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während des Essens Jans Fall oder die Fälle diskutiert. Kai war der Meinung, dass zwar ein Zusammenhang zwischen der toten und der verschwundenen Frau nicht zwangsläufig bestehen müsste, wollte es aber auch nicht ausschließen. Also riet er Jan, in beide Richtungen weiter zu ermitteln.

      Jan sagte gerade: „Soweit war ich auch schon, nur habe ich momentan nichts, wo ich ansetzen könnte. In Lisa Neumanns Fall hat der oder haben diejenigen, die sie eventuell ins Wasser geworfen haben – und ich sage extra eventuell! – sich eines Unfalls mit Todesfolge oder nur der Störung der Leichenruhe schuldig gemacht. Unser Doc hat Genickbruch festgestellt und war der Meinung, dass jede Hilfe zu spät gekommen wäre. Also stelle ich diesen Fall erst einmal hintenan. Die verschwundene Frau zu finden, hat Priorität.“

      Kai sah gedankenverloren vor sich hin. „Was diese Doro gesagt hat, leuchtet ein. Freiwillig ist sie bestimmt nicht weggeblieben, da sie wusste, dass Rena kommt. Also solltest du da vielleicht von einem Gewaltverbrechen ausgehen. Wann kommt die Suchmeldung in die Medien?“

      „Im Fernsehen wird heute Abend das Bild bei jeder Nachrichtensendung eingeblendet. Morgen erscheint es in den Zeitungen.“

      „Hoffen wir mal, dass sich wenig Wichtigtuer melden und dafür vielleicht ein brauchbarer Hinweis kommt.“

      „Dein Wort in Gottes Ohr.“

      Kais Telefon schellte. Als er sich meldete, hörte er ein Schluchzen am anderen Ende. Vorsichtig fragte er: “Rena?“ Ein Nasenschniefen und danach ein leises „ja“ waren die Antwort.

      „Was ist geschehen?“

      „Ich bin nicht mit weggefahren, ich konnte einfach nicht.“ Wieder Schluchzen. „Und dann habe ich den Aufruf ihm Fernsehen gesehen… und ich bin so verzweifelt, ich weiß nicht, was ich machen soll…können Sie nicht herkommen?“

      „Einen kleinen Moment, bitte.“

      Er hielt die Hand übers Telefon. „Es ist Rena. Sie ist völlig aufgelöst. Sie möchte, dass ich zu ihr komme. Du weißt, dass ich nicht in die Wohnungen von Klienten gehe, aber ich denke, in diesem Fall sollte ich eine Ausnahme machen. Wie siehst du das?“

      Jan nickte. „Fahr zu ihr und beruhige sie.“

      Er nahm die Hand vom Telefon und sagte: „Ich bin in 20 Minuten bei Ihnen.“

      Rena hatte alle Räume hell erleuchtet. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Augen verschwollen.

      „Ich habe so Angst, dass Mama etwas zugestoßen ist“ war das Erste, das sie sagte, als Kai die Wohnung betrat.

      Er sah sich im Wohnzimmer um. Es war gemütlich eingerichtet. Eine dunkelblaue Sitzgruppe und ein Glastisch standen auf einem beigen Teppich, die beiden Fensterbänke waren mit wunderschön geformten farbigen Glasgefäßen dekoriert. Zwei große Zimmerpflanzen verschönten die Seiten des Zimmers, und gegenüber der Couch stand ein asymmetrischer Schrank, in dem auch ein Fernsehgerät untergebracht war. Ein Eckschrank voller Bücher vervollständigte die Einrichtung.

      „Darf ich mir die anderen Räume auch noch ansehen?“ fragte Kai, und Rena nickte dazu.

      „Sie können sich alles ansehen. Ich koche einen Kaffee. Ist das ok?“.

      „Gern, bitte ohne alles für mich.“

      Er ging zurück in die Diele und folgte Rena in eine kleine aber funktionale Küche. Daneben schloss sich das Badezimmer an, auch hier alles sauber und aufgeräumt. Gegenüber lagen das Schlafzimmer von Marion Berkhof und ein kleines, etwa 8 qm großes Kinderzimmer, in dem die Tasche und der Rucksack von Rena standen.

      Kai ergriff in der Küche die Kaffeekanne, während Rena die Tassen auf den Tisch im Wohnzimmer stellte. Sie hatte sich ein wenig beruhigt und bemühte sich, langsam und mit gefestigter Stimme zu sprechen.

