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wir uns einem Wein annähern, nehmen wir zuerst mit der Nase seine Aromen wahr. Sie wecken und steuern unsere Vorfreude. Erinnern sie uns an reife Früchte, so erwarten wir einen eher weichen und runden, vielleicht sogar leicht süßen Wein.

      Die Zungenspitze bestätigt sie (oder auch nicht) durch die Geschmacksempfindung der Süße. Tritt sie hervor, empfinden wir den Wein als weich und pastos, tritt sie zurück, als frisch und leicht. Zusammen mit der Geschmeidigkeit des Alkohols und des Glycerins entsteht nun ein Bild von der Weichheit des Weins. Wir nehmen seinen Körper wahr.

      Unmittelbar nach der Süße folgen die Empfindungen von Säure, Bitterkeit und Adstringenz. Sie bilden das Gegengewicht zur Weichheit der Süße und geben dem Körper Halt und Struktur. Er erhält gewissermaßen sein Rückgrat und sein inneres Skelett.

      Je nach Typus und Charakter des Weins kann sich das Gleichgewicht zwischen weichem Körper und fester Struktur verschieben: Soll ein Riesling schlank und federnd sein, wird die Struktur, und das heißt in diesem Fall, die Säure, dominieren. Vielleicht belässt ihm der Kellermeister einen Hauch an Süße, damit er nicht hart und scharf wirkt. Auf der anderen Seite tendiert ein Chardonnay aus Kalifornien vielleicht in Richtung weich, rund und üppig. Dann dominieren diese Anteile in seinem Körper. Trotzdem muss ihm der Winzer genügend Säure mitgeben, sonst verliert der Wein seinen Halt und zerfließt formlos am Gaumen.

      Die Rolle, die bei den Weißweinen die Säure spielt, kann bei den Rotweinen das Tannin übernehmen: Ein leichter fruchtbetonter Beaujolais erhält seine Struktur wie ein Weißwein vor allem durch die Säure, ein Bordeaux dagegen vom Tannin, während ein Chianti von beiden Strukturelementen profitiert.

      BEIM SCHMECKEN RIECHEN

      Unsere Mundhöhle ist kein abgeschlossener Raum, sondern über den Rachen mit der Nase verbunden. Das ist der retronasale Weg. Wir riechen deshalb eigentlich zweimal: einmal direkt mit der Nase und einmal indirekt beim Schmecken über den retronasalen Weg. Dieser ist von größter Wichtigkeit: Der Wein erwärmt sich nämlich im Mund, wird beim Schlürfen mit Luft angereichert und gibt so erneut eine Fülle von Aromastoffen frei, die beim Schlucken automatisch wieder in den Nasenraum aufsteigen. Wir riechen beim Schmecken ein zweites Mal.

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      Qualität und Bewertung

      Das Ganze ist mehr als seine Teile

      Nun kommen wir zum schwierigsten Teil unserer Analyse, wir beurteilen den Wein in seinem Gesamtbild. Wir haben seine Farbe bestimmt, seine Aromen analysiert, seinen Geschmack beschrieben und schließlich auch seinen Körper und seine Struktur entdeckt. Was heißt das nun aber alles für die Qualität des Weins? Was sagen diese Teile aus über das Ganze? Hat er von allem etwas mehr und heißt das, er ist deshalb besser als ein anderer? Oder kommt es in erster Linie auf die Harmonie der Teile an, wie in einem Team, das Fußball oder ein Musikstück spielt?

      Der nachdenkliche Weinliebhaber ordnet seine Eindrücke vielleicht zunächst auf Degustationsblättern. Er schreibt seine Beurteilung wohlgeordnet nach Auge, Nase, Gaumen auf. Viele Degustationsblätter sehen dafür auch Zahlenwerte vor. Am Schluss zählt man zusammen und erhält eine Summe. Ist das jetzt die Qualität des Weins? Was aber, wenn die Farbe wunderbar leuchtet, der Duft uns betört, im Gaumen aber eine übermäßige Bitterkeit uns die ganze Freude verdirbt? Da können alle anderen Eigenschaften so gut sein, wie sie wollen, der Wein ist schlecht. Die Qualität eines Weins ist doch wohl mehr und vielleicht sogar etwas anderes als die Summe der Teile, genauso wie ein Bild mehr ist als die Summe der Farben. Aber worin besteht sie dann, und wie kann man sie bestimmen? Wir möchten dazu zwei Kriterien ins Spiel bringen: Persönlichkeit und Schönheit. Wir wissen: Beides kann man nicht messen, und doch kommt es letztlich nur auf diese beiden an.

