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Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar
Читать онлайн.Название Telefónica
Год выпуска 0
isbn 9783990650219
Автор произведения Ilsa Barea-Kulcsar
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Da kam gerade André von der Straße herein, André, der einzige Sonderkorrespondent einer französischen Zeitung in Madrid. André, der schon mit allen Wachtposten und allen Komiteemitgliedern in der Telefónica Freundschaft geschlossen hatte, weil er jedermann gegenüber auf Tod und Teufel in seinem schlechten, aber fließenden gallischen Spanisch einen sehr gemäßigten liberalen Radikalismus verfocht. Die Spanier sagten von ihm: Er ist ein Mann, er ist ehrlich. Sogar Moreno grüßte ihn und flüsterte ihm nun zu, mit dem Daumen auf Morton weisend: »Der Faschist dort ist besoffen.«
André hatte selbst viel Kognak getrunken. Er war übermäßig angespannt, er kämpfte immerfort gegen eine wütende Angst und einen wütenden Ekel vor dem Krieg. Er liebte Madrid. Er haßte Blut. Er war ein Reporter, den es trieb, überall dem Wie und dem Warum nachzugehen. Er verachtete diese stumpfe Masse Mensch, Morton, mit dem Whiskygesicht ohne einen Funken von Geist.
Moreno schien ihm wenigstens ehrlich und einfach, im Grunde ein gutes Tier. André nickte dem Anarchisten zu und schoß dann ohne Einleitung Morton an. Sein Englisch war so französisch wie sein Spanisch.
»Sie waren natürlich nicht in Vallecas, Morton? Es hätte Ihnen nichts geschadet, ins Spital mitzukommen, wie sogar Bevan es tat.«
»Ich schreibe keine Tränenberichte der roten Regierung zuliebe.«
»Was soll das wieder einmal heißen? Weil Sie nicht wissen und sehen, daß die Menschen da für eine Sache, an die sie glauben, kämpfen und sich umbringen lassen, deshalb, ja deshalb hat Ihre Zeitung hier zwar einen Vertreter sitzen, aber keinen Journalisten.«
Bevan fiel rasch ein: »Lieber André, man darf sich über Dinge hier nicht so aufregen, wie Sie es tun, sonst fällt einem die objektive Berichterstattung noch viel schwerer, als sie einem ohnehin gemacht wird. Kommen Sie lieber mit uns einen Whisky trinken.«
Lieber das, als in eine neue Diskussion hineingeraten. Man darf sich nicht in diesen Krieg hineinziehen lassen, der einem die große Chance der Karriere gibt. Man darf nicht versuchen, die Wahrheit hinter den Dingen zu sehen und verstehen zu wollen. Lieber mit einem Schwein trinken gehen.
Morton war über das plötzliche Nachgeben Bevans erfreut und empfand es als eine Solidaritätserklärung. Darüber vergaß er den beleidigenden Ton, mit dem dieser Franzose da seine exaltierten Dinge vorgebracht hatte. Besser, der Franzose ginge nicht in die Bar mit; der Bevan war wenigstens ein neuer Junge, trotz seines Mädchengesichts und seines naiven Arbeitseifers.
»Danke«, sagte André. »Ich bleibe, ich muß hinauf und die letzte Febus-Ausgabe für meinen Artikel durcharbeiten. Ihr vergeßt, daß ich am frühen Morgen nach Paris durchgeben muß. Kommt gut nach Hause.« Er wollte sich zu Moreno wenden, aber der sprach unerwarteterweise mit einer Frau: Pepa, die aus dem Keller gekommen war und in den achten Stock wollte.
Also stand André noch einen Augenblick lang unter der Tür und sah den beiden Amerikanern nach, wie sie durch das Dunkel stolperten. Am Straßeneck lag ein Schutthaufen – Mörtel, Ziegel, Glas. Die Granate hatte das Haus gegenüber getroffen, um fünf Uhr nachmittags. Keine Verletzten. Von irgendwoher fuhr ein Auto vor. Aus dem Nichts, von dort her, wo er die Mitte der Gran Vía wußte, kam der schroffe Haltruf des Postens. Die Front und der Himmel waren still. In der Nachbarstraße der Peitschenknall eines Gewehrschusses.
»Ein Paco«, sagte André automatisch. Paco hieß man die faschistischen Dachschützen. Aber als kein weiterer Schuß folgte, verbesserte er: »Ein Posten, der auf das Licht in einem Fenster schießt.«
Der Soldat, der als unförmiger Klumpen neben ihm in der finsteren Ecke stand, sagte aus seiner Decke heraus: »Ja, ein Posten. Das ist nichts. Sicher ist ihm das Gewehr losgegangen, das ist mir auch einmal passiert. Es ist sehr kalt …«
VII.
