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du deshalb, dass ich ausziehe? Damit ich euch nicht störe?«

      »Nein!«, sagte Per heftig. Das Gespräch lief in eine vollkommen falsche Richtung, und er fand kein Mittel, das zu ändern. Je mehr er beteuern würde, dass sie falsch lag mit ihren Vermutungen, desto weniger würde sie ihm glauben. Dennoch fuhr er fort: »Damit hat das überhaupt nichts zu tun. Ich habe keine Freundin, und ich suche auch nicht nach einer.«

      Nina hatte längst aufgehört zu essen, jetzt schob sie mit einer unwilligen Bewegung die Crème brûlée von sich. Er wusste, sie würde sie nicht mehr anrühren. »Warum dann?«, fragte sie. »Sag mir einen einzigen vernünftigen Grund!«

      »Es wird Zeit, dass du erwachsen wirst und auf eigenen Füßen stehst«, wiederholte er seine Worte von vorher und hörte selbst, wie lächerlich das klang. Nina war erwachsen, viel erwachsener als andere Zwanzigjährige, und sie stand längst auf eigenen Füßen. Außerdem war die Wohnung mehr als groß genug für sie beide, vorher war sie ja auch groß genug für drei gewesen. Und wo sollte Nina überhaupt eine Wohnung herbekommen, die sie bezahlen konnte? Solche Wohnungen gab es bekanntlich in München kaum noch.

      »Ich bin erwachsen, und ich stehe auf eigenen Füßen«, stellte Nina denn auch fest. »Du bist feige, Per! