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Das Schweizer EU-Komplott. Carl Baudenbacher
Читать онлайн.Название Das Schweizer EU-Komplott
Год выпуска 0
isbn 9783907301043
Автор произведения Carl Baudenbacher
Жанр Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Издательство Bookwire
Das Polydor-Urteil stammt, wie gesagt, vom 9. Februar 1982. Zwei Tage später, am 11. Februar 1982 erwähnte Pescatore in der NZZ, die Klägerin Polydor habe argumentiert, dass die Ziele des EWGV einerseits und des Freihandelsabkommens andererseits unterschiedlich seien und auf das Omo-Urteil des Bundesgerichts vom Januar 1979 und das Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom Juli 1979 in Austro-Mechana verwiesen. Der EuGH habe sich aber nicht mit der Frage der unmittelbaren Wirkung befasst, sondern seine Analyse auf den Vergleich der Ziele des EWGV und des FHA konzentriert und sei zu dem Schluss gekommen, dass diese Ziele nicht identisch seien. Der EuGH habe das Omo-Urteil des Bundesgerichts bestätigt (sic!), aber nur in Bezug auf das Ergebnis. Die Argumentation, schrieb Pescatore, sei eine ganz andere. Das Bundesgericht habe sich auf drei Argumente gestützt:
–Erstens sei das Freihandelsabkommen ein reines Handelsabkommen, das im Gegensatz zum EWGV nicht darauf abzielte, einen einheitlichen Binnenmarkt mit einer supranationalen Wettbewerbsordnung zu schaffen.
–Zweitens habe der Begriff der Abschaffung von «Massnahmen gleicher Wirkung» nichts mit den geistigen Eigentumsrechten zu tun, da diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Freihandelsabkommens ausgenommen seien.
–Drittens richteten sich die Bestimmungen des FHA Schweiz-EWG an den Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung; sie hätten keine Rechte und Pflichten geschaffen, die der Schweizer Richter berücksichtigen müsse.
Pescatore zufolge hatte sich der EuGH in seiner Begründung deutlich von diesen Überlegungen distanziert. Der EuGH nahm die Definition einer Freihandelszone im GATT zum Ausgangspunkt, weil in der Präambel des FHA ausdrücklich darauf Bezug genommen wird. Ich merke dazu an, dass Pescatore ein Spezialist des GATT-Rechts war, der nach seinem Rücktritt vom EuGH in grossen GATT-Verfahren als Panelist amtete.4 Der EuGH, so Pescatore weiter, habe daraufhin festgestellt, dass das FHA zu einer weitreichenden Liberalisierung des Handels zwischen den Vertragsparteien geführt habe und dass ein rudimentäres Wettbewerbssystem Teil des Abkommens sei. Geistige Eigentumsrechte seien in keiner Weise aus dem Geltungsbereich der Vereinbarung ausgeschlossen worden. Das bedingungslose Verbot von mengenmässigen Beschränkungen und Massnahmen gleicher Wirkung bleibe unberührt. Pescatore hob hervor, diese Überlegungen seien Ausdruck der Sorge des EuGH, dass die Wirksamkeit und das gute Funktionieren des Freihandelsabkommens gefährdet sein könnten. Der EuGH habe sich durch seinen freihandelsfreundlichen Ansatz von der defensiven Haltung des Bundesgerichts distanziert. Der Kommentator verwies abschliessend darauf, dass innerhalb der EWG Parallelimporte ohne Einschränkungen möglich seien, so dass die nationalen Märkte von den Inhabern geistiger Eigentumsrechte nicht mehr separat genutzt werden könnten. Aus dem Polydor-Urteil folge, dass diese Vorteile nicht auf die Konsumenten in den EFTA-Ländern ausgedehnt werden konnten. Die vom Bundesgericht initiierte Rechtsprechung habe die Situation in der Gemeinschaft nicht wesentlich verändert. Sie habe lediglich die einzelnen Märkte der Freihandelspartnerländer als Reservate für eine optimale Verwertung gegenüber den Inhabern geistiger Eigentumsrechte (sc. mit den entsprechenden negativen Folgen für die Konsumenten) gesichert.
Im zweiten Fall, Kupferberg, in dem das Urteil 8 ½ Monate nach Polydor, am 26. Oktober 1982, erging, zeigte sich der EuGH in der Frage der direkten Wirkung grosszügig und liess das Bundesgericht dadurch schlecht aussehen. Die Begründung bezog sich im Wesentlichen auf das Vorgehen des Bundesgerichts, auch diesmal ohne dass die Urteile Stanley Adams oder Omo erwähnt wurden. Höchstgerichte fahren einander nicht offen an den Karren. Kupferberg hatte Portwein aus Portugal in die Bundesrepublik Deutschland importiert. Nach deutschem Recht war ein sog. Monopolausgleich geschuldet. Bei der Berechnung stufte das zuständige Finanzgericht die eingeführten Portweine in dieselbe Kategorie ein wie lokale Likörweine. Der Bundesfinanzhof legte dem EuGH, wie gesagt, Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die Regierungen Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigte Königreichs wandten sich gegen die Anerkennung der Direktwirkung des Artikels 21 Absatz 1, der einschägigen Vorschrift des FHA EWG-Portugal. Sie führten drei Argumente an: die fehlende Gegenseitigkeit, die Tatsache, dass die Freihandelsabkommen von Gemischten Ausschüssen verwaltet werden und das Vorhandensein von Schutzklauseln, was bedeute, dass die Verpflichtungen der Abkommensparteien nicht bedingungslos sind.
