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Situation hatte sich wieder beruhigt, und das zwischenzeitliche Raunen der Gespräche erreichte bald wieder die gewohnt lebhafte Lautstärke. Mein Tischnachbar hob den umgestoßenen Stuhl auf und setzte sich mit grinsenden Gesichtszügen wieder an den Tisch.

      Ich sagte nichts, sondern schaute ihn nur fragend an.

      Nach einer Weile begann er, anfangs zögerlich, zu erzählen:

      »… meine Ex-Frau, … Renate, … sie wollte immer, dass ich sie Nati rufe, weil es so süß und reizend nach kleinem, zierlichen Mädchen klingt. Mich nannte sie ›Schandi‹ …«

      »Schandi?« unterbrach ich meinen gerade in Redefluss gekommenen Tisch-Partner.

      »Na, weil … oh Pardon, wie unhöflich von mir …, gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Chandon, ich heiße Chandon Marôt, « entgegnete er und streckte mir über den Tisch seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und stellte mich ebenfalls vor:

      »Ich heiße Gottfried Joseph. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

      Chandon zog die Stirn ein wenig kraus und überlegte: »Gottfried …, ich kenne den Namen …, in Frankreich heißt es Geoffroi ...«

      »Geoffroi,« dachte ich, »… ja, das klingt auch nicht schlecht, es klingt sogar richtig gut …«.

      Chandons Händedruck war freundlich, fest und warm.

      »Wir sagen Du?« fragte ich ihn.

      »Aber ja, selbstverständlich ...,« antwortete er lächelnd.

      Chandon erzählte mir seine Geschichte mit Renate.

      Er hatte sich, einige Jahre vor unserer Begegnung im Les Colonnes wegen seelischer Grausamkeit von ihr scheiden lassen, und ausgerechnet der apricotfarbene Pudel habe ihm »buchstäblich sein Leben zurückgegeben«.

      Renate flirtete und tüterte ständig mit diesem bis zur Dekadenz verwöhnten Pudel herum, dass es nicht mehr zu ertragen war. Aber nicht nur deswegen hatte sich Chandon immer wieder gefragt, wie er eigentlich und überhaupt in diese Ehe hineingeraten konnte.

      Mehrere für Chandon ungünstige Faktoren bildeten im Zusammenhang eine knüppelharte Konstellation:

      Renates Vater war ein roher, bulliger, noch dazu großer und humorloser Mann. Als Chandon vor dem Standesbeamten stand, spürte er, wie der gefährlich warme Atem seines künftigen Schwiegervaters stoßweise in seinem Nacken und Hemdkragen kondensierte.

      Die Lage hinter Chandon war damit also geklärt. Die Beantwortung der Frage des Standesbeamten vor ihm jedoch noch nicht, bis Renate ihren spitzen Stöckelschuh-Absatz auf seinem Fuß fixierte. Sie bohrte gnadenlos, mit einer unbarmherzigen Druck- und Zielfestigkeit. Ihr Gewicht war nicht ohne, ihr Schuh noch dazu aus knallrotem Knautschlack.

      Chandon beugte sich, vom physischen und optischen Druck traumatisiert.

      »Es ist wirklich schwer vorstellbar, nicht wahr?« schob Chandon ein, als er meinen immer stärker zweifelnden Gesichtsausdruck registrierte. »Irgendwie kam ich aus dieser ganzen Nummer nicht mehr heraus ...,« beteuerte er.

      Dann schaute er mich mit eindringlichem Blick an:

      »Das war alles wie ein lähmender Albtraum, das kannst Du mir wirklich glauben. Es war ein verdammter Albtraum...«

      Der Standesbeamte hatte ihm also die eine, alles entscheidende Frage gestellt und schaute ihn fragend und mit bohrenden Blicken an.

      »Ja …«, preßte der gemarterte Bräutigam mit letzter Kraft heraus.

      Der Druck auf seinem Fuß verpuffte schlagartig, der heiße Atem in seinem Nacken kühlte ab, und Chandon fiel erleichtert in sich zusammen.

      Anschließend rammte Renate ihm bei der nachfolgenden Ringzeremonie mit robuster Zärtlichkeit den Ring bis zum Handflächen-Anschlag auf den Finger.

      »Ich dachte einen Moment wirklich, meine Hand wäre bis zum Handgelenk aufgerissen«, erinnerte sich Chandon an die Tortur.

