ТОП просматриваемых книг сайта:
LTI. Victor Klemperer
Читать онлайн.Название LTI
Год выпуска 0
isbn 9783159607092
Автор произведения Victor Klemperer
Жанр Документальная литература
Серия Reclam Taschenbuch
Издательство Bookwire
Es hat überlebt.
Fanatique und fanatisme sind Wörter, die von den französischen Aufklärern durchweg im äußersten Tadelssinn, und dies aus doppeltem Grund, angewandt werden. Ursprünglich – die Wurzel liegt in fanum, dem Heiligtum, dem Tempel – ist ein Fanatiker ein in religiöser Verzückung, in ekstatischen Krampfzuständen befindlicher Mensch. Da nun die Aufklärer gegen alles kämpfen, was zur Trübung oder Ausschaltung des Denkens führt, und da sie als Kirchenfeinde mit besonderer Erbitterung jeden religiösen Irrwahn befehden, so bedeutet ihrem Rationalismus der Fanatiker den eigentlichen Widerpart. Typus des fanatique ist ihnen Ravaillac, der eben aus religiösem Fanatismus den guten König Heinrich IV. ermordet. Wirft man von der Gegenseite her den Aufklärern ihrerseits Fanatismus vor, so bestreiten sie das, weil ja doch ihr eigenes Eifern nur ein mit den Mitteln der Vernunft geführter Kampf [71]gegen die Feinde der Vernunft sei. Wohin das Gedankengut der Aufklärung auch dringt, da überall wird mit dem Begriff des Fanatischen ein Gefühl der Abneigung, ein Tadel verbunden.
Wie alle anderen Aufklärer, die als »Philosophen« und »Enzyklopädisten« seine Parteigenossen waren, ehe er als Einzelgänger sie zu hassen begann, genau so gebraucht auch Rousseau fanatisch im pejorativen Sinn. Im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars heißt es vom Auftreten Christi unter den jüdischen Eiferern: »Im Schoße des wütendsten Fanatismus erklang die Stimme der höchsten Weisheit.«
Aber gleich darauf, wenn der Vikar als Sprachrohr Jean-Jacques’ gegen die Unduldsamkeit der Enzyklopädisten fast noch heftiger anrennt als gegen die kirchliche Intoleranz, steht in einer langen Anmerkung: »Bayle hat sehr wohl bewiesen, daß Fanatismus verderblicher wirkt als Gottlosigkeit, und das ist auch unbestreitbar; für sich behalten aber hat er eine nicht geringere Wahrheit: in all seiner Blutgier und Grausamkeit ist nämlich der Fanatismus eine große und starke Leidenschaft, die das Herz des Menschen erhebt, die ihn den Tod verachten läßt, die ihm mächtigen Schwung verleiht, und die man nur besser lenken muß, um ihr die erhabensten Tugenden abzugewinnen; während auf der anderen Seite der Unglaube, und ganz allgemein das klügelnde Aufklärertum, zur Anklammerung an das Leben, zur Verweichlichung, zur Erniedrigung der Seelen führt, alle Leidenschaften an gemeine Privatinteressen, an verwerflichen Egoismus wendet, und derart die wahren Grundlagen jeder Gesellschaft heimlich untergräbt.«
Hier ist die völlige Umwertung des Fanatismus zur Tugend bereits gegeben. Aber bei allem Weltruhm Rousseaus blieb sie doch wirkungslos in dieser Anmerkung verborgen. Was in der Romantik auf Rousseau zurückging, war die Verherrlichung nicht des Fanatismus, sondern der Leidenschaft in jeglicher Form, für jegliche Sache. In Paris, in der Nähe des Louvre, steht ein zierlich-schönes kleines Monument: ein um die Ecke stürmender blutjunger Trommler. Er trommelt Alarm, er trommelt Begeisterung wach, er ist repräsentativ für die Begeisterung der französischen Revolution [72]und des auf sie folgenden Jahrhunderts. Die Zerrgestalt seines Bruders Fanatismus schritt erst 1932 durchs Brandenburger Tor. Bis dahin blieb das Fanatische trotz jenes heimlichen Lobes eine verpönte Eigenschaft, etwas das zwischen Krankheit und Verbrechen mitteninne stand.
