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schreit, er heult, er wütet. Der Gefängnispsychologe, der ihn untersucht, beschreibt ihn als »Hysteriker« mit einem »Hang zu magisch-mystischer Denkweise«. Hitler erklärt: »Wenn ich einen Revolver hätte, würde ich den nehmen.« Er entschließt sich zum Hungerstreik, um Schluss zu machen.

      Ein Vorsatz, der bereits am nächsten Tag vergessen ist. Denn wenn seine politische Lage ihn verzweifeln lässt, ist die persönliche dazu angetan, ihn zu beruhigen. Zunächst einmal deshalb, weil er nicht lange allein bleibt. Nach und nach treffen mehrere Vertraute ein: Rudolf Heß, Anhänger der ersten Stunde, Emil Maurice, sein Chauffeur, Hermann Kriebel, ein Funktionär der braunen Bewegung, und andere. An zweiter Stelle, weil diese Haftanstalt kaum Ähnlichkeiten mit einem klassischen Gefängnis hat: Hitler belegt eine Einzelzelle, einen ordentlichen, schlicht eingerichteten Raum, von dem aus er durch die Gitterstäbe einen schönen Blick auf die Landschaft hat. Zudem steht den Putschisten ein Tagesraum zur Verfügung, in dem sie sich jederzeit treffen können. Es ist bekannt, dass der Gefängnisdirektor Sympathien für Hitlers politische Ziele hegt und sich alle Mühe gibt, ihm die Haftzeit halbwegs angenehm zu gestalten.

      Hitler und seine Gesinnungsgenossen müssen also auf nichts verzichten und können es sich gut gehen lassen. Der Führer der NSDAP hat keine Zeit, trübsinnig zu werden. Laufend bekommt er Besuch. 489 Besuche verzeichnet das Register, durchschnittlich zwei pro Hafttag. Und schon bald nimmt ihn eine weitere Aktivität in Anspruch.

      In einer am 10. Dezember 1923 über seinen Anwalt in einem Lokalblatt veröffentlichten Erklärung erwähnt Hitler eine baldige »Abrechnung«[8] mit seinen Feinden, ohne genauer zu erklären, welche Form die annehmen wird. Denkt er an ein Buch? Auf jeden Fall hat er die Idee, seinen Verleumdern zu antworten, und vor allem, sich zu seinem Putschversuch zu erklären, dessen Scheitern ihn belastet. Zunächst macht er sich daran, eine Klageerwiderung für seinen bevorstehenden Prozess zu entwerfen. Zu diesem Zweck lässt ihm der Bankmanager Emil Georg von Stauß eine Schreibmaschine der Marke Remington zukommen – das Beste, was es zu der Zeit gibt. In einer Landsberger Schreibwarenhandlung besorgt ihm ein Anhänger Papier sowie einen kleinen Tisch für 7 Mark. Zu Weihnachten 1923 schickt ihm Winifred Wagner, Schwiegertochter des Komponisten und glühende Bewunderin Hitlers, auf seinen Wunsch hin weiteres Papier sowie Büromaterial, Bleistifte, Radiergummis, Kohlepapier. »Ich wußte gar nicht, daß Hitler literarischen Ehrgeiz hatte«,[9] vertraut sie einer Freundin an, ohne zu wissen, wofür das alles bestimmt ist.

      Auch als die Klageerwiderung fertiggestellt ist, lässt Hitler nicht locker, sitzt stundenlang über seine Remington gebeugt. Er befasst sich noch einmal ausführlich mit dem Bürgerbräu-Putsch, um dann den Weg zu beschreiben, der ihn aus dem Nichts an die Spitze einer Partei geführt hat, vermengt also Autobiographie und politische Streitschrift.[10] Einerseits will er sich nach dem gescheiterten Putsch rechtfertigen, andererseits braucht er ein Ventil für seine leidenschaftliche Lust an der Rede: Nach Aussagen von Mithäftlingen spricht er oft stundenlang, bis zur Erschöpfung seiner Zuhörer. Die bestärken ihren Führer jedenfalls darin, seine Ziele weiterzuverfolgen.

      Hitlers Betätigungen werden schließlich durch seinen Prozess unterbrochen, der Mitte Februar beginnt. Am 1. April 1924 wird er vom Volksgericht beim Landgericht München wegen Hochverrats zu fünf Jahren Haft verurteilt. Eine milde Strafe, gemessen an der Schwere der Taten, erklärlich aber durch die Sympathie, die der Führer der NSDAP bei einem Teil der Obrigkeit, innerhalb des Polizeiapparats und der bayerischen Justiz genießt. Ach, die schwache Weimarer Republik …

      Nach der Verkündung des Urteils kehrt der Chef der NSDAP in seine Zelle zurück. Der Todesstrafe ist er entgangen, hat aber lange Jahre der Haft in Aussicht. Also legt er sich noch mehr ins Zeug. Es »bot sich mir nach Jahren ununterbrochener Arbeit zum ersten Male die Möglichkeit, an ein Werk heranzugehen, das von vielen gefordert und von mir selbst als zweckmäßig für die Bewegung empfunden wurde«, schreibt er im Vorwort seines Buches. Stundenlang, tags wie nachts, tippt er seinen Text selbst in die Maschine oder diktiert ihn Rudolf Heß oder Emil Maurice. Einer langlebigen Legende zufolge soll die Zusammenarbeit mit Heß weiter gegangen sein und letzterer das Werk mitverfasst haben. Wie alle Legenden, die Hitlers Rolle schmälern und ihn zu einem bloßen Bauern im Schachspiel machen wollen, scheint sie ganz falsch zu sein: Er spricht, sein Untergebener tippt. Es gibt nur einen Führer.

