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wichtig gerade die Begleitung von Menschen mit Intelligenzminderung im Umgang mit einer intimen Beziehung ist. Immer wieder ist es erstaunlich, dass wir zwar von »Menschen mit Assistenzbedarf« sprechen, dass aber gerade einer der verletzlichsten Bereiche des zwischenmenschlichen und sozialen Kontakts – Intimität, Erotik und Sexualität – von dieser »Assistenz« ausgeschlossen ist, dass die Betroffenen hier auf sich gestellt bleiben, mit der Gefahr von Verletzungen und Traumatisierungen.

      Das Ausgeliefertsein gegenüber überwältigenden Ereignissen betrifft natürlich auch Menschen mit Intelligenzminderung, und auch hier ist die Grenze zum Überwältigtsein, zur Ohnmacht und Hilflosigkeit schnell überschritten. Dies gilt es zu berücksichtigen, um bei Naturereignissen, Unfällen und anderen, nicht durch Gewalt bedingten Herausforderungen hinreichend Schutz und Unterstützung gewähren zu können.

      Ein Werkstattgebäude neben einem Wohnhaus für Erwachsene mit Assistenzbedarf brannte eines Nachts aus. Auch das Wohnhaus geriet in Gefahr, die Hitze ließ die Fenster teilweise bersten. Alles verlief in der Folge optimal: Die Nachtwache reagierte großartig und brachte alle Bewohner trotz der hochbedrängenden Situation in relativer Ruhe in Sicherheit, die Feuerwehr war rasch vor Ort und konnte die Ausbreitung des Feuers auf das Wohnhaus verhindern. Ein Teil der Bewohner reagierte in der Folge mit Stolz, so etwas miterlebt zu haben. Es kann durchaus ein Schutz vor der Ausbildung einer PTBS sein und sollte deshalb gewährt werden, dass wieder und wieder und wieder das Erlebte erzählt wird, wie es bei vielen Bewohnern des Hauses der Fall war. Ein anderer Teil blieb aber verängstigt. Hier wurden nun die Grundbedingungen eines sicheren Ortes praktiziert (Zimmer im zentralen Hausbereich in unmittelbarer Nähe zu Betreuern, nächtliche Begleitung über Monate, weiter auch künstlerischer Umgang mit dem Erlebten, Körpertherapien und sehr viel Nähe). Es schien aber, dass ein wesentlicher Schritt zur Bewältigung war, dass die Bewohner des Hauses in den Wiederaufbau des Werkstattgebäudes miteinbezogen wurden: Das praktische Tun, das Hand-Anlegen ermöglichte ihnen Handlungsfähigkeit. Und genau diese Handlungsfähigkeit – als das Gegenteil der Erstarrung – ist ein wesentlicher Schutz vor einer PTBS.

       emotionale Traumatisierung

      Ein wesentlicher Bereich der Traumatisierung von Menschen mit Assistenzbedarf ist die emotionale Traumatisierung.43 Dies wird begünstigt durch die oft erheblich eingeschränkte Entwicklung eines stabilen Ich-Bewusstseins.

      Menschen mit einer Behinderung erleiden sehr oft seelische Verletzungen und Traumatisierung durch häufige und sich wiederholende Verlassenheitssituationen und Trennungen. Sie erleiden oft in einem hohen Maße Fremdkontrolle ihrer Eigenbestimmung bis hin zur Verweigerung von Selbstbestimmung, sie werden häufig zurückgesetzt gegenüber anderen, vor allem auch Geschwistern, oder ausgegrenzt von sozialen Situationen. Viele der Betroffenen erleiden und erleben eine verminderte Wertschätzung. Die mangelnde Möglichkeit einer Selbstentfaltung und das eingeschränkte Entwickeln eines eigenen Lebensentwurfes sind häufige Folgen.

      Der 16-jährige Michael stammt aus einer sozial schwachen Familie. Beide Eltern gingen keiner Arbeit nach, Alkohol spielte eine große Rolle, und es muss dringend vermutet werden, dass er unter Gewalt litt.

      Die Ursache von Michaels leichter Intelligenzminderung war ein Sauerstoffmangel unter der Geburt. Er erfuhr in den ersten ca. fünf Lebensjahren – bis durch Nachbarn vermittelt das Jugendamt aktiv wurde – praktisch keinerlei Förderung. Zuwendung, Ernährung und Körperpflege waren auf ein Minimum begrenzt. Er wurde zehnjährig in das Wohnheim der Schule für geistig behinderte Kinder aufgenommen, die er zuvor schon besuchte. Bei der Aufnahme zeigten sich vor allem eine tief beeinträchtigte Bindungsfähigkeit und ein extrem geringes Selbstwertgefühl. Bei Kontakten wies er bei auch nur geringsten Anlässen ein zum Teil ausgeprägtes fremdaggressives Verhalten auf. Frustrationserlebnisse führten zu Autoaggressionen (Ausreißen von Haaren und Fingernägeln).

