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eine Zensur, es gab für Königsfeinde und Gottesleugner die Bastille und sogar den Henker, es wurde eine Reihe sehr harter Urteile gefällt – aber auf die Dauer der Epoche verteilt, sind es nicht allzu viele. Und immer wieder, und oft fast unbehindert, gelang es doch den [31]Aufklärern, ihre Schriften zu veröffentlichen und zu verbreiten, und jede an einem der Ihrigen vollzogene Strafe hatte nur eine Verstärkung und Ausbreitung des rebellischen Schrifttums zur Folge.

      Sehr ähnlich herrschte unter Wilhelm II. offiziell noch absolutistische und moralische Strenge, es gab gelegentliche Prozesse wegen Majestätsbeleidigung oder Gotteslästerung oder Verletzung der Sittlichkeit. Aber der wahre Beherrscher der öffentlichen Meinung war der »Simplizissimus«. Durch kaiserlichen Einspruch kam Ludwig Fulda um den Schillerpreis, der ihm für seinen »Talisman« verliehen worden war; aber Theater, Presse und Witzblatt leisteten sich hundertmal schärfere Kritiken des Bestehenden als der zahme »Talisman«. Und in der unbefangenen Hingabe an jede aus dem Ausland stammende geistige Strömung, und ebenso im Experimentieren auf literarischem, philosophischem, künstlerischem Gebiet, war man auch unter Wilhelm II. unbehindert. Nur in den allerletzten Jahren des Kaisertums zwang die Notwendigkeit des Krieges zur Zensur. Ich selber habe nach meiner Entlassung aus dem Lazarett lange Zeit als Gutachter für das Buchprüfungsamt Oberost gearbeitet, wo die gesamte für Zivil und Militär des großen Verwaltungsgebietes bestimmte Literatur nach den Bestimmungen der Sonderzensur durchgesehen wurde, wo es also um einiges strenger zuging als in den Inlandzensurstellen. Mit welcher Weitherzigkeit wurde hier verfahren, wie selten wurde selbst hier ein Verbot ausgesprochen!

      Nein, in den beiden Epochen, die ich aus persönlicher Erfahrung übersehe, hat es eine so weitgehende literarische Freiheit gegeben, daß die ganz wenigen Fälle des Mundtotmachens als Ausnahmen gelten müssen.

      Die Folge davon war, daß sich nicht nur die generellen Sparten der Sprache, als Rede und Schrift, als journalistische, wissenschaftliche, dichterische Form, frei entfalteten, daß es nicht nur allgemeine literarische Strömungen gab wie Naturalismus und Neuromantik und Impressionismus und Expressionismus, sondern daß sich auf allen Gebieten auch völlig individuelle Sprachstile entwickeln konnten.

      [32]Man muß sich diesen bis 1933 blühenden und dann jäh absterbenden Reichtum vor Augen halten, um ganz die Armseligkeit der uniformierten Sklaverei zu begreifen, die ein Hauptcharakteristikum der LTI ausmacht.

      Der Grund dieser Armut scheint am Tage zu liegen. Man wacht mit einer bis ins letzte durchorganisierten Tyrannei darüber, daß die Lehre des Nationalsozialismus in jedem Punkt und so auch in ihrer Sprache unverfälscht bleibe. Nach dem Beispiel päpstlicher Zensur heißt es auf der Titelseite parteibetreffender Bücher: »Gegen die Herausgabe dieser Schrift bestehen seitens der NSDAP keine Bedenken. Der Vorsitzende der parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.« Zu Wort kommt nur, wer der Reichsschrifttumskammer angehört, und die gesamte Presse darf nur veröffentlichen, was ihr von einer Zentralstelle aufgegeben wird, höchstens daß sie den für alle verbindlichen Text in bescheidenstem Maße variieren darf – aber dieses Variieren beschränkt sich auf die Umkleidung der für alle festgelegten Klischees. In den späteren Jahren des Dritten Reichs bildete sich die Gewohnheit heraus, daß am Freitagabend im Berliner Rundfunk Goebbels’ neuester »Reich«-Artikel einen Tag vor Erscheinen des Blattes verlesen wurde, und damit war jedesmal bis zur nächsten Woche geistig fixiert, was in sämtlichen Blättern des nazistischen Machtbereichs zu stehen hatte. So waren es nur ganz wenige Einzelne, die der Gesamtheit das alleingültige Sprachmodell lieferten. Ja, im letzten war es vielleicht der einzige Goebbels, der die erlaubte Sprache bestimmte, denn er hatte vor Hitler nicht nur die Klarheit voraus, sondern auch die Regelmäßigkeit der Äußerung, zumal der Führer immer mehr verstummte, teils um zu schweigen wie die stumme Gottheit, teils weil er nichts Entscheidendes mehr zu sagen hatte; und was etwa Göring und Rosenberg noch an eigenen Nuancen fanden, das wurde von dem Propagandaminister in sein Sprachgewebe eingewirkt.

