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lassen und rief deshalb den Maat. Ein paar Sekunden, und er stürzte herbei, noch in Unterwäsche. Wirr und verstört sah er aus; ich fürchte sehr, sein Verstand hat Schaden gelitten. Er trat dicht zu mir hin und flüsterte, den Mund so nah an meinem Ohr, als wollte er ängstlich dafür sorgen, dass nicht einmal die Luft seine Worte hörte: »Es ist hier; kein Zweifel mehr. Gestern während meiner Wache hab ich Es gesehen. Wie ein Mensch kam Es daher, groß und dürr und totenblass. Es stand am Bug und spähte voraus. Ich schlich mich hinter Es und stach mit dem Messer zu, aber die Klinge ging hindurch wie durch Luft.« Bei diesen Worten zog er sein Messer und hieb damit ein paar Mal wild ins Leere. Dann fuhr er fort: »Aber Es ist hier, und ich werd Es finden. Es ist im Laderaum, vielleicht in einer der Kisten. Die schraub ich jetzt auf, eine nach der andern, und schau nach. Bleiben Sie einstweilen am Steuer!« Und mit einem warnenden Blick, den Finger an die Lippen gelegt, stieg er nach unten. Inzwischen hatte sich ein böiger Wind erhoben; ich durfte also ohnehin nicht vom Steuer weg. Mit einer Werkzeugkiste und einer Laterne kehrte der Maat an Deck zurück, um gleich wieder in der hinteren Bodenluke zu verschwinden. Er ist verrückt, komplett verrückt, aber eindeutig; ich werde gar nicht versuchen, ihn aufzuhalten, es wäre völlig sinnlos. Großen Schaden kann er sowieso nicht verursachen; in den Kisten ist ja Erde – steht jedenfalls darauf –, und wenn er an denen etwas herumruckelt, wird er sie wohl kaum beschädigen. So stehe ich denn hier am Steuer und schreibe nebenher diese Notizen. Ich kann jetzt nur noch auf Gott vertrauen und warten, bis der Nebel sich hebt. Falls jedoch der herrschende Wind mir unmöglich macht, einen Hafen anzulaufen, werde ich die Segel kappen, die Lenkung des Schiffes einstellen und ein Notsignal geben …

      Nun ist bald alles vorbei. Gerade hegte ich die Hoffnung, die Nachforschungen unter Deck würden den Maat beruhigen – ich hörte ihn im Laderaum klopfen und poltern, und Arbeit sorgt bei ihm sonst immer für einen ausgeglichenen Seelenzustand –, da drang aus der Luke plötzlich ein gellender Schrei des Entsetzens, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Und dann kam er an Deck gesaust wie aus der Kanone geschossen – ein rasender Irrer mit rollenden Augen und angstverzerrtem Gesicht. »Gott steh mir bei! Gott steh mir bei!«, schrie er. Dann sah er sich um und starrte auf die Nebelwand. Sein Grauen steigerte sich zur Verzweiflung, und er rief mir zu, wobei seine Stimme nun fester klang: »Kommen Sie lieber mit, Kapitän, bevor es zu spät ist. Er ist da. Ich kenne jetzt das Geheimnis. Die See wird mich vor ihm retten; uns bleibt kein anderer Weg!« Ehe ich ein Wort erwidern oder ihn gar zurückhalten konnte, war er auf die Reling gesprungen und warf sich kurz entschlossen ins Meer. Ich glaube, ich kenne das Geheimnis jetzt auch. Dieser Wahnsinnige hat all die Männer beseitigt, einen nach dem anderen, und nun ist er ihnen selbst gefolgt. Gott helfe mir! Wie soll ich all diese Greuel erklären, wenn ich an Land komme? Ja, wenn ich an Land komme! Wird das je geschehen?

      4. August. – Immer noch Nebel, ganz dicht, keine Sonnenstrahlen dringen durch. Dass die Sonne aufgegangen ist, weiß ich aber trotzdem. Woher? Aus meiner Erfahrung als Seemann, schätze ich, woher sonst. Nicht gewagt hinunterzugehen; nicht gewagt, das Steuer zu verlassen; so stand ich die ganze Nacht hier, und plötzlich, im trüben Dämmerlicht, sah ich Es – sah ich Ihn! Gott verzeihe mir, aber ich verstehe jetzt, warum der Maat über Bord sprang, und ich finde, er hat recht daran getan. Es ist besser, wie ein Mann zu sterben; ein freiwilliger Tod in den blauen Fluten hat für einen Seefahrer nichts Verwerfliches. Allein ich bin Kapitän und darf mein Schiff nicht verlassen. Doch ich werde dieses Ungeheuer, diesen Teufel übertölpeln. Sobald ich meine Kräfte schwinden fühle, binde ich meine Hände ans Ruder, und außen herum winde ich etwas, das Er – oder Es! – nicht wagen wird zu berühren. Und danach komme guter Wind oder widriger – ich habe dann jedenfalls meine Seele gerettet und meine Ehre als Kapitän. Schon werde ich schwächer, und die Nacht bricht herein. Ich handle lieber gleich; wenn Er mir wieder ins Gesicht schaut, bleibt mir womöglich keine Zeit mehr dazu … Falls wir Schiffbruch erleiden, wird man vielleicht diese Flasche finden, und wer sie findet, wird die Nachricht lesen und alles verstehen. Falls nicht – nun, dann werden die Menschen erfahren, dass ich bis zur letzten Sekunde meiner Pflicht getreu war …

      Natürlich kam die Kommission zu keinem klaren Ergebnis. Ihr fehlen einfach schlüssige Beweise. Hat der Mann die Morde vielleicht selbst begangen? Niemand weiß es, und niemand kann es mehr ermitteln. Für die Leute hier besteht kein Zweifel. In ihren Augen ist der Kapitän schlicht ein Held, dem ein öffentliches Ehrenbegräbnis gebühre. Die Einzelheiten der Zeremonie sind bereits festgelegt: man fährt den Leichnam ein Stück den Esk herauf, wobei eine Flottille aus Booten ihn begleitet, dann bringt man ihn zum Tate Hill Pier zurück; von dort trägt man ihn die Abteitreppen hoch bis zum Friedhof an der Klippe, wo er bestattet werden soll. Mehr als hundert Bootseigner haben schon den Wunsch bekundet, dem Toten das letzte Geleit zu geben.