      Morgens liest Hitler im Tagesraum die Passagen vor, die er am Vortag verfasst hat. Sie werden kommentiert, gelobt und gepriesen. Der junge Chef der NSDAP, der gescheiterte Putschist, entpuppt sich als theoretischer Kopf: Er beeindruckt seine Haftgenossen. Draußen in den NSDAP-Truppen spricht es sich herum: Hitler schreibt etwas. Man bringt ihm alle möglichen Bücher vorbei, die ihm vielleicht nützlich sein könnten. Chamberlain, Nietzsche, Marx oder auch Bismarcks Erinnerungen. Ein Freund schenkt ihm Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Eugen Fischer, einem berühmten Autor der Zeit.

      Muss man in der Landsberger Haft die Geburt des Hitlerismus sehen? Aus genau welcher Zeit stammen eigentlich Hitlers Ideen? Den Historikern, an erster Stelle seinem Biographen Ian Kershaw[11] zufolge, hat er bereits vor seiner Haft, ja sogar vor 1914 und den Kriegserfahrungen, festgefasste Ansichten. Nach dem Krieg, im Kontakt mit der rechtsradikalen Bewegung, ihren Standardwerken, ihren Rednern und völkischen Zeitungen wie der Freiheit, reichern sich diese Ideen an, kristallisieren sich heraus. Hitlers Doktrin wird also nicht erst während der Haft geprägt: Als er nach Landsberg kommt, stehen seine prinzipiellen Überzeugungen fest und werden sich bis zu seinem Tod auch nicht fortentwickeln.[12] Aber im Gefängnis schieben sich seine Überzeugungen, seine Anstöße, seine Enttäuschungen wie auch seine kurzen politischen Erfahrungen in- und übereinander, bis sie schließlich, Seite um Seite, ein Buch bilden.

      Damit stellt sich auch bald die Frage der Veröffentlichung. Mehrere Verleger haben ihm ihre Dienste angeboten. Hitler empfängt sie umso wohlwollender, als er nicht nur von politischen Motiven geleitet wird. Dem früheren Außenseiter ist klar, dass er, der weder Vermögen noch einen Beruf hat, bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis Geld brauchen wird. Dennoch vergeht der Sommer und dann der Herbst, ohne dass die Diskussionen zu einem Ergebnis führen. Die Überarbeitung des umfangreichen Manuskripts ist weit vorangeschritten, in allernächster Zeit wird es fertig sein. Kurzzeitig hofft er, es im Feuilleton einer Zeitung unterbringen zu können, wie das gerade Mode ist, aber diese Idee wird letztlich verworfen. Egal, denn der Autor hat jetzt anderes im Sinn: Er versucht, auf Bewährung freizukommen.

      Anfang Oktober 1924 richtet der Gefängnisdirektor Otto Leybold einen Bericht an die zuständigen Stellen: »Hitler zeigt sich als Mann der Ordnung, der Disziplin […] Er ist genügsam, bescheiden und gefällig […] und weiß sich […] seinen Haftgenossen gegenüber eine gewisse Autorität zu sichern.« Weiter unten fügt er hinzu: »Hitler wird die nationale Bewegung in seinem Sinne neu zu entfachen suchen, aber nicht mehr wie früher mit gewalttätigen, im Notfalle gegen die Regierung gerichteten Mitteln, sondern in Fühlung mit den berufenen Regierungsstellen […] Er ist in den zehn Monaten der Untersuchungs- und Strafhaft ohne Zweifel reifer und ruhiger geworden, als er es war. Er wird nicht mit Drohung und Rachegedanken gegen die im entgegengesetzten Lager stehenden […] amtlichen Personen in die Freiheit zurücktreten […].« Kein Zweifel, dass Hitler seinen Einfluss auf Leybold geltend gemacht hat. »In Würdigung der hier gemachten Wahrnehmungen stehe ich nicht an zu sagen, daß Hitler nach seinem Gesamtverhalten im Strafvollzug sich der Bewilligung einer Bewährungsfrist würdig erwiesen hat«, schließt der Direktor. Trotz eines Berichts der Münchner Polizei, dem zufolge Hitler eine beständige Gefahr für die Sicherheit des Staates sei, kommt die bayerische Obrigkeit, die sich von Hitlers Verehrern widerstandslos vereinnahmen lässt, schließlich zu der Überzeugung, dass dieser gescheiterte Putschist und Chef einer in Auflösung begriffenen Partei zukünftig keine Gefahr mehr darstellen wird.

      Am 20. Dezember 1924 überbringt der Direktor der Strafanstalt persönlich Hitler die Nachricht seiner Freilassung. Außerdem teilt er ihm mit, dass General Ludendorff, sein Mitverschwörer, angeboten hat, ihm ein Auto zur Abholung zu schicken. Hitler erwidert, er wolle sich lieber von einem Freund nach München begleiten lassen: dem Druckereiunternehmer Adolf Müller, mit dem er unverzüglich über die Veröffentlichung seines Buches sprechen möchte.

      Am frühen Nachmittag, bei grauem Himmel und feuchtkaltem Wetter, verlässt Hitler seine Landsberger

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