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Platt wie ’n Pfannkuchen, die ganze Landschaft.

      Einmal kurvte ich an der Hase lang, bis Bokeloh, wo aber noch weniger los war als in Meppen. Da gab’s nur ein paar Bruchbuden mit Jägerzaun und Rhododendron drumherum.

      Wo war ich hier bloß gelandet?

      Gladbach schlug Bremen mit 3:0. Wenigstens etwas. Die letzten Spiele der Meppener C-Jugend des SV gegen die Mannschaften aus Dalum, Haren, Twist und Haselünne waren weniger hochklassig verlaufen.

      Am Samstag chauffierte Mama Tante Therese mit dem Peugeot zur Fähre nach Hoek van Holland, und Papa ging in den Garten, um Erde zu sieben. Ich hoffte schon, mich um das allsonnabendliche Schöveln herumschummeln zu können, aber mitten in der Bundesliga-Konferenzschaltung kriegte Papa mich dann doch am Kanthaken zu fassen.

      Wenn die vermaledeite Schövelei der Preis für ein Haus mit Garten war, hätte ich es vorgezogen, eine Hochhauswohnung zu bevölkern. Was hatten wir denn groß von unserm Garten? Schwielen, Frust und dreckige Fingernägel. Und dazu ’n lahmes Kreuz.

      Nach dem Schöveln schleppte ich mich ins Wohnzimmer zur Sportschau. Kaiserslautern hatte Braunschweig mit 3:1 plattgemacht, und nun führte Gladbach die Tabelle wieder an. Es gab also noch eine Gerechtigkeit auf Erden, wenn auch nicht in Meppen.

      Als ich die Ergebnisse des zwölften Spieltags in die Kladde eintrug, die ich mir zu diesem Zweck vom Munde abgespart hatte, sah ich, daß Volker auf dem Balkon heimlich am Rauchen war. Ich kletterte raus, und Volker gab mir einen von seinen Glimmstengeln ab.

      Camel Filter. Eine Zigarettensorte für Naturburschen. Ganz was anderes als Attika oder Stuyvesant.

      Vom Rauchen wurde mir flau, und ich hätte die halb abgebrannte Zichte gerne ausgemacht, doch ich wollte den Rest nicht verschwenden und rauchte widerwillig weiter.

      Mama müsse inzwischen auf dem Heimweg sein, sagte Volker. Er für sein Teil würde Holland als Verkehrsteilnehmer meiden wie die Pest. Oder höchstens wie Speedy Gonzales auf der Überholspur da durchzischen. Die Holländer könnten alle nicht autofahren. Und was die da sprächen, sei keine Sprache, sondern ’ne Halskrankheit.

      In Meppen kam Mama erst um zehn Uhr abends wieder an, und schon ging das Gemecker los: »Seid ihr noch bei Trost? Überall Festbeleuchtung, und die Haustür steht hängend offen!«

      Weil ich keine große Meinung mehr vom Radfahren hatte, klimperte ich am Sonntagvormittag auf dem Klavier. Kleine Werke großer Meister. Wenn ich noch ein paar mehr gute Zensuren nachhausegebracht hätte, werde sie mich bei der Musikschule anmelden, sagte Mama beim Tischdecken.

      »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast«, betete Papa dann, so wie jeden Mittag, seit ich denken konnte, »und segne, was du uns bescheret hast.«

      Nämlich Weißkohl. Gesegnete Mahlzeit.

      Von dem Rechtsaußen, auf den Uli Möller mich angesetzt hatte, als wir gegen Sögel spielten, wurde ich schon kurz nach dem Anpfiff getunnelt. Den Ball durch die Beine gekickt zu kriegen, das war so ziemlich das Blödeste, was einem als Abwehrspieler passieren konnte. Im Eifer des Gefechts gelang es mir jedoch noch, einen todsicheren Torschuß per Köpper zur Ecke zu klären, und in der zweiten Halbzeit rief der von mir bewachte Rechtsaußen seinem Trainer zu: »An dem Arsch ist einfach nicht vorbeizukommen!«

      Das ging mir runter wie Butter.

      Um den Gruselfilm im ersten Programm kucken zu dürfen, mußte ich Mama schwören, am Sonntag ohne Quakerei mein Zimmer aufzuräumen, staubzusaugen und meine Schuhe zu putzen.

      In dem Film schwängerte der Teufel eine halb ohnmächtige Frau, die erst zu spät dahinterkam, daß ihr eigener Mann diesem Begattungsakt zugestimmt hatte, um beruflich davon zu profitieren. Die Frau schleppte sich dann hochschwanger durch New York und suchte nach Hilfe, wurde aber von allen abgelinkt und brachte einen Säugling mit Teufelsaugen zur Welt.

      »Was das nun wohl gesollt hat«, sagte Mama, als der Abspann lief. »Einem so ’nen Schrecken einzujagen mit dem ganzen Hokuspokus!«

      Mama war mehr für normale Krimis, mit ’ner Leiche am Anfang und ’ner Verhaftung am Ende.