      Unwillkürlich musste ich, trotz meines Mitgefühls, gleichzeitig grinsen. Laut Chandons Beschreibung war Nati ein weiblicher Schrecken mit roten Lippen, orangeroten Haaren, apricotfarbenem Pudel, rot lackierten Stöckelschuhen und einem Vater, mit dem man sich überall sicher fühlen konnte, wenn man auf der »Du-bist-mein-Freund-Seite« stand.

      Zerknirscht und humpelnd folgte er ihr in die Ehe. Schuld daran waren das schlechte Wetter und eine Taxifahrt.

      Er hatte ihr einen Platz im Taxi angeboten, weil es so stark regnete und Taxis deswegen nur schwer zu bekommen waren.

      Und es war das einzige Mal in seinem Leben, daß Chandon es bitter und nachhaltig bereute, Kavalier gewesen zu sein.

      Nach seinem Jawort ging es nur noch ums Überleben.

      Die Ausheilung seines stilettierten Fußes schritt stetig voran und damit auch die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die Freiheit. Und Chandon erkannte in dem Pudel nicht die einzige, aber dafür die beste Chance zur Wiedererlangung seines alten Lebens.

      Renates Hingabe für diesen verwöhnten Pudel war extrem und nicht nur schwer, sondern eigentlich gar nicht auszuhalten.

      Die nächsten Monate ließ sich Chandon als beleidigter, verstoßener und eifersüchtiger Ehegatte fast bis zur Selbstaufgabe gehen. Er flötete »Nati« zuckersüß und so lange, bis es irgendwann nicht mehr weitergehen konnte.

      Mit blutunterlaufenen Augenrändern bis zum Mundwinkel, einer nach billigem Wein und Dosenbier übelriechenden Fahne, in schmuddeliger Kleidung, stellte er sie schließlich vor die Entscheidung:

      »Entweder der Hund oder ich…«

      Renate ließ von ihrem Pudel ab und blickte erschrocken auf. Solche Töne war sie von ihrem »Schandi« nicht gewohnt, und sie fand ihn auf einmal gar nicht mehr so putzig. Qualvolle Minuten spannungsgeladener Angst schlichen dahin.

      »… der Pudel …«

      Natis Stimme drang aus dem hallenden Jenseits zu ihm durch,

      resigniert und gedemütigt drehte sich Chandon um und schlurfte mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern aus dem Zimmer. Er langte kraftlos nach seinem Mantel und schloss wie ein Verstoßener die Haustür hinter sich zu. Kaum vernahm er das zuschnappende Geräusch des Hauseingangs hinter seinem Rücken, riss er die Arme hoch und stieß einen stummen Jubelschrei aus.

      »Geschafft! Endlich geschafft! ...«

      Dann sank er mit dem Rücken an der Hauswand hinunter und weinte, von lautlosen Tränen geschüttelt. Gleichzeitig fühlte er, wie das Leben und das freie Atmen in ihn zurückkehrten. Die Rolle als gepeinigter Ehemann hatte alles Können von ihm abverlangt.

      Die Ehe wurde geschieden.

      Chandon und ich saßen nach diesem folgenschweren Ereignis noch lange Zeit zusammen am Tisch im kleinen Bistro in der Rue du Général Leclerc.

      Als ich von ihm wissen wollte, warum er denn so unvermittelt aufgesprungen war, wodurch ja erst diese ganze Sahne-Verkettung gestartet wurde, erklärte er mir, dass er das geschäftige und rastlose Treiben auf der Straße beobachtet hatte und sich dabei vorzustellen versuchte, wie es wohl wäre, wenn sich die alte, mit Tragetaschen bepackte Frau oder der am Handstock gemächlich und gebückt dahin schlurfende Greis im normalen Tempo bewegen würden.

      »Man würde die anderen Fußgänger, Radfahrer, Mopeds und Autos nur noch als Lichtblitze oder Lichtstrahlen wahrnehmen, … eine ungemein erschreckende Vorstellung, nicht wahr?« führte ich Chandons Gedanken zu Ende.

      Chandon war seit mehreren Jahren wieder verheiratet.

      »Sie ist meine große Liebe«, sagte er zu mir.

      Ich freute mich für ihn.

      Die Postkarte, die Chandon bei unserer ersten Begegnung in seinen Händen hielt, hatte ihm seine Frau zugesteckt.

      Kurz bevor ich mich damals zu ihm an den Tisch

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