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seine Mutter sah auch Thorsten das Leben stets positiv.

      Da glitt ein verschmitztes Lächeln über Benjamins Gesicht.

      »Es gibt jedoch noch etwas, was mir den Abgang bei Waldeckers Tageblatt versüßen wird«, sagte er mit wieder blitzenden Augen.

      »Das wäre?«

      »In zwei Wochen soll ich über die Hochzeit von Waldeckers jüngster Tochter berichten. Mein Kollege, der sonst solche Reportagen macht, ist zu dieser Zeit in Urlaub, und mein Chef, der Johann Waldecker auch nicht mag, hat mir den Auftrag gegeben, was diese eingebildete Unternehmerfamilie natürlich nicht weiß.« Jetzt lachte Benjamin schon wieder fröhlich in sich hinein. »Diese feine Gesellschaft wird Augen machen, wenn ich mit dem Kamerateam in ihrer Villa in Baden-Baden auftauchen werde. Und eines kann ich dir jetzt schon versichern. Meine Reportage wird ein schönes Hochzeitsgeschenk werden.«

      *

      Als sich Benjamin von seinem Jugendfreund verabschiedete, hatte sich der Himmel über Freiburg schon wieder gelichtet. Die Wolkendecke war aufgerissen, und hier und da warf die Sonne ein paar Strahlen auf das Münster.

      Benjamin fühlte sich schon deutlich besser. Es hatte ihm gut getan, mit Thorsten über die Kündigung zu reden und über die Waldeckers so richtig abzulästern. Mit neuem Elan lief er die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Als er im ersten Stock angekommen war, hörte er fröhliches Kinderlachen. Er blieb auf dem Treppenabsatz stehen und lauschte. Er liebte Kinder. Er träumte davon, irgendwann einmal eine große Familie zu haben. Aus rein journalistischer Neugier betrat er nun den langen Gang und studierte die Aufschriften und bunten Bilder auf den Türen, die darauf hinwiesen, dass er sich auf der Kinderstation befand. Unwillkürlich musste er lächeln. Er hatte nicht erwartet, dass es dort so lustig zuging. Im nächsten Augenblick kam eine Krankenschwester aus einem der Zimmer heraus.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich freundlich.

      »Eigentlich nicht«, erwiderte er. »Ich bin nur überrascht, dass es hier so fröhlich zugeht«, bekannte er dann freimütig.

      »Unsere Vorleserin ist gerade bei den kleinen Patienten«, erzählte sie ihm bereitwillig. »Sie kommt jede Woche einmal zu uns. Manchmal auch zweimal, um die Kinder hier und auf der Krebsstation mit schönen Geschichten aufzuheitern. Die Kids vergöttern sie und wir Schwester ebenfalls. Das alles macht sie sogar ehrenamtlich«, fügte die ältere Schwester mit bewundernder Miene hinzu. »Ohne Geld dafür zu bekommen.«

      »Sehr beeindruckend«, antwortete er ebenfalls voller Anerkennung für die Vorleserin.

      »Wenn Sie wollen, schauen Sie doch einfach mal ins Spielzimmer hinein. Selbst für Erwachsene sind ihre Vorträge hörenswert«, bot ihm die Krankenschwester an.

      Zuerst zögerte er noch. Dann ging er den Gang hinunter, immer dem Kinderlachen nach, das ihm den Weg wies. In der Tür des Spielzimmers blieb er stehen.

      Er sah in einen großen hellen Raum mit bunten Holzmöbeln, in dessen Mitte kleine Stühle zu einem Kreis aufgestellt waren. Leuchtende Kinderaugen waren auf die junge Frau gerichtet, die in dem Halbkreis saß.

      Benjamin hielt unwillkürlich den Atem an. Das Bild berührte ihn tief im Herzen. Wahrscheinlich hätte ihm auch der Atem gestockt, wenn er diese Frau auf der Straße gesehen hätte. Wunderschön war sie. Auf eine ganz besondere Art. Ihre für eine Frau sehr tiefe Stimme empfand er wie ein Streicheln. Sie zog ihn sofort in ihren Bann. Genauso weich waren ihre sparsamen Gesten, mit denen sie ihre Sätze begleitete. Die langen schwarzen Wimpern lagen auf ihren Wangen, dunkelrote Locken umspielten ihr Gesicht, das wie aus Elfenbein gemeißelt wirkte. Er wusste, dass ihre Augen grün waren. Er wusste es einfach. Sie konnten gar keine andere Farbe haben. Und ihre Beine, die sie grazil übereinander geschlagen hatte, waren sowieso nicht von dieser Welt.

