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Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter
Читать онлайн.Название Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie
Год выпуска 0
isbn 9783347103290
Автор произведения Jürgen Daviter
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Readbox publishing GmbH
6. Zusammenfassung und kritische Schlussbemerkungen
(1) Zur Nichterkennbarkeit der Kausalität
Humes Erkenntnisinteresse richtete sich auf die wirkliche Welt: Können wir Regelmäßigkeiten in deren Erscheinungen zweifelsfrei als Kausalzusammenhänge erkennen? Er bestreitet nicht die prinzipielle Möglichkeit demonstrativer Beweise‚ belässt es aber dabei‚ diese auf reine Ideenassoziationen zu beschränken. Als Beispiele seien hier Geometrie‚ Arithmetik und Algebra genannt. Die Beweisführung bei diesen Gedankenkonstruktionen kommt ohne Bezug zur Realität aus. Bei allen Schlussfolgerungen im Sinne von Erfahrungen‚ die wir aus Wahrnehmungen der wirklichen Welt ziehen‚ lehnt er zu Recht die demonstrative Beweisführung ab. Könnte es auf diesem Gebiet irgendeinen anderen Typ eines gültigen Beweises für Erkenntnisse geben? Seine radikale Schussfolgerung ist: Nein‚ es gibt keinen. Wir können Kausalität‚ also den Zusammenhang zwischen bestimmten Erscheinungen als Ursachen und anderen bestimmten Erscheinungen als ihren Wirkungen nicht sicher erkennen.
Hume unterscheidet in seinen Erörterungen durchgängig zwischen „conjunction“ und „connexion“‚ was üblicherweise mit „Verbindung“ und „Verknüpfung“ übersetzt wird. Verbindung bezeichnet dann das gleichzeitige Auftreten oder die regelmäßige kurze Aufeinanderfolge zweier Ereignisse - etwas‚ was heute üblicherweise mit dem Begriff des funktionalen Zusammenhangs bezeichnet wird. Mit Verknüpfung ist das Band zwischen Ursache und Wirkung gemeint‚ also der Kausalzusammenhang. Seine erste grundsätzliche und vollkommen einsichtige Behauptung lautet: Die Dinge und Prozesse‚ so wie sie uns örtlich und zeitlich miteinander verbunden erscheinen‚ enthüllen uns nicht bereits dadurch auch ihren kausalen Zusammenhang; Kausalität ist nicht empirisch erkennbar. Wir nehmen also Verbindung wahr‚ erfahren aber keine Verknüpfung. (In manchen Verbindungen liegt im Übrigen ganz offensichtlich keine kausale Verknüpfung‚ s. u. 6. [3].)
Seine zweite grundsätzliche und heute ebenfalls erkenntnistheoretisch anerkannte Behauptung lautet: Auch noch so viele gleichartige Wahrnehmungen berechtigen nicht zu der sicheren Schlussfolgerung‚ es würde auch künftig keine Abweichung davon geben. Hierin zeigt sich die Unmöglichkeit des Induktionsschlusses als Beweisverfahren. Folglich fällt der Induktionsschluss als potentieller Ersatz für die Unsichtbarkeit der Kausalität aus. Wir können also kausale Zusammenhänge weder direkt wahrnehmen noch aus vielen Wahrnehmungen ausnahmslos gleicher Art heraus als gesetzmäßig gültig erschließen.
(2) Zu Humes Anerkennung der Kausalität und merkwürdigen Anzweiflungen
So zusammengefasst schließt dieser radikale Bruch mit der traditionellen Philosophie rein logisch nicht die Ansicht aus‚ Hume habe an der Existenz der Kausalität überhaupt gezweifelt oder sie gar geleugnet. Und genau so wurde Hume von einigen Kritikern schon bald nach Veröffentlichung seines Treatise und auch nach der Veröffentlichung seiner Enquiry z. T. bis heute interpretiert. Dafür mögen ein paar Beispiele genügen.
Als erster soll Kant mit einer Klage über diese Fehlinterpretation zu Wort kommen: „… [D]as der Metaphysik von jeher ungünstige Schicksal wollte‚ daß er [Hume] von keinem verstanden wurde. Man kann es‚ ohne eine gewisse Pein zu empfinden‚ nicht ansehen‚ wie so ganz und gar seine Gegner Reid‚ Oswald‚ Beattie‚ und zuletzt noch Priestley‚ den Punkt seiner Aufgabe verfehlten …. Es war nicht die Frage‚ ob der Begriff der Ursache richtig‚ brauchbar‚ und in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich sei‚ denn dieses hatte Hume niemals in Zweifel gezogen ….“66
Genau dies beurteilt Röd Ende des 20. Jahrhunderts immer noch ganz anders. Er meint: „Humes Deutung der Kausalität beruht auf der ontologischen Annahme‚ dass Vorgänge zwar zusammen mit anderen (conjoined) auftreten‚ aber an sich nicht mit ihnen verknüpft (connected) sein können.“ Röd spricht folglich von der „Leugnung an sich bestehender Zusammenhänge im Bereich der Dinge“67. Auch Berlin versteht unter Humes Skeptizismus „vor allem seine Verneinung der Existenz notwendiger Verbindungen in der Natur“68.
