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       Für Stan Dragland

      Inhaltsverzeichnis

      Der Königsstuhl

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      Das Wärterhaus

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       Der Königsstuhl

       Denen will ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben …

      – JESAJA

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      Er hörte sie, bevor er sie sah. Stimmen im Nebel, so undeutlich, dass sie ihm zunächst wie eingebildet vorkamen. Eine akustische Halluzination, der Verstand bemüht, das Fehlen eines Sinnes zu kompensieren. Wie ein einsamer Mann irgendwann mit den Möbeln redet, wenn er zu lange allein bleibt.

      Da draußen jedenfalls Stimmen.

      Er war am Samstagmorgen für eine Ladung Holz rüber aufs Festland gefahren und dort vom Nebel über Nacht festgehalten worden. Hatte unter einer alten Decke im Ruderhaus geschlafen, ein paar zusammengerollte Overalls als Polster. Beim ersten Tageslicht klarte es ein wenig auf und er dachte, dass er sich auf den Weg nach Hause machen konnte. Die Insel war schon in Sicht, da umfing ihn dichter Nebel, sodass er keine drei Meter weit über den Bug hinaussehen konnte. Er stellte den Motor ab, um das Boot etwas treiben zu lassen, horchte blind nach anderen Booten. Eine ganze Weile nur nach den Wellen gegen den Bootsrumpf. Das Heulen des Nebelhorns am Burnt Head. Und in der Windstille dazwischen ein Murmeln, das entfernt menschlich klang. Dann ein gerufener Laut, wie Hundebellen.

      Er erschrak. Eine Stimme mitten aus dem Ozean, kilometerweit draußen auf dem Wasser. Er musste seinen Mut zusammennehmen, um etwas zu erwidern, und hoffte, dass ihm nichts aus jener Leere antwortete. Hallo, rief er. Ein halbes Dutzend Stimmen schrie wild herüber und er wich zurück, als hätte ihn eine Hand aus dem Nebel heraus angestoßen. Gott verdammt, sagte er.

      Er startete den Motor und die Stimmen wurden lauter, wollten über den Lärm hinweg gehört werden. Tuckerte in die Richtung, aus der sie vermutlich kamen, den Kopf geneigt, um dem Geschrei zu folgen, das wie ein Leuchtzeichen ausgesandt wurde. Langsam nahmen die Umrisse vor ihm Gestalt an, ein dunkler Fleck im Nebel, die leuchtend rote Farbe des Rettungsboots.

      Er legte den Rückwärtsgang ein, um das offene Boot nicht breitseitig zu rammen. Auf dem Boot standen Gestalten und winkten hektisch. Es schien ein Dutzend zu sein oder mehr und keiner davon einheimisch. Dunkle Haut und schwarze Haare. Irgendein ausländischer Trawler, der auf den Banks untergegangen war, dachte er, ein Containerschiff auf dem Weg in die Staaten. Alle in Straßenkleidung und ohne Rettungsweste.

      Als er näherkam, neigte sich ein Mann in einem solchen Winkel über den Bug, dass Sweetland sich fragte, weshalb er nicht mit dem Kopf voran ins Wasser kippte. Er wirkte indisch, dachte Sweetland, oder etwas Ähnliches, er konnte diese Leute nie auseinanderhalten. Unterhalb des Dollbords hockten noch mehr, keiner von ihnen passend für das Wetter angezogen, sie schienen halb erfroren zu sein. Sweetland reichte ein Schlepptau herüber, das der Mann an den Bug des Rettungsbootes band und dann eine Geste zu seinem Mund machte und den Kopf nach hinten neigte. Sweetland suchte nach den zwei großen Clorox-Flaschen mit frischem Wasser, die er bei sich hatte, nahm die Decke und eine gefaltete Leinenplane und reichte alles rüber.

      Mit einem Ausdruck verwirrter Erleichterung starrten die Gesichter zu ihm herüber. Wegen seiner Holzladung lag er tief im Wasser und er befürchtete, dass sie womöglich über das Dollbord auf sein Boot kommen und ihn unter Wasser setzen würden, wie man es von Ertrinkenden erzählte, dass sie ihre Retter nach unten zerrten. Er versuchte, sie mit Gesten zu beruhigen, und fuhr los, bis das Schlepptau gespannt war, dann ging es langsam weiter in Richtung Bucht.

