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      Joseph Roth

      NACHT UND

      HOFFNUNGSLICHTER

      Herausgegeben von Alexander Kluy

      Mit einem Vorwort von

      Wolfgang Müller-Funk

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      GELEITWORT

      VON ALEXANDER KLUY

      Joseph Roth, der Romancier, ist Teil der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, ja der Weltliteratur.

      Joseph Roth, der heilige unheilige Trinker, der Freund, der magisch-berückende charmante Unterhalter von größeren Runden in Kaffeehäusern und Bistros, ist Zentrum der um ihn gerankten privaten und privatwissenschaftlichen Mythen.

      Aber Joseph Roth, der Zeitgenosse bewegter Zeiten, der Journalist, der Reporter, kein rasender, aber ein enorm schnell schreibender, ein höchst produktiver, doch nie schludrig formulierender, was ist mit diesem, umtriebig zwischen Wien und Berlin pendelnd?

      Wien und Berlin waren Städte, die nach dem Ersten Weltkrieg für mehrere Jahre auf unterschiedliche Weise glänzend aufschienen, die eine – Wien – illuminiert von der erloschenen kalten Sonne der Habsburger, die andere – Berlin – von Lichtarchitektur, Kinowerbung, Reklame, von Jazz, Moderne und Boxen, Lebensgier und Sehnsucht. Beide beschrieb Roth, beide boten ihm Material in Fülle, von beiden war er auf unterschiedliche Art fasziniert.

      Als Erzähler bannte Joseph Roth »bittere Märchen über die Vergänglichkeit« aufs Papier, »raunende Beschwörungen einer vergangenen Welt, in der auch noch in den kleinsten Dörfern römisch-katholische Polen, griechisch-orthodoxe oder unierte Ruthenen, protestantische Deutsche und Juden zusammenlebten«, so Arno Widmann, der zudem anmerkte: »Er war – in seinen Reportagen – auch einer der Buchhalter dieses Verlusts. Er war der seltene Fall eines Menschen, dessen Empfindungen seiner Beobachtungsgabe nicht im Wege standen. Er schärfte seinen Blick durch Zärtlichkeit.«

      Jozef Wittlin, Roths Freund und späterer Übersetzer, hatte dies bereits 1949, zehn Jahre nach dessen Tod, in zauberische Worte voller Anmut und Bewunderung gefasst: »Er war ein feuilletonistischer Artist der Grazie, ein Zauberkünstler der leichten Form, ein Wortmaler poetischer Bilder, ein erbarmungsloser Fanatiker, wenn es notwendig war, die Wahrheit auszusagen, anzuprangern. […] Joseph Roth war nicht nur ein Zauberer der Sprache, der oft Flauberts Schönheit erreichte, er war nicht nur ein geistvoller, realistischer Lebensschilderer, der die Erkenntnis der Wahrheit mit der Kunst der Form auf höchstem Niveau zu vereinen verstand, er war nicht nur ein Aktivist der Intelligenz – in ihm schlug auch ein großes Herz

      Joseph Roths Reportagen, Feuilletons, journalistische Miniaturen und Porträts sind aber weit über den Tag hinaus lesenswert geblieben – weil sie journalistische Literatur sind, und oft überzeitliche Literatur von Rang. Der vorliegende Band versammelt ausgesuchte Texte über Wien, wo er von April 1919 bis April 1920 Redakteur und Kolumnist der neu gegründeten, programmatisch »Der Neue Tag« benannten Zeitung war, und über Berlin, in der Roth, der spätere »Legitimist« und nostalgische Verklärer des Habsburgerreiches, 1925 »Der blinde Spiegel« in dem der deutschen Sozialdemokratie sehr nahestehenden Verlag J. H. W. Dietz publizierte. Dieser »kleine Roman« spielt im Wien zwischen 1916 und 1920, jenen Jahren, die er bewusst erlebt und beschrieben und sich erschrieben hatte.

      In die deutsche Hauptstadt war Joseph Roth nach der Schließung des »Neuen Tags« übersiedelt, wie so viele andere österreichische Journalisten, Feuilletonisten und Kritiker auch, und schrieb für zahlreiche namhafte Zeitungen, Journale und Periodika mit staunenswerter Produktivität, mit überbordender Neugier aufs Urbane und mit einer beeindruckenden intellektuellen Flexibilität.