Anita hatte den Dienst übergeben und hatte nun eigentlich im Zensurzimmer nichts mehr zu tun. Aber sie konnte sich nicht entschließen, es zu verlassen. Sie setzte sich auf die Kante eines der Feldbetten – Drahteinsatz, zerlegene Matratze, schmutzige Decke – und sah dem Kollegen zu, der im fahlen, engen Lichtkreis der Schreibtischlampe mit den Papieren hantierte. Sie konnte mit diesem jungen Spanier nicht reden, das war klar. Er hatte ein stumpfes, uninteressantes, breiiges Gesicht; er sprach weder Englisch noch Französisch geläufig; er war ein ängstlicher kleiner Ministerialbeamter, der den Einlauf des Tages gewissenhaft durchlas, fortwährend Worte in seinem schlechten Wörterbuch nachschlagend. Mit Anita zu sprechen, kam ihm gar nicht in den Sinn. Und sie fand keinerlei Kontakt mit ihm, sie spürte nur seine Gleichgültigkeit der Arbeit gegenüber und seine Furcht vor allem. Dieser da war fremder als sie in der Telefónica. Sie beobachtete, wie sein runder Schädel in den Lichtkreis tauchte, der alle Züge auslöschte, und wieder in den Schatten zurückkehrte, wo man ihn vergaß, so wenig Leben war in ihm.
In Wahrheit dachte er unablässig daran, wann er für sich und seine Schwester einen Platz in einem Lastwagen zugewiesen erhalten würde, um seine Übersiedlung nach Valencia durchzuführen. Das Ministerium hatte alle Beamten dorthin berufen. Hier konnte man nicht mehr arbeiten, nichts klappte mehr, das improvisierte Büro in der Telefónica funktionierte nach ganz anderen Regeln als den ihm bekannten, die Luft war hier anders. Die Wache unten hielt keine Ordonnanz, sondern ein aufgeregter Anarchist, die Weisungen vom Chef in Valencia kamen nicht pünktlich durch und verloren ihre Autorität. Die Zensur hatte neue Mitarbeiter, wie diese merkwürdige Ausländerin – und man wußte nicht recht, wer hinter ihnen stand. Und dann noch die Bomben, die Granaten, die Massen auf der Straße, die neuen Behörden, die Gewißheit, daß eines Tages oder eines Nachts (vielleicht eben jetzt) Franco neuerlich vorstoßen und durchbrechen wird, und daß man zwischen der Wildheit der Moros und der wilden Brutalität der Verteidiger zugrunde geht; wann, wann endlich würde er einen Platz finden, wann würde das Lastauto des Ministeriums mit den Akten und Kopiermaschinen dieses Madrid verlassen? Hier hatte ja nichts mehr einen Sinn.
Anita vergaß, daß sie nicht allein war, sie ließ sich gehen und versuchte nicht, ihre Gedanken in Ordnung zu halten. Alle Journalisten waren der Ansicht gewesen, daß heute nacht nichts geschehen würde, aber morgen – was wird morgen geschehen? Es ist sicher wahr, man spürt es in den Knochen. Brechen Francos Truppen durch? Wird die Telefónica zerstört und werden wir alle dabei draufgehen? Wird die Verwirrung so sein, daß jede Arbeit unmöglich wird? Wird die Stimmung in Madrid umschlagen? Die Fünfte Kolonne? Flieger?
Sie wußte nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollte. Gern hätte sie den Dienst für die ganze Nacht übernommen, nur um hier im Arbeitsraum bleiben, auf diesem jämmerlichen Bett schlafen, Teil dieses Hauses sein zu dürfen.
Sie dachte: Der große Ventilator summt wie ein Flugzeugmotor. Wenn hier eine Granate einschlägt, wird es wenigstens sofort gemeldet; es gibt Menschen, die feststellen, wer man ist. Allein sterben muß scheußlich sein. Es ist zwar gleichgültig, aber ich fürchte mich davor. Warum vor dem Sterben und nicht vor dem Verkrüppeltwerden? Es gibt immer viel mehr Verwundete als Tote. Aber das, wovor ich Angst habe, ist doch das Aufhören. Ich. Das ist jetzt nicht so viel. Man sollte wenigstens hier einen Menschen haben, mit dem man Freund ist. Liebe ist Angst vor dem Alleinsein.
Ich bin eine dumme Gans, wie mir die literarische Bildung im Nacken sitzt. Zitate. Aber warum nicht? Es gibt noch so was von Storm: »Halte fest, du hast im Leben doch am Ende nur dich selber.« Das ist wahr, aber ich will nicht, daß es wahr sei. Wahr sei – komisch, daß ich in runden, grammatikalisch korrekten Sätzen denke. Aber wenn man sich zuhört, denkt man immer in Sätzen. Oder in stenographischen Siglen. Sicher will ich mich jetzt an etwas festhalten, was klare Form hat. Ich habe Angst vor dem Alleinsein. Deshalb arbeite ich so. Warum bin ich hier? Warum muß ich hier sein? Er läßt mich nicht aus, ich kann nicht weg, auch wenn ich will, ich bilde mir ein, daß ich hierher gehöre. Aber es ist wahrscheinlich ein Unsinn. Wichtigkeit – Pressezensur! Aber – machen, daß die draußen wissen, was hier los ist. Daß