      Persönlichkeit und Ausdruck

      Ein guter Wein muss Charakter haben, Ausdruck und Persönlichkeit. Er kommt aus einer bestimmten Region und hat das Klima, den Boden und die oft jahrhundertealten Traditionen dieser Gegend in sich aufgenommen. Er wurde aus einer oder mehreren Rebsorten gekeltert, die ihm ihren eigenen Charakter mitgegeben haben. Er stammt aus einem bestimmten Jahr, das vielleicht verregnet war, vielleicht aber auch schön und trocken. Er wurde von Menschen geerntet, gekeltert und im Keller gepflegt und gehegt, bis er in die Flasche abgefüllt wurde. Dann begann das Wirken der Zeit, vielleicht nur kurz, vielleicht über viele Jahre hinweg. Von all diesen Erlebnissen ist der Wein geprägt, den wir in unser Glas einschenken. Und alle diese »Prägungen« machen die Flasche einzigartig, die wir heute und hier entkorkt haben. Je mehr wir davon beim Verkosten erfahren, umso ausdrucksvoller, tiefgründiger und komplexer ist der Wein.

      Schönheit und Harmonie

      Zu unserem Respekt und unserer Faszination vor der Persönlichkeit des Weins tritt unser Bedürfnis nach ästhetischer Schönheit, nach Form, Harmonie und Proportion. Ein Wein spricht mit vielen Stimmen zu unseren Augen, der Nase, dem Geschmack und dem Tastsinn. Alle diese Stimmen vereinigen sich im Augenblick des Genusses zu einer Art Konzert. Nun muss alles passen. Die einzelnen Stimmen können sich gegenseitig unterstützen und steigern, aber auch unterdrücken und auslöschen. Einige wenige Milligramm zu viel Säure oder zu wenig Tannin können das Gesamtgefüge eines Weins nachhaltig beeinflussen oder sogar zum Einsturz bringen. Kein chemischer Analyseapparat kann hier helfen. Es ist der Künstler im Weinberg und im Keller, der dieses Konzert dirigiert und die Stimmen so ins Gleichgewicht bringt, dass wir im Idealfall gefesselt zuhören und staunen.

      Gebräuchliche Bewertungssysteme

      Viele Verkoster richten sich heute nach einem Punktesystem, das es ihnen erlaubt, die Qualität eines Weins auf einer virtuellen Skala einzuordnen. Das kann auch für unsere eigenen Verkostungen nützlich sein, indem wir auf diese Weise festhalten, wie gut oder schlecht uns ein Wein geschmeckt hat.

       Das 20-Punkte-System

      Das heute beim Verkosten besonders häufig angewandte System umfasst theoretisch eine Skala von 20 Punkten. In der Praxis werden aber nur die Zahlen von 10 an aufwärts verwendet.

      Die einzelnen Stufen bedeuten: Ist ein Wein vollkommen, bekommt er mit 20 Punkten die Höchstnote. 18 oder 19 sind immer noch hervorragend, 16 und 17 sehr gut, 14 und 15 gut, 12 und 13 einigermaßen gut und 10 und 11 passabel.

       Das 100-Punkte-System von Robert Parker

      Der amerikanische Rechtsanwalt und Weinkritiker Robert Parker hat in den 1980er-Jahren ein 100-Punkte-System eingeführt, nach dem er pro Jahr viele Tausend Weine verkostet. Seine Beurteilungen werden international sehr beachtet und setzen vor allem bei den Bordeaux-Weinen einen Maßstab, der den Weinmarkt wesentlich beeinflusst.

       Hugh Johnsons vier Sterne

      Hugh Johnson, der wohl bedeutendste Weinautor überhaupt, verwendet in seinem »Kleinen Johnson« einem jährlich erscheinenden Taschenbuch über die wichtigsten Weine, Produzenten und Jahrgänge, vier Qualitätsstufen, die er mit Sternen bewertet:

* einfache Qualität für jeden Tag
** überdurchschnittlich
*** bekannt, berühmt
**** erstklassig, anspruchsvoll, teuer

      JLF-WEINTEST

      Der beste Weintest, den wir kennen, stammt von Andreas März, dem kreativen Mitbegründer und Chefredakteur der Weinzeitschrift »Merum«. Lassen wir ihn selbst zu Worte kommen:

      »Der härteste Prüfstand für einen Wein ist der Esstisch. Egal, wie ein Wein in der Blindverkostung, bei der Dutzende von Weinen hintereinander geschlotzt

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