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Sie prallten ungebremst in den kleinen Mann. Das Paar tanzte hüpfend zur Musik, die Frau wirbelte den Mann über die Tanzfläche.

      Immer im starken Griff ihrer Boxerhände zog sie ihn juchzend und mit kraftvollem Schwung zwischen ihren Beinen hindurch, ließ sich von ihm anspringen, und er vollendete mit tollkühnem Rückwärts-Salto, sicher auf den klickenden, eisenbeschlagenen Absätzen gestanden.

      Die Band hatte sich binnen kürzester Zeit in einen musikalischen Vollrausch gespielt. Der Saxophonist gab auf dem Rücken liegend alles und presste mit angespannt auf und ab wippendem Becken wie bei eng aufeinanderfolgenden Geburtswehen hohe, heisere und vibrierende Töne aus seinem Instrument. Der Bassist lag slappend und kopfschüttelnd auf seinem Kontrabass, der Gitarrist trieb auf Knien den vor ihm liegenden Saxophonisten in ekstatische Höhen, und der Schlagzeuger hämmerte sich die Seele aus dem Leib.

      Die Rock’n’Roll-Amazone wollte mit wildem Schwung ihren Mann wieder einmal zwischen ihren Beinen durchwerfen, dabei verlor sie ihn aus ihrem Griff. Er prallte zuerst ungebremst unter ihrem Petticoat zwischen ihre mächtigen Oberschenkel und anschließend mit voller Wucht auf die Tanzfläche, wo er schwer angezählt liegenblieb.

      Die Band hatte in ihrem Rausch nichts von dem Unfall mitbekommen und spielte gnadenlos weiter. Die Frau beugte sich über den Gestrauchelten und riss ihn zu sich hoch. Das Männchen hielt sich nicht nur benommen torkelnd so gerade eben auf den Beinen, sondern bemühte sich auch noch um wippende Schritte...

      Seine Haartolle war beim Eintauchen zwischen ihre Beine in einem Stück nach hinten geklappt und hing nun, formgefestigt wie der Haarknoten einer Nonne, an seinem Hinterkopf, während sich oben eine blanke Glatze präsentierte.

      Angesichts des schadenfrohen Grinsens in den Gesichtern der Club-Gäste und der lärmend ausklingenden Rock’n’Roll-Schallwand der Hausband war es ein eher sinnloses Unterfangen, aber sichtlich bemühte sich der benommene Gestrauchelte um die Bewahrung seiner Würde. Mit stelzenden, mühsam die Balance haltenden Schritten schwankte er auf seine, in orgiastischer Ekstase zuckende Tanzpartnerin zu. Ohne Umschweife herzhaft zupackend nahm sie ihn erneut in ihren grifflichen Gewahrsam.

      Die Band wechselte nahtlos aus der Rock’n’Roll-Lärmwand in die zackig akzentuierten Melodie-Linien eines Tangos.

      Die gewaltige Frau reagierte mit einem verzückten Juchzer der Begeisterung. Der kleine Mann stöhnte kurz auf und bewies gleich darauf ungeahnte Qualitäten und ein Höchstmaß an Flexibilität.

      Ihre monumentale Präsenz und ihre dominant-straffe Führung ließen ihm keine andere Wahl als die Beherrschung des gesamten Repertoires weiblicher Tango-Schritte. Seine Gelenkigkeit und Präzision waren trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustands beeindruckend, ... eine zackige Drehung hier, eine abenteuerlich tiefe Rückenlage da... und seine Hingabe in die starken Arme dieser massigen Frau schien grenzenlos.

      Das kurz zuvor noch schadenfrohe Grinsen in einigen Gesichtern wich einem anerkennenden Lächeln.

      Trotz der grotesken Gesamtsituation war es ein Tango der puren Liebe und Leidenschaft.

      Irgendwie begann ich, dieses seltsame Paar zu bewundern und auch ein wenig um ihr Glück zu beneiden.

      Trotz aller Liebe und Leidenschaft litt die Seriosität dieser Tango-Darbietung dennoch unter der zum Nacken-Haardutt mutierten Haartolle, die gerade in der tiefen Rückenlage wie ein haariger Abschlepp-Haken an seinem Hinterkopf nach unten baumelte. Die Schluss-Akkorde des Tangos ertönten, händchenhaltend und sichtlich geschafft begleitete das Männchen seine Frau zur Theke.