      „Sehen Sie“ sagte sie zu Kai, „wenn meine Mutter in absehbarer Zeit nicht wiederkommt, was mache ich dann mit der Wohnung? Mit meinen Nebenjobs kann ich für mich und mein Studium sorgen, ich bekomme ja auch BAföG, aber ich kann die Wohnung nicht behalten. Und wenn Mama dann eines Tages doch wieder auftaucht, was dann?“

      Wieder traten ihr Tränen in die Augen, die sie aber tapfer wegblinzelte.

      „Ich möchte gerne hier auf sie warten, aber gleichzeitig sagt mir mein Kopf, dass es sinnvoller wäre, zurück nach Bochum zu fahren und die Semesterferien dazu zu benutzen, Geld zu verdienen. Ich bin so zerrissen und kann mich für nichts wirklich entscheiden.“

      Kai ließ sie reden und schwieg auch in den Redepausen. Indem Rena ihre Problematik aussprach, würde sie die für sie sinnvollste Lösung selbst herausfinden. Sie fuhr fort:

      „Für diesen Monat ist die Miete ja schon bezahlt. Was glauben Sie, kann ich die Wohnung weiter vermieten? Sozusagen auf Abruf. Damit Mama, wenn sie wiederkommt, einziehen kann. Dann wären die Kosten gedeckt, und sie würde ihr Zuhause behalten“, und nach einer langen Pause: „Sie glauben doch auch, dass sie wiederkommt, oder?“

      „Im Moment ist noch alles Spekulation“ sagte Kai. „Es gibt keinen Anhalt, weder für noch gegen ein Wiederauftauchen. Aber bei dem Wohnungsproblem kann ich Ihnen vielleicht helfen. Geben Sie mir ein oder zwei Tage Zeit Was studieren Sie eigentlich?“

      „Theaterwissenschaft und Schauspiel.“

      „Das ist sicher sehr interessant.“

      „Ja, ich habe Glück und kann immer mal wieder in der Edelkomparserie arbeiten, das bringt ein paar Euro zusätzlich. Jetzt, während der Semesterferien ist außerdem für einige Theater Freilichtsaison… “

      „..die Sie aber nicht wahrnehmen können, weil Sie hier sind“ vollendete Kai den Satz.

      Sie nickte und nippte an ihrem Kaffee. Dann sagte sie: „Ich fahre am Wochenende zurück nach Bochum. Ich darf sie doch auch von dort anrufen, nicht wahr?“

      „Natürlich, wir bleiben in Verbindung.“

      „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.“

      „Schon gut. Sie sollten jetzt versuchen zu schlafen. Ich melde mich morgen oder übermorgen bei Ihnen“. Kai stand auf und ging zur Tür. Er blickte auf Rena, die klein und verloren auf der Couch saß. „Kopf hoch“ sagte er, „wir finden Ihre Mutter!“ In seinem Kopf sagte eine leise Stimme: „Fragt sich nur… wie?“

      Gregor hatte gerade mit der Abendschicht an der Rezeption gesprochen, als sein Handy vibrierte. Als er Ralfs Nummer sah, ging er zurück in sein Büro und schloss die Tür.

      „Was gibt es?“ fragte er nicht eben begeistert.

      „Hast du Nachrichten gesehen? Sie haben es im Fernsehen gebracht?“

      „Was genau haben sie gebracht?“

      „Sie suchen Marion. Du weißt schon…sachdienliche Hinweise und so weiter.“

      „Das heißt, sie haben sie noch nicht gefunden. Kann uns nur Recht sein, je länger sie verschwunden bleibt, desto geringer ist die Chance, noch irgendwelche Spuren zu finden, die Rückschlüsse zulassen. Also reg dich ab.“

      „Und wenn sie jemand am Bootssteg gesehen hat?“

      „Da war niemand. Wegen Lisa hat sich doch offensichtlich auch noch niemand gemeldet. In ein paar Tagen sind andere Sachen aktuell, dann kräht kein Hahn mehr danach. Verlier jetzt nicht die Nerven!“

      „Das sagt sich so einfach. Bei jedem Besucher, der in die Galerie kommt, geht mir der Arsch auf Grundeis. Und das alles nur, weil Bernie so ein Idiot ist.“

      „Reiß dich zusammen – und vor allen Dingen: Lass die Finger vom Alkohol und allem anderen! Hast du das verstanden?“

      „Ja, hab ich. Tschüss!“

      Gregor steckte sein Handy ein und fluchte leise.

      Doc saß fast zwei Stunden lang regungslos und überlegte. Dann stand er auf und sah nach der Frau. Ihr Puls ging kräftiger als vorher, aber ihr Atem rasselte.

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