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aus der Handtasche, reichte ihm alle Dokumente durchs Fenster und begriff im selben Moment, dass sie auch den älteren Officer kannte: Im Sommer war ihr Auto gestohlen worden und nach einigen Tagen am Ufer des China Lake etwa fünfzig Meilen im Landesinnern aufgefunden worden; er hatte ihr damals den Schlüssel ausgehändigt. An seinen Namen konnte sie sich nicht erinnern. Erkannte er sie ebenfalls?

      »Leben Sie auf der Insel?«, fragte Officer Coor, während er ihre Papiere studierte.

      »An der Rockledge Road.«

      »Nummer?«

      »15. Das Cottage mit …«

      »Bin gleich zurück, Ma’am«, unterbrach er sie, »legen Sie die Hände aufs Steuerrad und steigen Sie nicht aus.«

      Coor ging zum anderen Officer hinüber, reichte ihm wortlos ihre Papiere und kam dann sofort wieder zu ihr zurück. Er ging wie ein Mann, der sie beeindrucken wollte: breitbeinig und mit wiegenden Hüften. Die rechte Hand am Hüftholster, die linke auf dem Dach ihres Wagens, beugte er sich lächelnd zu ihr hinab; die Spuren eines Kammes in seinen nach hinten gegelten, offensichtlich schwarz gefärbten Haaren erinnerten sie an Ackerfurchen.

      »Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      »Heute?«, fragte sie scheinheilig.

      Wie jeder Polizist wusste er bestimmt, dass man jemanden am ehesten zum Reden brachte, indem man abwartete und geduldig schwieg. Die menschliche Unfähigkeit, Stille auszuhalten, löste nahezu jede Zunge. »Heute Nachmittag«, sagte er nachsichtig lächelnd.

      Der andere Officer saß jetzt auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens, trug eine Lesebrille und sprach in ein Mikrophon, ihre Papiere in der Hand. Den Sheriff nicht zu beachten, der weiterhin mit gezogener Waffe in Deckung seines Wagens stand, war nicht einfach.

      »Ich habe einen Schuss gehört. Ziemlich sicher von einem Gewehr.«

      »Sind Sie Waffenexpertin, Ma’am?«

      »Ein Motorrad hab ich auch gehört, es ist kurz nach dem Schuss schnell nordwärts weggefahren.«

      »Wann war das? Ungefähr?«

      »Punkt 17:53 Uhr.«

      »Das wissen Sie so genau, weil …«

      »Weil ich auf die Uhr geschaut habe, als ich den Schuss hörte.«

      »Und das Motorrad ist sofort losgefahren, nachdem der Schuss gefallen war?«

      »Vielleicht zwanzig Sekunden später.«

      »Sind Sie nicht die Polizistin aus der Schweiz?«

      »Ex-Polizistin. Doch. Ich habe Sie zur Leiche von Norman Dunbar geführt.«

      »Ich erinnere mich, Ma’am. Das Motorrad fuhr Richtung Norden, da sind Sie sich sicher?«

      »Ganz sicher. Klang nach einer Crossmaschine.«

      »Interessant.«

      »Höchstens 250 Kubik. Können Sie mir sagen, was passiert ist?«

      »Wissen Sie das nicht?«, gab er zurück und musterte sie eindringlich.

      Sie war nicht noch einmal an den Rand des Steinbruches getreten, bevor sie sich auf den Weg zu Jake machte, obwohl sie zu gerne gewusst hätte, von wie vielen Streifenwagen der Widerschein der Warnlichter stammte, der über die Büsche auf ihrem Grundstück strich, und ob die Ambulanz bereits eingetroffen war.

      »Woher sollte ich?«

      »Ich darf Ihnen leider nichts sagen«, sagte Officer Coor und blickte die Island Road hoch.

      Im Rückspiegel sah Corinna, wie ein Auto hinter ihr anhielt, an dessen Steuer ihr Nachbar David Byrd saß; sie hob die Hand, und er erwiderte den Gruß, indem er ihr verunsichert lächelnd zuwinkte. Sein brauner Labrador Spots hockte auf dem Beifahrersitz und sah gelassen durch die Frontscheibe, ohne zu verraten, ob er sie wahrnahm oder nicht. Davids Partner Jeff hatte sich am Tag vor Labor Day von ihr verabschiedet, weil er nach Louisiana zurückkehrte, wo ihnen eine Anwaltskanzlei gehörte.

      Officer Coor strich sich geistesabwesend mit gespreizten Fingern durch die Haare, während er seinem Kollegen zusah, der mit steinerner Miene auf sie zukam, den Kopf schüttelte und ihm die Papiere reichte. Als ihm bewusst wurde, dass er die Lesebrille aufhatte, nahm er sie ab, klappte sie zusammen, steckte sie in die Tasche seiner Uniformjacke und ging zum Heck ihres Wagens.

