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den ersten gefunden zu haben meine, der das betreffende Wort gebrauche, so finde sich immer noch ein Vorgänger hinzu. F. möge nur im Büchmann unter »Übermensch« nachsehen: bis auf die Antike werde das Wort zurückgeführt.

      Und ich selbst habe neulich im alten Fontane, im »Stechlin«, einen »Untermenschen« entdeckt, wo doch die Nazis so stolz auf ihre jüdischen und kommunistischen Untermenschen und das dazugehörige Untermenschentum sind.

      Mögen sie ruhig darauf stolz sein, genauso wie Nietzsche trotz berühmter Vorgänger auf seinen Übermenschen stolz sein darf. Denn ein Wort oder eine bestimmte Wortfärbung oder -wertung gewinnen erst da innerhalb einer Sprache Leben, sind erst da wirklich existent, wo sie in den Sprachgebrauch einer Gruppe oder Allgemeinheit eingehen und sich eine Zeitlang darin behaupten. In diesem Sinn ist der »Übermensch« fraglos Nietzsches Schöpfung, und der »Untermensch« und das unspöttisch neutrale »aufziehen« kommen bestimmt auf das Konto des Dritten Reichs. – –

      Wird ihre Zeit mit der des Nazismus abgelaufen sein?

      Ich bemühe mich darum, bin aber skeptisch.

      Diese Notiz arbeitete ich im Januar 1946 aus. Am Tage nach der Fertigstellung hatten wir eine Sitzung des Dresdner Kulturbundes. [61]Ein Dutzend derer, denen durch ihre Wahl besondere Kultiviertheit bezeugt worden ist, und die nun also vorbildlich wirken sollen. Es ging um die Veranstaltung einer der jetzt ringsum üblichen Kulturwochen, u. a. um eine Kunstausstellung. Einer der Herren sagte, etliche der für die »Volkssolidarität« gestifteten und nun in die Ausstellung einzubeziehenden Bilder seien Schinken. Sofort wurde ihm erwidert: »Unmöglich! Wenn wir hier in Dresden eine Kunstausstellung veranstalten, dann müssen wir sie auch groß und unantastbar aufziehen.«

      [62]VIII Zehn Jahre Faschismus

      Einladung des italienischen Konsulats in Dresden für Sonntagvormittag, den 23. Oktober 1932, zur Vorführung des Films – film sonoro ausdrücklich, denn noch gibt es auch den stummen – »Zehn Jahre Faschismus«.

      (Hierbei ist in Parenthese zu bemerken, daß man Faschismus schon mit sch statt sc schreibt, daß das Wort also schon eingebürgert ist. Aber vierzehn Jahre später frage ich als Staatskommissar den Abiturienten eines humanistischen Gymnasiums nach der Bedeutung des Wortes, und er antwortet mir ohne Zögern: »das kommt von fax, die Fackel, her.« Er ist nicht unintelligent, er ist bestimmt Pimpf und Hitlerjunge gewesen, er ist bestimmt Markensammler und kennt das Liktorenbündel auf den italienischen Marken der Mussolinizeit, zudem kennt er es natürlich aus der Lateinlektüre vieler Jahre, und trotzdem weiß er nicht, was das Wort Faschismus bedeutet. Mitschüler verbessern ihn: »Von fascis.« Aber wie viele andere werden über die Grundbedeutung des Wortes und Begriffes im unklaren sein, wenn ein nazistisch erzogener Gymnasiast nicht darum weiß? … Immer und von überall her dringt der gleiche Zweifel auf mich ein: was läßt sich mit Sicherheit aussagen über Wissen und Denken, über den Geistes- und Seelenzustand eines Volkes?)

      Zum erstenmal höre und sehe ich den Duce reden. Der Film ist eine große Kunstleistung. Mussolini spricht vom Balkon des Schlosses in Neapel herunter auf die Menge ein; Aufnahmen der Masse und Großaufnahmen des Redners, Worte Mussolinis und Antworttöne der Angesprochenen wechseln miteinander. Man sieht, wie sich der Duce zu jedem Satz buchstäblich aufpumpt, wie er immer wieder, dazwischen absinkend, den Gesichts- und Körperausdruck höchster Energie und Anspannung herstellt, man hört den leidenschaftlich predigenden, ritualen, kirchlichen Tonfall, in dem er immer nur kurze Sätze herausschleudert, wie Bruchstücke [63]einer Liturgie, auf die jeder ohne gedankliche Anstrengung gefühlsmäßig reagiert, auch wenn er nicht, ja gerade wenn er nicht den Sinn versteht. Riesenhaft der Mund. Gelegentliche typisch italienische Fingerbewegungen. Und Geheul aus der Masse, Zwischenrufe der Begeisterung, oder, bei Nennung eines Gegners, gellende Pfiffe. Dazu immer wieder die Haltung des Faschistengrußes, der vorgereckte Arm.

