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Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten. Anton Tschechow
Читать онлайн.Название Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten
Год выпуска 0
isbn 9783159617091
Автор произведения Anton Tschechow
Жанр Языкознание
Серия Reclams Universal-Bibliothek
Издательство Bookwire
MARINA. Heute wieder: Der Samowar steht schon zwei Stunden bereit, und sie sind spazierengegangen.
WOJNIZKIJ. Sie kommen, sie kommen … Reg dich nicht auf. (Man hört Stimmen; aus der Tiefe des Gartens heraus kommen Serebrjakow, Jelena Andrejewna, Sonja und Telegin von einem Spaziergang zurück.)
SEREBRJAKOW. Sehr schön, sehr schön … wunderbare Ausblicke.
TELEGIN. Bemerkenswerte, Eure Exzellenz.
SONJA. Wir fahren morgen zum Forsthaus, Papa. Kommst du mit?
WOJNIZKIJ. Herrschaften, zum Tee!
SEREBRJAKOW. Meine Freunde, schickt mir den Tee in mein Arbeitszimmer, seid so freundlich! Ich muß heute noch einiges tun.
SONJA. In der Försterei wird es dir bestimmt gefallen …
(Jelena Andrejewna, Serebrjakow und Sonja gehen ins Haus; Telegin geht zum Tisch und setzt sich neben Marina.)
WOJNIZKIJ. Heiß ist es, schwül, aber unser großer [11]Gelehrter läuft im Mantel und in Galoschen herum, mit Schirm und Handschuhen.
ASTROW. Er schont sich eben.
WOJNIZKIJ. Wie schön sie doch ist! Wie schön! In meinem ganzen Leben habe ich keine schönere Frau gesehen.
TELEGIN. Ob ich übers Feld fahre, Marina Timoféjewna, ob ich im schattigen Garten spaziere oder diesen Tisch betrachte, stets empfinde ich eine unaussprechliche Seligkeit! Ein bezauberndes Wetter, die Vögelein singen, wir alle leben in Frieden und Eintracht – was wollen wir mehr? (Er nimmt ein Glas Tee entgegen.) Tiefempfundenen Dank!
WOJNIZKIJ (versunken). Die Augen … eine wundervolle Frau!
ASTROW. Erzähl mal was, Iwan Petrowitsch.
WOJNIZKIJ (matt). Was soll ich dir denn erzählen?
ASTROW. Gibt es nichts Neues?
WOJNIZKIJ. Nichts. Alles alt. Ich bin noch derselbe wie früher, nur schlechter, weil ich träge geworden bin, nichts tue, nur herumknurre wie ein alter Griesgram. Meine alte Krähe, die Mamán, plappert immer noch über die Emanzipation der Frauen; mit einem Auge schaut sie ins Grab, mit dem anderen sucht sie in ihren klugen Büchelchen das Morgenrot des neuen Lebens.
ASTROW. Und der Professor?
WOJNIZKIJ. Und der Professor sitzt wie früher vom Morgen bis in die tiefe Nacht in seinem Arbeitszimmer und schreibt. »Angespannet den Geist, die Stirne bedenklich gerunzelt, so schreiben wir immerzu Oden, schreiben und schreiben und hören weder für sie noch für uns [12]nirgends des Lobes.« Das arme Papier! Er hätte lieber seine Autobiographie schreiben sollen. Das wäre ein vorzügliches Sujet! Ein pensionierter Professor, verstehst du, ein alter Zwieback, ein gelehrter Stockfisch … Gicht, Rheumatismus, Migräne, Leberschwellung durch Eifersucht und Neid … Da lebt dieser Stockfisch auf dem Gut seiner Frau, wo er eigentlich nicht bleiben wollte, aber bleiben muß, weil zum Leben in der Stadt das Geld nicht reicht. Ewig bejammert er sein Unglück, obwohl er eigentlich doch ein ungewöhnliches Glück hat. (Gereizt.) Stell dir vor, was für ein Glück! Der Sohn eines einfachen Küsters, ein Stipendiat, hat gelehrte Dienstgrade erreicht und einen Lehrstuhl erklettert, ist Exzellenz geworden, Schwiegersohn eines Senators und so weiter und so fort. Das alles will natürlich nicht viel heißen. Aber nun stell dir vor: Da hält dieser Mensch fünfundzwanzig Jahre lang Vorlesungen und schreibt über Kunst, obwohl er genaugenommen nichts von Kunst versteht. Fünfundzwanzig Jahre käut er Gedanken anderer Leute wieder, über Realismus, Naturalismus und allerlei andern Quatsch; fünfundzwanzig Jahre Vorlesungen und Schreiberei über Dinge, die den Vernünftigen ohnehin schon klar, den Banausen einerlei sind, fünfundzwanzig Jahre lang treibt er müßiges Zeug. Und dabei welche Arroganz! Welche Anmaßung! Nun hat er seinen Ruhestand, und keine Seele kennt ihn mehr; er ist völlig unbekannt. Das heißt doch, fünfundzwanzig Jahre hat er eine Stelle besetzt, die ihm nicht zustand. Und nun sieh ihn dir an: Wie ein Halbgott schreitet er daher!
