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Metamorphosen. Ovid
Читать онлайн.Название Metamorphosen
Год выпуска 0
isbn 9783159608006
Автор произведения Ovid
Жанр Языкознание
Серия Reclam Taschenbuch
Издательство Bookwire
[230] Sobald er dies aufgetischt hatte, ließ ich mit rächender Flamme das Dach auf die Penaten stürzen, die ihres Herrn würdig waren; erschrocken flieht er selbst in die ländliche Stille, heult dort auf und versucht vergeblich zu sprechen. Seinem Wesen entsprechend atmet sein Rachen rasende Wut; seine gewohnte Mordlust [235] läßt er am Kleinvieh aus und freut sich auch jetzt noch am Blutvergießen. In Zotteln verwandeln sich die Kleider, in Schenkel die Arme. Er wird zum Wolf und behält dabei Spuren seiner früheren Gestalt: Die Grauhaarigkeit ist geblieben, geblieben die gewalttätige Miene, geblieben die leuchtenden Augen, geblieben das Bild der Wildheit.
Die Götterversammlung (II)
[240] Untergegangen ist ein Haus, aber nicht nur ein Haus verdiente unterzugehen; so weit die Erde reicht, herrscht die wilde Erinys. Man möchte meinen, sie hätten sich verschworen, Verbrechen zu begehen. Schnell mögen alle die Strafe empfangen, die sie verdient haben. So ist’s beschlossen.«
Ein Teil billigt Iuppiters Worte durch Zuruf und spornt den Wutschnaubenden an, [245] andere bekunden ihren Pflichteifer durch Zustimmung. Dennoch schmerzt alle der Verlust des Menschengeschlechtes, und sie fragen, welche Gestalt die Erde ohne Menschen haben werde, wer dann Weihrauch zu den Altären bringe und ob Iuppiter die Erde den wilden Tieren zur Verwüstung überlassen wolle. [250] Während sie solches fragen, verbietet ihnen der König der Himmlischen, sich zu beunruhigen – denn er werde für alles übrige sorgen. Und er verspricht ihnen ein Menschengeschlecht, dem früheren Volk nicht ähnlich und von wunderbarem Ursprung.
Die Sintflut
Schon wollte er über alle Lande Blitze ausstreuen, doch befürchtete er, so viele Feuer könnten den heiligen Äther [255] in Flammen setzen und die lange Himmelsachse entzünden. Auch erinnert er sich eines Schicksalsspruchs, es werde die Zeit kommen, da Meer, Erde und Himmelsburg in Brand geraten und das Weltgebäude in schwerer Bedrängnis ist. Er legt die Waffen beiseite, die von Cyclopenhand gemacht sind, [260] und entscheidet sich für die entgegengesetzte Strafe: das sterbliche Geschlecht im Wasser zu ertränken und vom ganzen Himmel Regengüsse niedergehen zu lassen.
Alsbald verschließt er in den aeolischen Höhlen den Nordsturm und alle Winde, die heraufgezogene Wolken vertreiben, und läßt den Südwind los: Der Südwind fliegt auf feuchten Schwingen heraus, [265] das furchterregende Gesicht mit pechschwarzer Finsternis bedeckt. Der Bart ist schwer von Regen, vom grauen Haar fließt Wasser, an der Stirn ruhen Nebelschwaden, von Tau triefen die Federn und das Gewand. Kaum hat er mit der Hand die weit und breit am Himmel hangenden Wolken gepreßt, platzen sie mit Getöse; dann gießt es vom Himmel in Strömen. [270] Die Botin der Iuno, Iris im bunten Farbenkleide, zieht Wasser empor und bringt den Wolken Nahrung. Zu Boden gedrückt werden die Saaten; beweint liegt die Frucht darnieder, um welche die Bauern gebetet haben, und die Arbeit eines langen Jahres ist verloren und vertan.