      All das haben wir seitdem so abertausendmal gesehen und gehört, mit so geringen Variationen nur immer wiederholt, als Aufnahme vom Nürnberger Parteitag oder aus dem Berliner Lustgarten oder vor der Münchener Feldherrnhalle usw. usw., daß uns der Mussolinifilm eine sehr alltägliche und nicht im geringsten außergewöhnliche Leistung zu sein scheint. Aber so wie der Titel Führer nur eine Verdeutschung von Duce ist, und das Braunhemd nur eine Variation des italienischen Schwarzhemds, und der Deutsche Gruß nur eine Nachahmung des Faschistengrußes, so ist die gesamte Filmaufnahme solcher Szenen als Propagandamittel, so ist die Szene selber, die Führerrede vor dem versammelten Volk, in Deutschland dem italienischen Vorbild nachgeformt worden. In beiden Fällen handelt es sich darum, den führenden Mann in unmittelbaren Kontakt mit dem Volk selber, dem ganzen Volk und nicht nur seinen Vertretern, zu bringen.

      Verfolgt man diesen Gedanken zurück, so stößt man unweigerlich auf Rousseau, insbesondere auf seinen Contrat social. Indem Rousseau als Genfer Bürger schreibt, also die Verhältnisse eines Stadtstaates vor Augen hat, ist es seiner Phantasie fast etwas zwangsläufig Selbstverständliches, der Politik antike Form zu geben, sie in städtischen Grenzen zu halten – Politik ist ja die Kunst, eine Polis, eine Stadt, zu leiten. Bei Rousseau ist der Staatsmann der Redner zum Volk, dem auf dem Markt versammelten, bei Rousseau bedeuten sportliche und künstlerische Veranstaltungen, an denen die Volksgemeinschaft teilnimmt, politische Institutionen und Werbemittel. Es war die große Idee Sowjetrußlands, durch Anwendung der neuen technischen Erfindungen, durch Film und Radio die raumbegrenzte Methode der Alten und Rousseaus ins [64]Unbegrenzte auszudehnen, den führenden Staatsmann sich wirklich und persönlich »an alle« wenden zu lassen, auch wenn diese »Alle« nach Millionen zählten, auch wenn Tausende von Kilometern zwischen ihren einzelnen Gruppen lagen. Damit wurde der Rede unter den Mitteln und Pflichten des Staatsmannes die Wichtigkeit zurückgegeben, die sie in Athen besessen hatte, ja eine erhöhte Wichtigkeit, weil ja nun eben an die Stelle Athens ein ganzes Land und mehr als nur ein Land trat.

      Aber nicht nur wichtiger als vordem war die Rede jetzt geworden, sondern mit Notwendigkeit auch ihrem Wesen nach etwas anderes als zuvor. Indem sie sich an alle wandte und nicht mehr an ausgewählte Volksvertreter, mußte sie sich auch allen verständlich machen und somit volkstümlicher werden. Volkstümlich ist das Konkrete; je sinnlicher eine Rede ist, je weniger sie sich an den Intellekt wendet, um so volkstümlicher ist sie. Von der Volkstümlichkeit zur Demagogie oder Volksverführung überschreitet sie die Grenze, sobald sie von der Entlastung des Intellekts zu seiner gewollten Ausschaltung und Betäubung übergeht.

      In gewissem Sinn kann man den festlich geschmückten Markt oder die mit Bannern und Spruchbändern hergerichtete Halle oder Arena, in der zur Menge gesprochen wird, als einen Bestandteil der Rede selber, als ihren Körper ansehen; die Rede ist in solchem Rahmen inkrustiert und inszeniert, sie ist ein Gesamtkunstwerk, das sich gleichzeitig an Ohr und Augen wendet, und doppelt an das Ohr, denn das Brausen der Menge, ihr Applaus, ihr Ablehnen wirkt auf den Einzelhörer gleich stark, mindestens gleich stark wie die Rede an sich. Wiederum ist auch die Tonart der Rede selber fraglos beeinflußt, fraglos sinnlicher gefärbt durch solche Inszenierung. Der Tonfilm überträgt dies Gesamtkunstwerk in seiner Ganzheit; das Radio ersetzt das dem Auge gebotene Schauspiel durch Ansage, die dem antiken Botenbericht entspricht, gibt aber die aufreizende auditive Doppelwirkung, das spontane Responsorium der Masse, getreu wieder. (»Spontan« gehört zu den Lieblingsfremdwörtern der LTI, und davon wird noch zu reden sein.)

      [65]Das Deutsche bildet zu Rede und reden nur das eine Adjektiv rednerisch, und dies Adjektiv hat keinen sehr guten Klang, eine rednerische Leistung steht immer einigermaßen im Verdacht der Schaumschlägerei. Man könnte hier fast von einem dem deutschen Volkscharakter eingeborenen Mißtrauen gegen den Redner sprechen.

      Die Romanen dagegen, denen solches Mißtrauen fernliegt, und die den Redner schätzen, unterscheiden scharf zwischen dem Oratorischen und dem Rhetorischen.

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