      Wie angenagelt blieb er in der Tür stehen, die Kinder saßen mit dem Rücken zu ihm. Irgendwann war die Geschichte zu Ende. Die Vorleserin blickte von ihrem Buch auf und schenkte ihren Zuhörern ein Lächeln, das ihn verzauberte. Es erhellte ihre regelmäßig geschnittenen Züge und ließ ihre Augen, natürlich waren sie grün, aufleuchten. Und während die kleinen Hände begeistert klatschten, glitt der Blick aus diesen Frauenauen zu ihm herüber. Ein paar Atemzüge lang tauchte er in seinen, blieb in ihm liegen, mit einem Ausdruck des Erstaunens, der dann dem von Verwirrung Platz machte, bis er zurückkehrte zu den Kindergesichtern.

      Er schluckte, sein Herz schlug schneller. Ihm wurde warm unter dem Kapuzenpulli. Und dann musste er sich umdrehen. Er empfand seine Situation, hier zu stehen und zugehört zu haben, als peinlich. Was hatte er hier zu suchen? Zumal die Kinder jetzt begannen, alle durcheinander zu reden.

      Was für eine Frau, dachte er, als er langsam wie benommen den Gang zur Treppe hinunterging. Sie war nicht nur äußerlich schön. So selbstlose Menschen wie sie, denen es ein Anliegen war, andere zu erfreuen, gab es nur wenige. Vor dem Klinikausgang zögerte er.

      Sollte er auf sie warten? Irgendwann musste sie ja auch kommen. Nein, sagte er sich dann. Er war nie ein Draufgänger gewesen. Das hatte er bis jetzt auch nie nötig gehabt. Die Frauen bemühten sich stets um ihn. So war er es gewohnt. Er biss sich auf die Lippen, überlegte noch. Schließlich trat er ins Freie und blickte nachdenklich zum Besucherparkplatz hinüber. Da entdeckte er sie.

      Mit festem, dennoch elegantem Gang überquerte sie den Parkplatz. Bei jedem Schritt tanzten die roten Locken auf ihrem Rücken. Klopfenden Herzens beobachtete er, wie die schöne Vorleserin auf ein schwarzes Cabrio zuging und einstieg. Ein paar Sekunden später war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.

      Ob ich die Krankenschwester nach ihrem Namen fragen soll?, überlegte er einen Moment lang. Dann jedoch fiel ihm jäh wieder seine gegenwärtige berufliche Situation ein, und er schüttelte energisch den Kopf. Nein, zurzeit hatte er andere Sorgen. Mit der Kündigung in der Tasche und ohne eine neue Anstellung war jetzt ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, eine Beziehung zu beginnen. Erst einmal musste er seine wirtschaftliche Existenz sichern. Wenn ihm das gelungen war, konnte er sich wieder mit der Liebe beschäftigen.

      *

      Eine Woche nach dem Besuch Johann Waldeckers in der Landarztpraxis konnte Schwester Gertrud ihrem Chef den gleichen Patienten verkünden.

      »Er will ein Blutbild machen lassen«, sagte der Praxisdrache zu Matthias mit verärgertem Blick. »Als ob er das so einfach bestimmen könnte, was hier bei uns gemacht wird. Darüber haben doch immer noch Sie zu entscheiden.«

      »Ich hatte dies bereits entschieden«, erwiderte der Landarzt lächelnd. »Und ich freue mich, dass Herr Waldecker einsichtig geworden ist. Schicken Sie ihn bitte zu mir.«

      Nur wenige Sekunden später hörte Matthias bereits schwere Schritte auf dem Gang, der von der Rezeption den Gang hinunter zum Behandlungszimmer und Büro führte. Ein kurzes hartes Klopfen folgte, und nach seinen »Herein» betrat sein Lieblingspatient den Raum. Er begrüßte den Unternehmer freundlich und bat ihn, Platz nehmen.

      »Nein, danke«, erwiderte Johann Waldecker. »Ich bleibe lieber stehen, Wir müssen wahrscheinlich sowieso in Ihr Labor gehen.«

      Matthias musste leise lachen.

      Und wieder wollte Waldecker die Situation beherrschen.

      »Nein, Herr Waldecker, wir bleiben hier im Behandlungszimmer«, widersprach er seinem Patienten in munter klingendem Ton. »Setzen Sie sich erst einmal, entspannen Sie sich und erzählen Sie mir, wie es Ihnen geht.«

      Es folgte ein bedeutungsvolles Räuspern, Waldecker straffte sich und erwiderte immer noch im Stehen: »Nicht gut, Herr Doktor. Ich fühle mich immer noch müde und abgeschlagen, Trotz des Mittagsschlafes und der Spaziergänge. Was mich neuerdings zudem auch noch beunruhigt, sind die blauen Flecken auf meiner Haut. Ich weiß gar nicht, woher die kommen. Klar, dass man sich mal irgendwo stößt, aber so etwas habe ich früher danach nie bekommen.« Nun ging er auf den Patientensessel zu und ließ sich hinein fallen, sodass dieser unter seinem Gewicht unwillig ächzte.

      »Ich habe im Internet recherchiert, was es mit diesen Flecken auf sich haben könnte, und bin darauf gestoßen, dass sie ein Anzeichen von…«

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