      Er bekam eine anthroposophisch begründete medikamentöse Unterstützung (Amnion, Argentum, Bryophyllum, Oxalis-Salbe und vor allem Aurum comp.) sowie heileurythmische Behandlung.

      Außerdem wurde das immer neue Schaffen eines sicheren Ortes (unter anderem Zimmergestaltung, positive Rückzugsmöglichkeiten, Wickel und Einreibungen) berücksichtigt. Michael liebte zwei Winter hindurch ein zweimal in der Woche durchgeführtes »Bad« in angewärmten Kastanien. Über Jahre bekam er täglich nach dem Mittagessen einen warmen, trockenen Kamille-Leibwickel, nach dem er selber fragte.

      Die Mitarbeitenden waren um eine immer neu bekräftigte »sichere Bindung« bemüht sowie insbesondere um eine weitgehende Vorhersehbarkeit des eigenen Handelns und den Verzicht auf Willkür.

      Es war beeindruckend, welches Maß an Vertrauen und Sicherheit Michael entwickelte. In den sozialen Beziehungen konnte er die fremdaggressiven Verhaltensweisen deutlich einschränken, das selbstverletzende Verhalten trat nicht mehr auf. Im Acht-Klass-Spiel nach einer Erzählung von Tolstoi spielte er in beeindruckend ruhiger und gefestigter Weise einen im Glauben verankerten Bauern.

      Viele Eltern, die ein Kind mit Behinderung erwarten, sind während der Schwangerschaft – in der ja heute häufig die anlagebedingten Behinderungen früh durch zunehmend vereinfachte Bluttests erkannt werden können – sehr betroffen bis schockiert von dieser Prognose.

       emotionale Bindung in der Schwangerschaft

      Wir wissen heute immer mehr über die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind in der Schwangerschaft und deren Auswirkung auf das ganze Leben. In einer ausgeprägten Belastung dieser frühen Bindung und Beziehung kann eine Mitbedingung eines traumatisierenden Geschehens gesehen werden. Die Verunsicherung der Eltern kann zu einem emotionalen Verlassensein des Fötus führen mit der Folge einer späteren Posttraumatischen Belastungsstörung.

      Eine werdende Mutter wurde in der zehnten Woche der Schwangerschaft während der Ultraschall-Untersuchung durch die Worte des untersuchenden Gynäkologen schockiert: »Das Nackenfett des Kindes beträgt 2,6 mm [statt der zu erwartenden 2,3 mm], das könnte ein Down-Syndrom sein. Wollen Sie es denn haben?«

      Die junge Frau war verstört. Dann aber wuchs ihre Empörung über den so wenig einfühlsamen Arzt (den sie dann auch wechselte). Sie fand zu ihrer Kraft zurück, und gemeinsam mit ihrem Partner entschied sie sich: »Das ist unser Kind!«

      Rückblickend beschrieb sie diese Situation folgendermaßen: »In den ersten Tagen war ich nur im Kopf, hatte Angst und dachte hin und her. Ich glaube, unser Kind war da sehr alleine. Nach einigen Tagen aber war ich wieder ganz bei meinem Kind und freute mich auf es.«

      Sie entband dann ein gesundes Kind.

       Prozess der Akzeptanz

      Wenn ein Kind mit Behinderung auf die Welt kommt, fühlen sich die Eltern oft alleingelassen und überfordert; das kann die Isolation verstärken. Auch wenn viele Eltern behinderter Kinder sich im Laufe der Zeit konsequent hinter ihre Kinder stellen und um deren Förderung intensiv bemüht sind, dauert der Prozess der Akzeptanz der Eltern oft Jahre – Jahre, in denen die heranwachsenden Kinder vielfach emotional alleingelassen sind.

      Der bedeutende, 1981 verstorbene österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker Heinz Kohut formulierte einmal den Satz: »Das Kind wächst heran im Glanz der Augen der Mutter.«44

       emotionales Verlassensein

      Wenn sich kein »Glanz in den Augen der Mutter« einstellt – weder in den Augen der Mutter noch in denen des Vaters, bedingt durch deren Verunsicherung, mögliche Enttäuschung oder auch deren Trauer –, kann dies zu einer Irritation des Kindes und einem mehr oder weniger tiefgehenden Gefühl des emotionalen Verlassenseins führen.

      Dann gibt es Eltern, die die »Schuldfrage« stellen: Wer ist »schuld« an der Behinderung des Kindes? Dies kann zu Zerwürfnissen der Eltern führen, vielleicht auch zu Trennungen, die das Kind auch erlebt und erleidet – das Kind bleibt emotional vereinsamt.

      »Normalerweise« geht die primäre Intention von Entwicklung vom Kind aus (das Kind richtet sich auf, wird von den Eltern gestützt, das Kind spricht

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