen Monumenten, eine Dokumentation gedreht. Für ihn war es ein Wiedersehen und für mich eine spannende Neuentdeckung. Bei dem Wort „Alhambra“ reagierte meine Sitznachbarin sichtlich erschrocken. Mit ihrem spanischen Mann und seinen Eltern hatte sie sieben Jahre lang ein kleines Lokal unterhalb der Alhambra betrieben. Leider war ihre Ehe auseinandergebrochen und sie ist mit ihrem Sohn nach Deutschland zurückgekehrt. „Ich war in jungen Jahren mit einem Griechen verheiratet“, sagte ich. „Jetzt bin ich auf dem Weg nach Karpathos, um in der Einsamkeit dieser griechischen Insel über meine Erlebnisse vor fast sechzig Jahren zu schreiben.“ „Dass wir nebeneinander sitzen in einem Flieger mit mehr als dreihundert Personen an Bord, kann doch kein Zufall sein!“ Wir verabschiedeten uns herzlich. Ich wünschte ihr ein erfolgreiches Seminar. Noch im Aussteigen rief sie mir zu: „Lassen Sie sich von der Muse küssen!“

      Tagebuch Nr. 1 - Ankunft auf Karpathos.

      Am Flughafen erwartet mich Renos, der Taxifahrer. Die Fahrt über die Insel ist im ersten Moment eine Enttäuschung. Schroffe, steile Felsen, die nur von kleinen Büschen bedeckt sind. Von Thassos bin ich das üppige Grün der Pinien- und Olivenbäume gewöhnt. „Wie in den Schweizer Alpen“, denke ich. Renos scheint meine Gedanken zu erfassen. „Ichame fotia etho …“ - Wir hat-ten hier mehrere Feuer, da ist viel Wald kaputtgegangen. Es dauert halt, bis das nachwächst.

      Die Fahrt ist kurvenreich, die Straße nicht besonders befes-tigt. Renos fährt sehr vorsichtig, obwohl uns nur wenige Autos entgegenkommen. Immer wieder macht er mich auf die herrli-chen Buchten aufmerksam, die versteckt am Meer liegen. Nach ca. 45 Minuten kommen wir in Lefkos an, der Mitte der Insel.

      Ich bin entzückt von meiner Unterkunft. Ein kleines, weißes Appartementhaus mit sechs Einheiten. Das Meer vor der Tür. Die Wirtsleute Maria und Nikos empfangen mich herzlich. Ich be-ziehe ein Zimmer im ersten Stock. Der Blick vom Balkon ist spek-takulär – türkis-blaues Meer, feinster Sandstrand, direkt vor dem Haus. Schräg gegenüber: Einstöckige, kleine, weiße, vier-eckige Häuschen mit blauen Fensterläden. Ein geschützter Ha-fen mit einigen kleinen Fischerbooten. Davor mehrere Tavernen mit blauen Holzgittern auf den Terrassen. Die Nachbarinsel Kasos taucht wie eine Fata Morgana aus dem Meer auf. Das Bild wird sich je nach Wind täglich verändern. Mein Zimmer – mit einem Doppel- und einem Einzelbett - ist sehr einfach. Zwei Kochplatten, das Nötigste an Geschirr für kleine Mahlzeiten.

      In der ersten Nacht schlafe ich schlecht. Die Matratze ist ge-wöhnungsbedürftig. Ich spüre jede Stepp-Naht. Darunter lose harte Bretter. Mitten in der Nacht kracht eins davon mit einem Höllenlärm herunter. Gott sei Dank ist bisher nur ein Apparte-ment belegt.

      Der nächste Morgen. Um sieben Uhr stehe ich auf. Die Sonne zeigt sich schon. Es ist mucksmäuschenstill. Noch scheint die kleine Ansammlung von Häusern mit ihren Bewohnern im Tief-schlaf. Ich schnappe meinen Rucksack, ziehe feste Schuhe an. Wo bin ich gelandet? Um die Ecke des kleinen Mini-Marktes zwei weitere herrliche Buchten mit feinstem Sandstrand. Ziegen knabbern an dem wenigen Grün. Der Wind streicht sanft über meine Haut. Weit und breit keine Menschenseele. Ich ziehe mei-ne Kleidung aus, tauche ein in das kristallklare Wasser. Ich bin angekommen.

      Hier werde ich sieben Wochen bleiben und schreiben.

       1953 - Der Schwur am Brunnen

      Aufbruchstimmung in Deutschland. Die ersten Motorroller und VW-Käfer eroberten die Straßen. Ich war dreizehn Jahre alt, Schülerin eines Real-Gymnasiums für Mädchen in Frankfurt am Main. Mein verehrter Lehrer Müller aus der Volksschule hatte mich ermutigt, die Aufnahmeprüfung für die „höhere Schule“ zu machen. „Ich weiß, dass du das schaffst!“ Und ich habe es geschafft.

      Von Anfang an fühlte ich mich in der neuen Schule unwohl. Die Mädchen kamen aus so genannten „besseren Kreisen“. Ihre Väter waren Juristen, Journalisten oder Kaufleute. Manche Mütter hatten eine akademische Ausbildung. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater ein verheirateter Mann. Damals habe ich mich geschämt, wenn ich mich für die unterschiedlichen Namen rechtfertigen musste. „Wieso das denn?“, fragten die Klassenkameradinnen. Ich war anders als sie, fühlte mich ausgegrenzt, argwöhnisch beäugt.

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