      Die absolute Herrschaft, die das Sprachgesetz der winzigen Gruppe, ja des einen Mannes ausübte, erstreckte sich über den gesamten deutschen Sprachraum mit um so entschiedenerer [33]Wirksamkeit, als die LTI keinen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache kannte. Vielmehr: alles in ihr war Rede, mußte Anrede, Anruf, Aufpeitschung sein. Zwischen den Reden und den Aufsätzen des Propagandaministers gab es keinerlei stilistischen Unterschied, weswegen sich denn auch seine Aufsätze so bequem deklamieren ließen. Deklamieren heißt wörtlich: mit lauter Stimme, tönend daherreden, noch wörtlicher: herausschreien. Der für alle Welt verbindliche Stil war also der des marktschreierischen Agitators.

      Und hier tut sich unter dem offen zutage liegenden Grund ein tieferer für die Armut der LTI auf. Sie war nicht nur deshalb arm, weil sich jedermann zwangsweise nach dem gleichen Vorbild zu richten hatte, sondern vor allem deshalb, weil sie in selbstgewählter Beschränkung durchweg nur eine Seite des menschlichen Wesens zum Ausdruck brachte.

      Jede Sprache, die sich frei betätigen darf, dient allen menschlichen Bedürfnissen, sie dient der Vernunft wie dem Gefühl, sie ist Mitteilung und Gespräch, Selbstgespräch und Gebet, Bitte, Befehl und Beschwörung. Die LTI dient einzig der Beschwörung. In welches private oder öffentliche Gebiet auch immer das Thema gehört – nein, das ist falsch, die LTI kennt so wenig ein privates Gebiet im Unterschied vom öffentlichen, wie sie geschriebene und gesprochene Sprache unterscheidet –, alles ist Rede, und alles ist Öffentlichkeit. »Du bist nichts, dein Volk ist alles«, heißt eines ihrer Spruchbänder. Das bedeutet: du bist nie mit dir selbst, nie mit den Deinen allein, du stehst immer im Angesicht deines Volkes.

      Es wäre deshalb auch irreführend, wollte ich sagen, die LTI wende sich auf allen Gebieten ausschließlich an den Willen. Denn wer den Willen anruft, ruft immer den Einzelnen, auch wenn er sich an die aus Einzelnen zusammengesetzte Allgemeinheit wendet. Die LTI ist ganz darauf gerichtet, den Einzelnen um sein individuelles Wesen zu bringen, ihn als Persönlichkeit zu betäuben, ihn zum gedanken- und willenlosen Stück einer in bestimmter Richtung getriebenen und gehetzten Herde, ihn zum Atom eines rollenden Steinblocks zu machen. Die LTI ist die Sprache des [34]Massenfanatismus. Wo sie sich an den Einzelnen wendet, und nicht nur an seinen Willen, sondern auch an sein Denken, wo sie Lehre ist, da lehrt sie die Mittel des Fanatisierens und der Massensuggestion.

      Die französische Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts hat zwei Lieblingsausdrücke, -themen und -sündenböcke: Priestertrug und Fanatismus. Sie glaubt nicht an die Echtheit priesterlicher Gesinnung, sie sieht in allem Kult einen Betrug, der zur Fanatisierung einer Gemeinschaft und zur Ausbeutung der Fanatisierten erfunden ist.

      Nie ist ein Lehrbuch des Priestertrugs – nur sagt die LTI statt Priestertrug: Propaganda – mit schamloserer Offenheit geschrieben worden als Hitlers »Mein Kampf«. Es wird mir immer das größte Rätsel des Dritten Reichs bleiben, wie dieses Buch in voller Öffentlichkeit verbreitet werden durfte, ja mußte, und wie es dennoch zur Herrschaft Hitlers und zu zwölfjähriger Dauer dieser Herrschaft kommen konnte, obwohl die Bibel des Nationalsozialismus schon Jahre vor der Machtübernahme kursierte. Und nie, im ganzen achtzehnten Jahrhundert Frankreichs nie, ist das Wort Fanatismus (mit dem ihm zugehörigen Adjektiv) so zentral gestellt und bei völliger Wertumkehrung so häufig angewandt worden wie in den zwölf Jahren des Dritten Reichs.

      [35]IV Partenau

      In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre lernte ich einen jungen Menschen kennen, der sich soeben als Offiziersaspirant zur Reichswehr gemeldet hatte. Seine angeheiratete Tante, Witwe eines Kollegen von der Hochschule, sehr weit links stehend und leidenschaftliche Verehrerin Sowjetrußlands, führte ihn mit einer Art Entschuldigung bei uns ein. Er sei ein wirklich guter und gutmütiger Junge und habe seinen Beruf in aller Herzensreinheit ohne Chauvinismus und Blutgier gewählt. In seiner Familie würden die Söhne seit Generationen Pfarrer oder Offizier, der verstorbene

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