Bertrand Russell stellt fest‚ „Humes Skeptizismus beruht … darauf‚ daß er das Prinzip der Induktion ablehnt“‚ und er meint‚ wenn wir keine Antwort auf Hume fänden‚ dann bestünde „zwischen geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit kein Unterschied. Der Irrsinnige‚ der sich für ein »verlorenes Ei« hält‚ ist nur deshalb zu verurteilen‚ weil er in der Minderheit ist….“69 Russell vertritt damit offensichtlich den Gedanken‚ dass wir ohne Anerkennung des Induktionsprinzips zu überhaupt keinen auch nur in irgendeinem Sinne vernünftigen Ansichten über die erfahrbare Welt kommen könnten.
So ähnlich könnte man auch die Interpretation Husserls charakterisieren‚ der hier etwas ausführlicher zu Wort kommen muss. Er leitet seine radikale Kritik an Hume mit der Behauptung ein: „Alle Kategorien der Objektivität‚ die wissenschaftlichen‚ in denen das wissenschaftliche‚ die vorwissenschaftlichen‚ in denen das Alltagsleben eine objektive‚ außerseelische Welt denkt‚ sind Fiktionen“ und sagt dann ausdrücklich‚ dass „zu den Fiktionen … auch die Kausalität‚ die notwendige Folge [gehört] … So verwandelt sich in Humes ‚Treatise‘70 die Welt überhaupt‚ die Natur‚ das Universum identischer Körper‚ … danach auch die objektive Wissenschaft‚ die sie in ihrer objektiven Wahrheit erkennt‚ in Fiktion. Konsequent müssen wir sagen: Vernunft‚ Erkenntnis‚ auch die wahrer Werte‚ reiner Ideale jeder‚ auch der ethischen Art - das alles ist Fiktion. Es ist also in der Tat ein Bankrott der objektiven Erkenntnis. Hume endet im Grunde in einen [sic] Solipsismus.“ Zur Charakterisierung des Humeschen Skeptizismus wählt Husserl u. a. auch so kraftvolle Bezeichnungen wie „Irrationalismus“ und „unverständlicher Widersinn“.71
Warum finden wir in diesen fünf Zitaten vier Fehlinterpretationen und eine berechtigte Klage darüber? Fangen wir mit der Klage an. Kant hatte vollkommen recht‚ wenn er sagte‚ Hume habe den Begriff der Ursache für „richtig‚ brauchbar‚ und in Ansehung der ganzen Naturerkenntnis unentbehrlich“ gehalten. Dafür gibt es in der Enquiry eine überwältigende Fülle von Belegen. Hier noch einmal ein paar Beispiele aus den obigen Ausführungen. Hume hält die Beziehung von Ursache und Wirkung für „die aufschlussreichste‚ denn nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage‚ Ereignisse zu beherrschen und die Zukunft zu bestimmen“. Er spricht von den Mächten und Kräften‚ die den Lauf der Natur „regieren“‚ von den „spezifischen Kräften‚ wodurch alle Naturvorgänge sich vollziehen“; der Mensch habe jedoch „trotz seiner ganzen Erfahrung keine Idee oder Kenntnis der geheimen Kraft …‚ durch die der eine Gegenstand den anderen hervorbringt ….“ (EHU‚ S. 119.) Man ist geradezu gezwungen‚ Kant recht zu geben und folglich Röd und Berlin zu widersprechen‚ wenn diese meinen‚ Hume vertrete die Annahme‚ Vorgänge könnten nicht miteinander verknüpft sein: Die naturgesetzliche Ordnung der Welt war für Hume eine ausgemachte Sache. Er hatte sogar darauf verwiesen‚ dass wir in einer Welt‚ in der es keine Regelhaftigkeit gäbe‚ nicht einmal auf die Idee der kausalen Verknüpfung zweier Gegenstände hätten kommen können (EHU‚ S. 215) - eine überraschend einfache „Logik“: Der Begriff der Regelhaftigkeit und die Vorstellung von Ursache und Wirkung setzen die wirkliche Regelhaftigkeit voraus;