Es gibt im Deutschen keinen vollwertigen Ersatz für dieses Wort, auch dann nicht, wenn man es aus der ursprünglichen Anwendung auf das Kultische allein befreit. Eifern ist ein harmloserer Ausdruck, man stellt sich unter einem Eiferer eher einen leidenschaftlichen Prediger vor als einen unmittelbaren Gewalttäter. Besessenheit bezeichnet mehr einen krankhaften und somit entschuldbaren oder bemitleidenswerten Zustand als ein gemeingefährliches Handeln aus diesem Zustand heraus. Schwärmer ist ungleich heller im Ton. Gewiß, dem um Klarheit ringenden Lessing ist schon das Schwärmen anrüchig. »Gib ihn nicht (schreibt er im Nathan) den Schwärmern deines Pöbels preis.« Aber man frage sich einmal, ob in den abgegriffenen Zusammenstellungen »düsterer Fanatiker« und »liebenswürdiger Schwärmer« die Epitheta vertauschbar seien, ob sich also von einem düsteren Schwärmer und einem liebenswürdigen Fanatiker reden lasse. Das Sprachgefühl sträubt sich dagegen. Ein Schwärmer verbohrt sich nicht engstirnig, er löst sich vielmehr vom festen Boden, übersieht dessen reale Bedingungen und schwärmt zu irgendwelchen vorgestellten Himmelshöhen empor. Posa ist für den ergriffenen König Philipp ein »sonderbarer Schwärmer«.
So steht das Wort fanatisch im Deutschen unübersetzbar und unersetzbar da, und immer ist es als wertender Ausdruck mit starker Negation geladen, es bezeichnet eine bedrohliche und abstoßende Eigenschaft. Selbst wenn man gelegentlich im Nachruf auf einen Forscher oder Künstler die Floskel zu lesen bekommt, er sei ein Fanatiker seiner Wissenschaft oder Kunst gewesen, so schwingt doch in diesem Lobe immer die Feststellung eines stachligen Fürsichseins, einer peinlichen Unnahbarkeit mit. Niemals vor dem Dritten Reich wäre es jemandem eingefallen, fanatisch als ein positives Wertwort zu gebrauchen. Und so ganz unauslöschlich haftet [73]der negative Wert an diesem Wort, daß sogar die LTI selber es bisweilen negierend gebraucht. Hitler spricht im Kampfbuch wegwerfend von »Objektivitätsfanatikern«. In einem Werk, das in der Glanzzeit des Dritten Reiches erschien, und dessen Stil eine unablässige Aneinanderreihung nazistischer Sprachklischees ist, in Erich Gritzbachs hymnischer Monographie: »Hermann Göring, Werk und Mensch«, heißt es von dem verhaßten Kommunismus, es habe sich gezeigt, wie diese Irrlehre die Menschen zu Fanatikern erziehen könne. Aber hier ist das nun schon eine fast komische Entgleisung, ein ganz unmöglicher Rückfall in den Sprachgebrauch früherer Zeiten, wie er denn freilich in vereinzelten Fällen sogar dem Meister der LTI widerfährt; ist doch bei Goebbels noch im Dezember 1944 (wohl in Anlehnung an die zitierte Hitlerstelle) die Rede von dem »wirrköpfigen Fanatismus einiger unbelehrbarer Deutscher«.
Ich nenne derartiges einen komischen Rückfall; denn da der Nationalsozialismus auf Fanatismus gegründet ist und mit allen Mitteln die Erziehung zum Fanatismus betreibt, so ist fanatisch während der gesamten Ära des Dritten Reiches ein superlativisch anerkennendes Beiwort gewesen. Es bedeutete die Übersteigerung der Begriffe tapfer, hingebungsvoll, beharrlich, genauer: eine glorios verschmelzende Gesamtaussage all dieser Tugenden, und selbst der leiseste pejorative Nebensinn fiel im üblichen LTI-Gebrauch des Wortes fort. An Festtagen, an Hitlers Geburtstag etwa oder am Tag der Machtübernahme, gab es keinen Zeitungsartikel, keinen Glückwunsch, keinen Aufruf an irgendeinen Truppenteil oder irgendeine Organisation, die nicht ein »fanatisches Gelöbnis« oder »fanatisches Bekenntnis« enthielten, die nicht den »fanatischen Glauben« an die ewige Dauer des Hitlerreiches bezeugten. Und erst im Kriege, und nun gar als sich die Niederlagen nicht mehr vertuschen ließen! Je dunkler die Lage sich gestaltete, um so häufiger wurde der »fanatische Glaube an den Endsieg«, an den Führer, an das Volk oder an den Fanatismus des Volkes als an eine deutsche Grundtugend ausgesagt. Der quantitative Höchstgebrauch in der Tagespresse wurde im Anschluß an das Attentat auf Hitler [74]vom 20. Juli 1944 erreicht: in buchstäblich jedem der übervielen Treuegelöbnisse für den Führer steht das Wort.
Hand in Hand mit dieser Häufigkeit auf politischem Felde ging die Anwendung auf anderen Gebieten, bei Erzählern und im täglichen Gespräch. Wo man früher etwa leidenschaftlich gesagt oder geschrieben hatte, hieß es jetzt fanatisch.