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Sweetland. Michael Crummey
Читать онлайн.Название Sweetland
Год выпуска 0
isbn 9783963114458
Автор произведения Michael Crummey
Жанр Контркультура
Издательство Автор
» Man hat mich in Kenntnis gesetzt. «
» Es gibt Leute, die darauf hoffen, schon im Herbst umziehen zu können, was bedeutet, dass alle bis zum Ersten unterschreiben müssen. «
» Man hat mich in Kenntnis gesetzt «, sagte Sweetland erneut.
Der Regierungsmann griff in eine Innentasche seines Mantels. » Hier steht meine Mailadresse und auch die Handynummer. Sie können mich jederzeit kontaktieren. «
Sweetland legte die Karte auf ein Regal über der Theke und folgte seinem Gast durch den Flur, um ihn aus der Tür hinauszulassen, durch die er eingetreten war. Beim Gehen stützte er sich mit einer Hand auf eine Stuhllehne und dann an die Wand, da der Boden unter seinen Füßen schwankte.
Das Licht blendete durch die offene Tür herein und Sweetland trat bis zur ersten Stufe nach draußen. Er beschattete seine Augen, um hinunter zum Wasser zu schauen. Die Leute in ihren Gärten, auf den Wegen oder am Kai bemühten sich, nicht in seine Richtung zu blicken.
Der Regierungsmann blickte ebenfalls hinunter zum Hafen, und Sweetland konnte nicht anders, als den Ort mit den Augen des Fremden zu sehen. Eine Ansammlung kunststoffverkleideter Bungalows, die Hälfte davon leer stehend. Schuppen mit Giebeldächern und Propantanks und Geländefahrzeuge und angehäuftes altes Gerümpel, wie Treibgut, das von einer Naturkatastrophe an die Böschung gespült wurde. Die weiße Kirche an der Landspitze, die Fisherman’s Hall mit Rita Verges handgemaltem MUSEUM-Schild am Seiteneingang. Eine Handvoll altersschwacher Boote, vertäut in der Bucht.
» Das ist eine schöne Aussicht «, sagte der Regierungsmann. » Ich kann verstehen, warum Sie das nicht verlassen wollen. «
» So sind Sie mir gar nicht vorgekommen «, sagte Sweetland, » wie ein Arschkriecher. «
» Ich arbeite für die Regierung «, sagte der junge Mann und zuckte freundlich mit den Schultern. » Das ist wohl Teil der Aufgabe. «
Er mochte das Arschloch nicht, wirklich. Kein bisschen.
Er hebelte die Tür zurück in den Rahmen und lehnte sich an die Wand. Sah hinüber zu einem ovalen Schwarzweiß-Porträt seines Großvaters neben der Tür. Ein junger Mann aus einer anderen Zeit – hochgestellter Kragen, Weste, die Kette der Taschenuhr, gepflegter, gewachster Schnurrbart.
» Also, Onkel Clar «, sagte er. » Jetzt sind es nur noch ich und Loveless. «
Die Augen des Mannes auf dem Bild blickten zur Seite, als wollte er das Thema vermeiden.
Sweetland ging hinaus zu seinem Rübenkeller und holte die letzten Saatkartoffeln, verbrachte dann eine Stunde damit, sie im Garten einzupflanzen. Als er fertig war, spritzte er Harke und Spaten mit dem Schlauch sauber und brachte sie zurück in den Schuppen. Er wusch sich in der Küche die Hände und sah durch das winzige Fenster über der Spüle Queenie Coffin von nebenan, die durch ihr Fenster eine Tüte Samen auf den Erdstreifen darunter streute. Damit hatte der Sommer – oder was man so als Sommer bezeichnete – wirklich und wahrhaftig begonnen.
So gut wie alle anderen aus der Bucht hatten sich für das Treffen mit dem Regierungsmann in der Fisherman’s Hall versammelt und im Ort herrschte eine unheimliche Stille, als wäre die Insel bereits verlassen. Er rechnete damit, dass nach dem Treffen Reet Verge zu ihm geschickt werden würde, um ihn zu bearbeiten, deshalb packte er ein paar Sachen in den Rucksack und fuhr mit dem Quad aus der Bucht, um ihr aus dem Weg zu gehen. Er kam an dem Pfad zum neuen Friedhof vorbei und fuhr weiter hoch bis zur Spitze der Hügel.
Oben hielt er neben dem Königsstuhl an, um den Ausblick auf Chance Cove und den Norden und Süden der Insel in sich aufzunehmen, auch wenn Jesse nicht dabei war. Jesse hatte ihn schon tausend Mal gefragt, ob man die Steine für die annähernde Form eines Thrones gesammelt hatte oder ob es sich um eine zufällige Zusammenstellung handelte, doch keiner der lebenden Anwohner kannte die Antwort. Womöglich hatte auch noch nie jemand diese Frage gestellt.