      Gelegentlich spähte er zurück und erschrak jedes Mal darüber, was in seinem Fahrwasser schwamm.

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      Er sah den Regierungsmann vom Wasser heraufkommen. Hellbraune Hose, Tweedjacke und Krawatte. Derselbe Kerl, der auch bei der letzten Bürgerversammlung dabei war, oder zumindest jemand, der genau so aussah – im Confederation Building in St. John’s schien es eine unendliche Menge davon zu geben. Der Aktenkoffer wirkte so, als hätte er ihn schon bei seiner Geburt in der Hand gehalten. Sweetland wandte sich vom Fenster ab, als könnte er sich vor dem Mann verstecken, indem er nicht in seine Richtung blickte. Sah ihn kurz, wie er zur Vordertür des Hauses kam, hörte das Klopfen.

      Niemand in der Bucht klopfte an. Er überlegte kurz, es zu ignorieren, doch das Klopfen kam ein zweites und dann ein drittes Mal, und schließlich stieß er sich vom Tisch ab und ging durch den Flur hinaus. In der Bucht benutzte auch niemand die Vordertür. Die von Sweetland war seit Jahren nicht mehr geöffnet worden und er musste sie erst aus dem Rahmen hebeln. Der Mann stand dort etwas verloren im Sonnenschein, eine Stimme aus dem Nichts, wo sein Mund sein musste. » Mr Sweetland? «

      Er wartete, bis die Gestalt aus dem Licht auftauchte, bis er die Augen erkennen konnte. » Gerade von der Fähre gekommen, oder? «

      » Ja, in dieser Sekunde. «

      Sweetland nickte. » Ich muss ja verdammt wichtig sein. «

      Der Regierungsmann lächelte zu ihm hoch. » Sie stehen ganz oben auf meiner Liste. «

      Sweetland trat zur Seite, um den Mann hereinzulassen. » Tasse Tee? «

      » Sie haben nicht zufällig Kaffee? «

      » Ich hab löslichen. «

      » Tee ist in Ordnung «, sagte der Regierungsmann.

      Sweetland stellte den Kessel auf den Herd, während der junge Mann am Tisch Platz nahm. Er überlegte, wann dort zuletzt ein Fremder gesessen, die Küche zum ersten Mal gesehen hatte. Niedrige Decke, die Balken nur wenige Zentimeter von Sweetlands Kopf entfernt. Gestrichener Holzboden, eine Schlafcouch unter einem Fenster, ein Resopaltisch mit Chrombeinen vor dem anderen. Die Teetassen seiner Mutter an Haken unter den Hänge­schränken. Alles so vertraut, dass er es seit Jahren nicht mehr wahrgenommen hatte.

      Der Aktenkoffer des Mannes lag wie ein Platzset vor ihm auf dem Tisch, und Sweetland legte einen Löffel und eine Zuckerdose auf die flache Oberseite.

      » Kein Zucker für mich «, sagte der junge Mann und schob die Dose beiseite. » Ein Tropfen Milch, wenn Sie welche haben. « Er stellte den Koffer neben seinen Stuhl auf den Boden.

      » Keine frische «, sagte Sweetland. » Nur Büchsenmilch. «

      » Büchsenmilch ist okay «, sagte der Regierungsmann. Er zog ein Blackberry aus der Manteltasche und hielt es einen Augenblick in Richtung Fenster.

      » Sie sind nicht der Typ, der das letzte Mal da war. «

      » Ich habe die Akte übernommen. «

      » Hier draußen werden Sie kein Handysignal bekommen «, sagte ihm Sweetland.

      Er zuckte mit den Schultern. » Der Rand der zivilisierten Welt. «

      » Vor Jahren hatten sie davon gesprochen, einen Mast aufzustellen. Ist nie dazu gekommen. «

      Der Regierungsmann zeigte an ihm vorbei zur

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