      Im Rückspiel führte Juventus nach Treffern von Gori und Bettega bis zwanzig Minuten vor Schluß, aber dann sorgten Danner und Simonsen für den Gleichstand, und Gladbach war eine Runde weiter, so wie auch der FC Bayern, der es Malmö mit 2:0 besorgt hatte. Alle anderen deutschen Mannschaften hatten schmählich versagt. Kein gutes Omen für die bevorstehende Europameisterschaft.

      Aus Birkelbach war Renates erster maschinegeschriebener Brief angelangt. Daß sie seit Montag das Amt der Hausstütze innehabe und siebenmal am Tag läuten müsse, vormittags und nachmittags, zum Unterrichtsanfang und zum Unterrichtsende, und dann noch zu den Mahlzeiten …

      Bei uns bestand die zweitnervigste Arbeit nach Unkrautschöveln im Laubharken. Im Nieselregen mit der Forke zentnerweise abgefallene Birkenblätter zusammenkehren, als Aushilfsgärtner im nassen Anorak, mit festgezurrter Kapuze und einem eingelüllten Kapuzenbandknoten im Maul, das hätte den stärksten Indianer umgeworfen.

      Bayer Uerdingen war ein Klub, bei dem man sich fragte, was der überhaupt in der Bundesliga zu suchen hatte. Da gab’s keine Stars, keine Nationalspieler und noch nicht mal ’ne Flutlichtanlage, und den Vereinsnamen hatte ein Chemiekonzern gestiftet. Mieser ging’s überhaupt nicht. Und trotzdem konnte Gladbach in der Uerdinger Grotenburg-Kampfbahn nicht mehr als einen Punkt ergattern, blieb aber Tabellenführer, weil das Torverhältnis ein kleines bißchen besser war als das von Braunschweig. Als Verfolger hatte Gladbach außerdem noch Bayern, den HSV, Schalke 04 und Kaiserslautern im Nacken.

      Sonst war nicht viel los. Aber ob in Vallendar mehr los war? Bestimmt nicht soviel wie 1498 in Florenz: Da war der Bußprediger Savonarola auf dem Scheiterhaufen ganz oben an einen hohen Pfahl gefesselt worden, um länger was von seinem Feuertod zu haben. Ketzer totbrutzeln, das war eins der Hobbys der Päpste gewesen. Und nun sollte man den Kunstgeschmack dieser Schweinepriester bewundern und kriegte das als Hausaufgabe auf.

       Kennst du Kunstwerke in deiner Heimat, die aus dem Mittelalter oder der Renaissance stammen? In wessen Auftrag könnten sie entstanden sein?

      Mittelalterliche Kunstwerke in meiner Heimat? Da kam mir nur die Sporkenburgruine in den Sinn, bei Eitelborn, zu der Michael und ich oft gefahren waren, in der paradiesischen Zeit vor dem Umzug nach Meppen. Zur Sporkenburg hätte ich mal wieder hingewollt. Im Innenhof Nutellabrötchen vertilgen und dann volle Lotte mit dem Rad den steilen Waldweg runterdüsen, so als ob es kein Morgen gäbe.

      Mama hatte Marmorkuchen gekauft, Sahne geschlagen und Tee gekocht, für jeden, der welchen wollte, in der Küche, um Punkt fünf, wie bei den Briten. Draußen fiel der Schnee in dicken Flocken, und die Sonne ging unter.

      Das Stövchen schimmerte rötlich. So hatten wir früher auch auf der Horchheimer Höhe zusammengesessen beim Tee, im Spätherbst, mit Blick auf das Wäldchen und meinen Lieblingskletterbaum. Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir da immer wohnenbleiben sollen. Der Garten war nur ein besseres Handtuch gewesen, ohne viel Unkraut, und nach ein paar Schritten bergauf hatte man sich im tiefsten Wald befunden.

      Und es hätte auch weniger Schnee zu schaufeln gegeben, dachte ich, als Mama Volker und mich nach dem Teetrinken dazu abkommandierte. Auf der Horchheimer Höhe wäre das nur ein kurzes Stück Bürgersteig gewesen. Hier war’s wie der halbe Nürburgring, und dazu gesellte sich noch der Radweg.

       Herbstgewitter über Dächern,

       Schneegestöber voller Zorn …

      Wenn man das alles nüchtern abwägte, kam unterm Strich heraus, daß wir uns mit jedem Umzug etwas Schlechteres eingehandelt hatten, so à la Hans im Glück, der einen Goldbarren als Lohn erhalten und sich auf dubiose Tauschgeschäfte eingelassen hatte und zuletzt als Habenichts dastand, dem sein Stein in den Brunnen geplumpst war.

      Trotz der Klapperkälte hatte ich Dämlack mir morgens keine Handschuhe angezogen. Doof geboren und

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