ASTROW. Du scheinst ihn zu beneiden.
WOJNIZKIJ. Ja, ich beneide ihn. Was für ein Erfolg bei den [13]Frauen! Noch nie hat ein Don Juan einen solchen Erfolg gehabt! Seine erste Frau, meine Schwester, ein schönes, sanftes Wesen, rein wie der blaue Himmel und edel, großzügig – mehr Verehrer hat sie gehabt als er Schüler –, sie hat ihn so geliebt, wie nur die engelhaften Wesen lieben können, die rein und schön sind, wie sie es war. Meine Mutter, seine Schwiegermutter, vergöttert ihn bis zum heutigen Tag, bis heute suggeriert er ihr heilige Scheu. Seine zweite Frau, eine Schönheit und gescheit – Sie haben sie ja eben gesehen –, hat ihm ihre Jugend geschenkt, ihre Anmut, ihre Freiheit, ihren Glanz. Und wofür? Warum?
ASTROW. Ist sie dem Professor treu?
WOJNIZKIJ. Leider ja.
ASTROW. Warum denn leider?
WOJNIZKIJ. Weil diese Treue von Anfang bis zum Ende verlogen ist. Viel Rhetorik steckt darin, aber keine Logik. Einen alten Ehemann zu betrügen, den man nicht mehr ausstehen kann – das soll unmoralisch sein, aber in sich die arme Jugend zu ersticken und das lebendige Gefühl – das soll nicht unmoralisch sein.
TELEGIN (mit weinerlicher Stimme). Wanja, das mag ich nicht, wenn du so etwas sagst. Na wirklich … Wer seine Frau oder seinen Mann betrügt, der ist eben ein treuloser Mensch; so einer kann auch mal das Vaterland verraten!
WOJNIZKIJ (ärgerlich). Dreh den Hahn ab! Du Waffel!
TELEGIN. Erlaub mal, Wanja. Meine Frau ist mir schon am Tag nach der Hochzeit weggelaufen, mit ihrem Liebhaber, wegen meines unattraktiven Äußeren. Und doch habe ich auch danach nicht gegen meine Pflichten verstoßen. Ich liebe sie bis zum heutigen Tag und bin ihr [14]treu, helfe ihr, wo ich kann, und habe mein Vermögen hingegeben zur Erziehung der Kinder, die sie mit ihrem Geliebten in die Welt gesetzt hat. Mein Glück ist zerstört, aber der Stolz ist mir geblieben. Und sie? Ihre Jugend ist längst dahin, die Schönheit ist unter dem Einfluß der Naturgesetze verblichen, der Geliebte ist gestorben … Was ist ihr also geblieben?
(Sonja und Jelena Andrejewna kommen; etwas später kommt Marija Wassiljewna mit einem Buch; sie setzt sich und fängt an zu lesen. Man bringt ihr Tee. Sie trinkt, ohne aufzusehen.)
SONJA (hastig zur Kinderfrau). Njánetschka, da sind die Bauern gekommen. Geh, sprich du mit ihnen, den Tee schenke ich selbst ein … (Sie schenkt Tee ein.)
(Die Kinderfrau geht hinaus. Jelena Andrejewna nimmt ihre Tasse, setzt sich auf die Schaukel und trinkt.)
ASTROW (zu Jelena Andrejewna). Da bin ich nun zu Ihrem Mann gekommen. Sie haben mir geschrieben, er sei sehr krank, Rheumatismus und sonst noch was, dabei stellt sich heraus, daß er kerngesund ist.
JELENA ANDREJEWNA. Gestern abend fühlte er sich schlecht, klagte über Schmerzen in den Beinen, heute geht es ihm wieder gut …
ASTROW. Und da galoppiere ich Hals über Kopf die dreißig Werst herüber. Na, macht nichts, war ja nicht das erste Mal. Dafür bleibe ich nun bis morgen bei Ihnen und schlafe mich wenigstens quantum satis aus.
SONJA. Das ist schön. Es ist ja so eine Seltenheit, wenn Sie bei uns übernachten. Sie haben wahrscheinlich noch nicht gegessen?
ASTROW. Nein, gegessen habe ich noch nicht.
[15]SONJA. Da kommen Sie gerade recht zum Abendessen. Wir essen jetzt immer um sieben Uhr. (Sie trinkt.) Der Tee ist kalt.
TELEGIN. Im Samowar ist die Temperatur schon ganz entschieden gesunken.
JELENA ANDREJEWNA. Macht nichts, Iwán Iwánytsch, wir trinken auch kalten Tee.
TELEGIN. Verzeihen Sie bitte … Nicht Iwan Iwanytsch, sondern Ilja Iljitsch Telegin, oder, wie manche mich wegen meines narbigen Gesichts nennen, »Waffel«. Seinerzeit war ich Taufpate von Sonetschka, und seine Exzellenz, Ihr Gatte, kennt mich sehr gut. Nun lebe ich hier, bitte sehr, auf diesem Gut, bitte … Wenn Sie das zu bemerken beliebten, jeden Tag pflege ich mit Ihnen zusammen zu speisen.
SONJA.