      Keine Spur gibt es nach wie vor von dem großen Hund; dies wird hier sehr bedauert; bei der momentanen öffentlichen Meinung würde sich die Stadt sicher bereit erklären, für dessen Unterhalt zu sorgen. Morgen soll das Begräbnis stattfinden. Damit geht ein weiteres ›Mysterium der See‹ zu Ende.

      Mina Murrays Tagebuch

      8. August. – Lucy war die ganze Nacht sehr unruhig, und ich fand keinen Schlaf. Ein furchtbarer Sturm tobte. Wenn er sich tosend in den Schornsteinen fing, schauderte mich. Jeder scharfe Windstoß klang wie fernes Kanonenfeuer. Seltsamerweise erwachte Lucy davon nicht; dafür stand sie zweimal auf und zog sich an. Zum Glück bemerkte ich das beide Male rechtzeitig und konnte sie, ohne dass sie erwachte, wieder entkleiden und zu Bett bringen. Ich habe bei ihrem Schlafwandeln etwas sehr Merkwürdiges beobachtet: Sobald ihr Wille auf ein physisches Hindernis trifft, schwindet ihre Absicht – wenn man jene unbewussten Impulse so nennen darf –, und ihr Gebaren nähert sich wieder dem Normalzustand.

      Wir standen beide früh auf und gingen hinunter zum Hafen, um zu sehen, ob sich während der Nacht irgendetwas ereignet hatte. Außer uns hatten sich nur wenige Spaziergänger eingefunden. Obgleich die Sonne hell schien und die Luft klar und frisch war, zwängten sich hohe, grimmige Wellen, die sehr dunkel erschienen, weil schneeweißer Schaum sie krönte, durch die enge Hafeneinfahrt. Ihr ungestümes Drängen erinnerte an rücksichtslose Rüpel, die sich rempelnd ihren Weg durch eine Menschenmenge bahnen. Irgendwie beruhigte es mich, dass Jonathan gestern abend nicht auf See, sondern an Land war. Das heißt: Kann ich mir da so sicher sein? Wo ist Jonathan? An Land? Auf See? Und wie geht es ihm? Allmählich mache ich mir schreckliche Sorgen um ihn. Wenn ich nur wüsste, was ich tun soll – und ob sich überhaupt etwas tun lässt!

      10. August. – Das Begräbnis des bedauernswerten Schiffsführers war sehr ergreifend. Es hatten sich wohl so gut wie alle hiesigen Boote im Hafen versammelt, um an der Feier teilzunehmen. Lucy und ich gingen früh zu unserem gewohnten Platz oben auf dem Friedhof. Von dort hatten wir beste Übersicht und vermochten den Verlauf der Prozession fast vollständig zu verfolgen. Zuerst fuhr ein Bootskorso ein Stück flussaufwärts, machte beim Viadukt kehrt und kam zurück in den Hafen. Dort postierten sich mehrere Kapitäne am Sarg ihres Kameraden und trugen ihn den ganzen Weg von Tate Hill Pier bis zum Friedhof hoch. Der arme Kapitän wurde unweit unserer Bank beigesetzt; wir stellten uns auf diese und konnten so alles sehen. Die arme Lucy wiederum wirkte sehr durcheinander. Die ganze Zeit über war sie unruhig und fühlte sich unbehaglich; bestimmt eine Folge ihrer nächtlichen Träume; sie beginnen wohl an ihren Kräften zu zehren. Besonders merkwürdig: Wenn ich Lucy frage, ob es einen konkreten Grund für ihre Unruhe gebe, verneint sie schlicht – oder sie erklärt, falls es den doch gebe, kenne sie ihn selbst nicht. Zudem ist etwas geschehen, das ihre Stimmung nicht eben erhellen dürfte: Heute früh wurde der arme alte Mr. Swales tot an unserem steinernen Sitzplatz bei der Klippe gefunden, mit gebrochenem Genick. Laut Auskunft des Arztes ist er rücklings auf die Bank gestürzt, weil er sich vor irgendetwas furchtbar erschrocken hat. Sein Gesicht war jedenfalls derart von Furcht und Entsetzen verzerrt, dass es den Leuten, die ihn entdeckt hätten, einen Schauder durch den Leib jagte. Der liebe arme alte Mann! Vielleicht hat er mit seinen brechenden Augen den Tod in Person gesehen! Lucy ist so zart und so empfindsam, dass sie verborgene Gefahren viel intensiver spürt als die meisten Menschen. Vorhin hat sie ein kleiner Zwischenfall aus der Fasson gebracht, der mich nicht dermaßen in Wallung hätte versetzen können, obgleich auch ich Tiere sehr mag. Einer der Männer, die oft hier heraufkommen, hatte wie üblich seinen Hund bei sich; ›wie üblich‹, denn das Tier

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