Sweetland ging bis zum Leuchtturm, um ein paar Kaninchenfallen aufzustellen, die er mit Jesse am nächsten Morgen überprüfen konnte. Eine Überraschung, um den Jungen willkommen zu heißen und ihm den Stadtstaub einer ganzen Woche aus dem Mund zu spülen.
Es war fast vier Uhr, als er nach Chance Cove zurückkehrte. Der Regierungsmann war wieder auf der Fähre und die Abgesandte der Gemeinde bei Sweetlands Haus gewesen und erst einmal wieder weggegangen. Er schob das Quad zurück in den Schuppen und bedeckte die Maschine mit einer Plane, bevor er durch den hinteren Anbau ins Haus ging. Ließ kaltes Wasser aus dem Hahn laufen, während er nach einem Glas griff.
Sweetland zog die Hand zurück, als er das gefaltete Stück Papier berührte, das in den Schrank geschoben war. Stand einen Augenblick still, während das Wasser weiterlief, und überlegte, wann er den Schrank das letzte Mal geöffnet hatte. Er benutzte tagelang dasselbe Glas aus dem Abtropfgestell, was bedeutete, dass es irgendwann in der letzten Woche dort hingekommen war. Er stellte den Wasserhahn ab und zog das Papierstück heraus, hielt es auf Armlänge von sich. ZIEH AUS, las er, ODER ES WIRD DIR LEIDTUN.
Er faltete das Papier wieder zusammen und öffnete die Schublade unter den Gabeln und Messern, legte es zu den anderen Zetteln, die er während der letzten sechs Monate im Haus gefunden hatte. Sie waren alle gleich, auf komische Art unheimlich, mit vagen Drohungen gegen seine Person und seinen Besitz, die Worte und Buchstaben aus Zeitungsüberschriften ausgeschnitten und auf Papier geklebt, wie bei Lösegeldforderungen im Kino. Es war so amateurhaft, dass Sweetland zuerst angenommen hatte, Loveless würde dahinterstecken, doch die Rechtschreibung war mehr oder weniger korrekt. Und Loveless war der Einzige, der noch mit ihm ausharrte.
Sweetland schloss die Schublade und nahm sich ein Glas, trank das Wasser in langsamen Schlucken. Er konnte sich nicht dazu durchringen, die Drohungen ernst zu nehmen, und hatte sie niemandem gegenüber erwähnt. Er war sich nicht sicher, warum er sie überhaupt behielt. Nur für den Fall, dachte er. Obwohl er nicht sagen konnte, welcher Fall das genau sein würde.
Am nächsten Morgen war er früh auf und ließ das Radio laufen. Machte sich ein Sandwich und eins für Jesse, packte sie zusammen mit zwei Dosen Pfirsiche ein. Im Anbau zog er die Stiefel an und brachte Mantel und Rucksack nach draußen. Hielt dort einen Augenblick inne und horchte, knallte dann die Tür so heftig zu, wie er konnte. Pilgrims im Hof angebundener Hund bellte wie verrückt, und es hallte vom Hügel hinter der Bucht zurück.
» Halt’s Maul, Diesel! «, rief Sweetland lauter als nötig. » Halt verdammt noch mal dein Maul! «
Im violetten Schein der am Schuppen befestigten Straßenlaterne hantierte er am Geländefahrzeug, schnallte seine Zweiundzwanziger an die Lenkstange, band den Rucksack hinten auf die Transportbox. Hörte dann Pilgrims Tür auf- und zugehen und das Geräusch des herbeilaufenden Jungen. Blickte auf und sah ihn neben dem Haus entlangmarschieren. Er war nur noch einen guten halben Meter von Sweetland entfernt, als er plötzlich strammstand und in das Gesicht des alten Mannes blickte.
Der Junge war schmächtig und blass, als wäre er zu lange im Wasser eingeweicht worden. Im violetten Licht wirkte sein Gesicht fahl und leichenblass. » Jesse «, sagte Sweetland. Mit dem Namen des Jungen hatte er nie seinen Frieden gemacht. Er klang tuntig, feminin, wie in diesen Seifenopern, die Sweetlands Mutter sich immer angesehen hatte. Er hatte mit einem halben Dutzend Spitznamen versucht, den Jungen umzutaufen – Bucko, Mister Man, Hunter –, doch Jesse antwortete immer nur auf seinen richtigen Namen.
» Fährst du hoch in die Marsch? «, fragte der Junge.
» Hab ein paar Fallen aufgestellt «, sagte Sweetland. » Wollte mal nachsehen, ob ich Glück hatte. Weiß Clara, dass du hier bist? «
» Mom schläft noch. Ich habe es Pop gesagt. «
» Und was hat dein Opa gemeint? «
» Er meinte, ich soll keine Nervensäge sein. «
Sweetland