      Ich wartete ab, bis das ungleiche Paar an der Theke Platz genommen hatte und steuerte auf sie zu.

      In unmittelbarer Nähe wirkte der kleine Mann noch mickriger, die Frau dagegen umso riesiger. Schwer schnaufend wuchtete sie ihren massigen, aber keineswegs fett erscheinenden Körper auf einen Barhocker, der die Last ihres Gewichts mit einem herzhaften Knirschen kommentierte.

      Der Mann tauchte kurz ab in den Schutz einer unbeleuchteten Ecke, wo er sich mit Schwung die Haartolle auf den Kopf zurück holte.

      Mit spitzen und routinierten Fingern nestelte er auf seinem Kopf zwischen Kopfhaut und der wiederhergestellten Haartolle herum, dann tauchte er wieder aus dem Lichtschatten hervor. Er tat etwas in einen Aschenbecher, und ich erkannte einen zusammengeknüllten Streifen doppelseitigen Klebebands.

      Zum Grinsen blieb mir nicht viel Zeit, denn beim näheren Betrachten seines ramponierten Gesichts erschrak ich kurz. Die Nase war krumm, platt und schief wie die eines Boxers und seine Oberlippe leicht geschwollen. Außerdem zierten zahlreiche kleine und größere Narben, ältere und frische Kratzer und Hautabschürfungen sein Gesicht.

      Als er sich auf den Barhocker neben seiner Herzensdame setzte, erwiderte er mit einem Lächeln meine Blicke:

      »Ja, so ist das, wenn man seine Frau, die Musik und den Tanz über alles liebt…«. Seine Aussprache war undeutlich.

      »Seine Frau also…«, dachte ich.

      Er fuhr fort:

      »Darf ich vorstellen? Mathilde, und mein Name ist Bernard. «

      Trotz seiner Kleinwüchsigkeit wirkte er sehr in sich und mit der Welt verankert, ausgestattet mit einer Seele wie ein Fels. Vielleicht schreckte ihn in seinem bewegten Leben aber auch einfach nichts mehr ab.

      Mathilde drehte sich mir zu, und der Barhocker knirschte abenteuerlich laut. Das übertönte sogar kurz die Musik der Band, die mittlerweile wieder in die instrumentale Lethargie zurückgekehrt war.

      Mathilde schaute mich aus grünen Augen freundlich an. Ihre wilden, roten Haare umrahmten ihr lächelndes, breites Gesicht. Das Lächeln dieser eben noch vibrierenden Frau war bezaubernd, und mein wundes Herz folgte bereitwillig diesem Sog ihrer Augen.

      »Ja, ...ich liebe dieses Lächeln, aber auch diese ganze Menge Frau…«, raunte mir Bernard zu, als ob er meine Gedanken erraten hätte.

      »Geoffroi«, stellte ich mich den beiden vor.

      Aus einem gedanklichen Reflex heraus hatte ich das erste Mal die französische Übersetzung meines Namens benutzt ... und es gefiel mir.

      Dieses ungewöhnliche Paar irritierte mich auf eine eigenwillige, aber schöne Art und Weise.

      Bernards Lächeln war charmant, jedoch im Schneidezahn-Bereich weitgehend zahnlos. Und wieder schien er meine gedanklichen Beobachtungen erkannt zu haben und sagte nur: »Rock’n’Roll«.

      Ich verstand sofort die Ursache seiner Zahnlosigkeit und seiner undeutlichen Artikulation.

      Mathilde war das pralle Leben.

      Bernard nahm alles ohne Kompromisse hin. Er ertrug nicht nur sein persönliches Schicksal, sondern er liebte seine Mathilde so wie sie war.

      Angesichts dieser Kraft der Liebe der beiden holte mich aber die grausame Unbarmherzigkeit meines liebeszerrissenen Herzens ein.

      Ich musste schnell raus.

      Ich verließ den Caveau de la Huchette, jedoch nicht, ohne mich noch einmal nach der mausbraunen und so unscheinbar hübschen Frau umzusehen.

      Sie saß immer noch im Halbdunkel ihrer Ecke. Ihr Getränk stand vor ihr auf der Theke, und sie lauschte der Musik.

      Für einen kurzen Moment erwiderte sie meine Blicke mit einem versonnenen Lächeln.

      Ich stockte kurz, ging dann aber trotzdem.

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