      »Ich muss Sie bitten, den Zündschlüssel abzuziehen und auszusteigen, Ma’am«, sagte Officer Coor, reichte ihr die Papiere durchs Wagenfenster und trat zur Seite, ohne sie aus den Augen zu lassen.

      »Machen Sie den bitte auf«, sagte der ältere Officer und deutete mit dem Kinn auf ihren Kofferraum.

      Corinna stieg aus und ging zum Heck ihres Wagens, ohne die Fahrertür zuzuwerfen. Es war jetzt fast ganz dunkel; der Wind hatte aufgefrischt und trug den abgestandenen, fauligen Geruch des Meeres über die Insel. Letztes Abendlicht fiel durch ein Loch in der Wolkendecke und ließ einen Teil der Baum Bay aufleuchten, als werde er elektrisch beleuchtet. Bis auf einen Klappstuhl, eine Wolldecke, einen Regenschirm und ein Starthilfekabel war ihr Kofferraum leer. Der Beamte beugte sich hinein, ohne etwas anzufassen, nickte ihr wortlos zu, ging dann über die Straße und setzte sich gähnend auf den Beifahrersitz des Streifenwagens.

      »Sie können weiterfahren, Ma’am. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«

      Officer Coor legte ihr für einen Moment die Hand auf den Unterarm, als wolle er sich für das Verhalten seines Kollegen entschuldigen, tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Mütze und wandte sich von ihr ab. Bevor Corinna einstieg, nickte sie David Byrd zu, der sie aber nicht beachtete, weil er gedankenverloren in den dunklen Himmel starrte.

      Sie fuhr über die kurze Brücke, die Spruce Head Island mit dem Festland verband, vorbei am Lobster Lane Book Shop, der seit dem Labor Day am 3. September zu war und erst am Memorial Day Ende Mai wieder öffnen würde, und hielt auf dem Parkplatz vor dem Mussel Ridge, um sich eine Zigarette anzuzünden und sich zu beruhigen. Der Grocery Store, in dem neben Frühstück, Burger und Enchiladas eine passable Pizza mit Blue Cheese serviert worden war, hatte Ende Sommer aufgegeben und fand keinen Käufer. Nach mehr als vier Jahren hatte sie vor Kurzem wieder angefangen zu rauchen, vier, selten fünf Zigaretten am Tag, heimlich, weil sie keine Lust hatte, mit Jake darüber zu diskutieren, wie klug es war, einer früheren Sucht nachzugeben, nachdem es ihr mit viel Mühe gelungen war, von ihrer Xanax-Abhängigkeit loszukommen.

      Michaels ehemaliges Silberfeuerzeug, das mit Benzin betankt wurde und an einen amerikanischen Straßenkreuzer der fünfziger Jahre erinnerte, lag schwer in ihrer Hand; er hatte die Joints damit angezündet, die er abends gelegentlich rauchte, um sich zu entspannen. Sie nahm eine Zigarette aus dem flachen Etui aus gebürstetem Metall, das sie vor vielen Jahren auf dem Flohmarkt in Zürich gekauft hatte und im Handschuhfach vor Jake versteckte. Sie rauchte hastig, das Fenster einen Spalt geöffnet, sah zu, wie Wolken landeinwärts trieben und ließ den Rauch genüsslich durch die Nasenlöcher strömen. War der Mann angeschossen worden, oder war er tot? Hätte sie Coor von den Spuren erzählen sollen, die sie gefunden hatte? In einem der drei kleinen Mietapartments in der Etage über dem Grocery Store brannte Licht. Sie stieg aus und warf die aufgerauchte Zigarette in den Aschenbecher neben der stillgelegten Eismaschine, die der frühere Besitzer des Store offenbar mitsamt dem Inventar verkaufen wollte.

      Um das Wageninnere durchzulüften, ließ sie alle Fenster nach unten gleiten, ich beseitige Spuren, ging ihr durch den Kopf, und startete die CD, die Jake für sie gebrannt hatte, Leo Kottke, John Renbourn, Bert Jansch, Ry Cooder, Jim Croce, Gitarrenmusik, vieles davon akustisch. Sie kam nicht gern zu spät, sie musste sich beeilen.

      Auf Höhe der Kirche der Harmony Bible Church an der Route 73 North kurz vor South Thomaston fiel ihr ein, dass sie die Zitronen vergessen hatte! Vor dem Hintergrund des dichten Waldes wirkte der weiß gestrichene Bau bei Sonnenschein wie ein Segelschiff, das im Begriff war, in See zu stechen. Vorletzten Sonntag hatte ein Mann vor der Kirche geweint, die Arme ausgebreitet, als wolle er den Schmerz umarmen, der ihn plagte.

      Die

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