Und Iuppiters Zorn beschränkt sich nicht auf seinen Himmel; [275] ihn unterstützt sein wasserblauer Bruder mit helfenden Wellen. Er ruft die Flußgötter zusammen. Nachdem sie das Haus ihres Tyrannen betreten hatten, sprach er: »Es bedarf jetzt keiner langen Ermahnung. Laßt euren Kräften freien Lauf! So muß es sein. Öffnet eure Pforten, beseitigt die Dämme [280] und laßt euren Strömen ganz und gar die Zügel schießen!« Soweit sein Befehl; sie kehren heim, öffnen die Schleusen der Quellen und wälzen sich in entfesseltem Lauf zum Meer. Der Meister selbst hat die Erde mit seinem Dreizack erschüttert; sie erzitterte, und ihr Beben bahnte dem Wasser neue Wege. [285] Die Flüsse verlassen ihr Bett, stürzen durch das offene Feld und reißen zugleich mit den Saaten Büsche, Vieh und Menschen, Häuser und geweihte Räume samt den heiligen Götterbildern mit sich fort. Und wenn ein Gebäude erhalten blieb und noch standhielt, ohne von dem verheerenden Unglück in Trümmer gelegt zu sein, stehen doch die Fluten höher als sein First, [290] und tief unter dem Strudel sind die Türme versteckt. Schon gab es zwischen Wasser und Land keinen Unterschied; alles war ein einziges Meer; und das Meer hatte keine Küsten.
Der eine besetzt einen Hügel, der andere sitzt im gebogenen Nachen und rudert dort, wo er neulich gepflügt hat; [295] jener segelt über Saaten oder über Dächer eines versunkenen Landhauses hin; dieser fängt im Ulmenwipfel einen Fisch. Der Anker senkt sich, wenn es der Zufall will, in eine grüne Wiese, oder die gebogenen Kiele streifen darunterliegende Weingärten; und wo eben noch magere Ziegen Grashalme rupften, [300] legen sich jetzt häßliche Robben zur Ruhe. Die Nereiden bewundern unter dem Wasser Haine, Städte und Häuser, Delphine wohnen in Wäldern, stoßen an hohe Zweige und schlagen an Stämme, die nachschwingen. Es schwimmt der Wolf mitten unter Schafen, die Woge trägt gelbbraune Löwen, [305] die Woge trägt Tiger; seine Kraft, die dem Blitze gleicht, hilft dem Eber nicht; die schnellen Schenkel nützen dem Hirsch nicht, der hinweggespült wird; und nachdem der flüchtige Vogel lange nach Land gesucht hat, auf dem er sich niederlassen könnte, fällt er schließlich mit ermatteten Schwingen ins Meer. Die See hatte in ihrer unermeßlichen Zügellosigkeit die Hügel bedeckt, [310] und ungewohnte Fluten schlugen an Berggipfel. Die meisten Menschen werden von der Woge dahingerafft, und die wenigen, welche die Woge verschont hat, zermürbt endloser Hunger; denn sie finden keine Nahrung.
Deucalion und Pyrrha
Phocis trennt die Aonier von den oetaeischen Gefilden, ein fruchtbares Land, solange es Land war, damals aber war es [315] ein Teil des Meeres und eine neu entstandene große Wasserfläche. Dort strebt ein Berg mit zwei Gipfeln steil zu den Sternen empor, er heißt der Parnaß, und seine Spitzen überragen die Wolken. Sobald Deucalion hier – alles übrige hatte nämlich das weite Meer bedeckt – mit seiner Ehefrau auf einem kleinen Floß gestrandet ist, [320] beten sie zu den corycischen Nymphen, zu den Berggottheiten und zur schicksalverkündenden Themis, die damals das Orakel innehatte. Es gab zu jener Zeit keinen Mann, der besser gewesen wäre, keinen, der Recht und Billigkeit mehr geliebt hätte, und keine gottesfürchtigere Frau.
Als Iuppiter sah, daß der Erdkreis ein Sumpf von stehenden Gewässern war [325] und daß von so vielen Tausenden, die soeben noch lebten, nur ein Mann und von so vielen Tausenden nur eine Frau übrig war, beide schuldlos, beide Verehrer der Gottheit, zerstreute er die Wolken, vertrieb die Regengüsse durch den Nordwind und zeigte dem Himmel die Erde und der Erde den Himmel. [330] Auch die Wut der See dauert nicht an; der Meeresbeherrscher legt den Dreizack beiseite, glättet die Wogen und ruft den wasserblauen Triton, der über die Meerestiefe hinausragt – auf seinen Schultern wachsen Purpurschnecken –, und befiehlt ihm, in die tönende Muschel zu blasen und durch ein Zeichen die Fluten und Flüsse zurückzurufen. [335] Er nimmt das hohle Horn, das schneckenförmig von der untersten Windung in die Weite wächst; sobald dieses Horn mitten auf dem Meer Luft aufgenommen hat, füllt seine Stimme die Küsten, die gen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang liegen. So geschah es auch jetzt: Kaum hatte es den Mund des Gottes berührt, dessen nasser Bart von Wasser troff, [340] und, wie befohlen, zum Rückzug geblasen, hörten es alle Wasser,