      Flankiert wird Roths Prosa von Arbeiten, Texten und Aphorismen Wiener und Berliner Journalisten, Reporter und Feuilletonisten – von Karl Kraus bis Kurt Tucholsky, von Anton Kuh bis Stefan Großmann, von Arnold Höllriegel bis Victor Auburtin und Sling –: als Ergänzung, als Konterpart, als Gegenüberstellung wie als deckungsgleicher Kontrast, als erstaunlich lebendige Texte der Zwanzigerjahre. Und sichtbar wird, auch in der gleichen/ungleichen Behandlung derselben Themen, vom Verkehrswesen bis zu nächtlichen Vergnügungen, von Kaffeehausgästen und Beobachtungen während Gängen durch die Städte und Promenaden durch deren Mentalitäten, vom Hotel Sacher bis zum Café Kranzler, solcherart eine Ära zwischen Nachkrieg und Vorkrieg, zwischen untergegangenen monarchischen Systemen und bedrohlich aufziehenden mörderischen Diktaturen.

      VORWORT

      VON WOLFGANG MÜLLER-FUNK

      Joseph Roth ist ein bis heute literarisch und intellektuell unterschätzter Autor. Eine solche Aussage mag angesichts der ungebrochenen Beliebtheit und Verbreitung eines Autors, der die Welt, die er auf seiner endlosen Reise, die sein Leben war, aus der ungläubigen Perspektive eines Fremden beschrieb, der in der Welt, vor allem in deren Zentren, nie angekommen ist (ob dieses Zentrum nun Berlin oder Wien, Paris oder, höchst imaginär, New York hieß), überraschen.

      Noch die heutigen Auflagen seiner beliebtesten Werke könnten so manche Gegenwartsautoren und -autorinnen neidisch machen. Was aber so viel bedeutet, dass sein literarisches wie auch sein feuilletonistisch-journalistisches Werk noch immer eine Dimension von Aktualität besitzt, die in philologischer Traditionspflege nicht aufgeht. Bis heute wird an Roth das unterschätzt, was ich als Prägungskraft seines Werkes bezeichnen möchte, eine gewisse Zentralität der kleinen Form. Joseph Roth ist weder ein Autor der deutschen Neuen Sachlichkeit noch ein regionales österreichisches Phänomen, etwas für den sentimentalen Hausgebrauch Post-Kakaniens und seiner identitätsstiftenden Erzählkomplexe. Sein Œuvre ist Produkt und Produzent dessen, was man einigermaßen verschliffen und paradox als »klassische Moderne« bezeichnet hat. Joseph Roth gehört im doppelten Sinn in diesen Kanon, als Meister einer kleinteiligen, lyrisch-märchenhaften Prosa ebenso wie als scharfsinniger und pointierter Zeitzeuge der großen Krisen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

      Seine sichere Hand, anschauliche Tableaus zu Papier zu bringen, die er in heute vergessenen feuilletonistischen Formaten eingeübt hat (etwa in seinen Glossen und Miniaturen in Der neue Tag), sind viel hintergründiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Diese Schilderungen aus dem Alltagsleben etwa der Wiener und Berliner Nachkriegszeit sind Türöffner, die uns Auskunft geben über die Verschiebungen, Brüche, Kränkungen und Absurditäten, die sich aus dem ungleichen Verhältnis von großen Ereignissen und kleinen Menschen, von unsichtbaren, aber bedeutsamen Veränderungen und ihrem Widerhall in Lebensverhältnissen ergeben, in denen diese nicht zu Bewusstsein kommen, aber, wie in dem beinahe vergessenen Roman Der blinde Spiegel, gleichwohl wirksam werden.

      Der vorliegende Band versammelt Texte aus den ersten zehn Jahren des literarischen und journalistischen Schaffens von Joseph Roth. Seit den Publikationen von Ingeborg Sültemeyer und Hartmut Scheible in den 1970er-Jahren ist es üblich geworden, Roths Werk in mindestens zwei Perioden aufzuspalten: hier der Linksrepublikaner, der seine Artikel häufig mit der »rote Joseph« signiert, dort der konservative Monarchist und ›heilige Trinker‹, der mit der Welt im Hader ist. Es ist an dieser Stelle nicht der Ort, diese Wende zu kommentieren und zu analysieren. Viel wichtiger erscheint es mir indes, darauf hinzuweisen, dass es ungeachtet dieser politischen Wende, die zweifelsohne mit Roths Reise in das vorstalinistische Sowjetrussland und seiner zunehmenden Enttäuschung der politischen Entwicklung in Deutschland zusammenhängt, auch so etwas wie eine Kontinuität der Schreibweise, des literarischen Gestus, des hohen Maßes an Empathie und der damit verbundenen narrativen Techniken gibt. Ein Satz wie »Es regnete wirklich und der Vater kam, mit ergrauten Schläfen« (»Der blinde Spiegel« 1925), könnte sich auch in vielen späteren literarischen Texten finden, die auf eigentümliche Weise die Opposition von Roman und Erzählung neutralisieren. Das hängt ganz offenkundig mit jenen einsamen lyrischen Sätzen zusammen, die nicht selten ein Tableau vor dem Lesepublikum entfalten. Der höchst amüsante und merkwürdige Zusatz, dass es wirklich regnet, wenn der Vater von Fini aus dem

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