Der EuGH stellte fest, dass das in Artikel 21 Absatz 1 FHA EWG-Portugal niedergelegte Verbot von steuerlichen Massnahmen und Praktiken diskriminierender Art unmittelbar anwendbar und geeignet sei, einzelnen Wirtschaftsbeteiligten Rechte zu verleihen, die von den Gerichten geschützt werden müssen. Dass mit dem Gemischten Ausschuss ein besonderer institutionellen Rahmen für die Umsetzung des Abkommens bestehe, wie die Regierungen Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs betonten, reiche nicht aus, um eine Anwendung des Abkommens durch die Gerichte auszuschliessen. Das stand in klarem Gegesatz zu dem, was das Bundesgericht in Omo entschieden hatte. Ob die fragliche Bestimmung bedingungslos und hinreichend klar war, um eine unmittelbare Wirkung zu erzielen, war anhand des Vertrages zu beurteilen, zu dem sie gehörte. Der EuGH entschied daher, dass Artikel 21 sowohl im Hinblick auf Sinn und Zweck des Freihandelsabkommens als auch im Hinblick auf seinen Zusammenhang geprüft werden muss. Er stellte fest, dass Artikel 21 FHA und die Parallelvorschrift des EWGV zwar dasselbe Ziel verfolgen, da sie darauf abzielen, steuerliche Diskriminierungen zu beseitigen, dass aber jede dieser beiden Bestimmungen in ihrem eigenen Zusammenhang zu betrachten und auszulegen ist. Angesichts der unterschiedlichen Ziele des FHA EWG-Portugal und des EWGV konnte die Auslegung von Artikel 95 EWGV (jetzt Artikel 110 AEUV) nicht einfach analog zur entsprechenden Bestimmung des Freihandelsabkommens angewandt werden. Das bedeutet, dass die Polydor-Formel nicht über Bord geworfen wurde. Der EuGH kam zum Schluss, dass Produkte, die sich sowohl hinsichtlich des Herstellungsverfahrens als auch hinsichtlich ihrer Eigenschaften unterscheiden, nicht als «gleichartige Produkte» angesehen werden dürfen. Likörweine, denen Alkohol zugesetzt wurde, und Weine, die durch natürliche Gärung entstanden sind, gelten daher nicht als gleichartige Erzeugnisse im Sinne der betreffenden Bestimmungen. Die Tatsache, dass die Gerichte der einen Partei bestimmte Bestimmungen des Abkommens für unmittelbar anwendbar halten, während die Gerichte der anderen Partei eine solche unmittelbare Anwendung nicht anerkennen, stellt an sich keinen Mangel an Gegenseitigkeit bei der Umsetzung des Abkommens dar.
Das Urteil Kupferberg erging, wie gesagt, am 26. Oktober 1982. Diesmal liess sich Pescatore mehr Zeit. Am 11. November 1982 stellte er in der NZZ fest, der EuGH habe erstmals über die umstrittene Frage der direkten Wirkung der Bestimmungen der Freihandelsabkommen EWG-EFTA-Staaten entschieden. Obwohl das Urteil zum FHA mit Portugal erging, gelte es für alle Freihandelsabkommen. Der Kommentator betonte, dass es bei Polydor um inhaltliche Fragen ging, nämlich um die Frage der Auswirkungen des Freihandels auf die Ausübung der Rechte des geistigen Eigentums. Kupferberg hingegen beschäftigte sich mit der direkten Wirkung. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Regierungen der vier beteiligten Mitgliedstaaten schloss er mit der Feststellung, dass das Kupferberg-Urteil einerseits zeigt, dass der EuGH von den Mitgliedstaaten unabhängig ist. Andererseits sei klar, dass der EuGH sehr wohl zwischen dem internen Recht der Gemeinschaft und den Beziehungen zu Drittländern zu unterscheiden wisse. Es bestehe keine Gefahr, dass die EFTA-Staaten in die Integrationsdynamik des Gemeinsamen Marktes hineingezogen würden. Vielleicht könnte dies die Gerichte dieser Länder, die – möglicherweise voreilig – Stellung bezogen hätten, veranlassen, ihre Position in Bezug auf die Direktwirkung der Freihandelsabkommen zu ändern. Letzteres war ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse von Lausanne.
Die in Rede stehende Rechtsprechung ist mit der liberalen Tradition des Bundesgerichts nicht vereinbar.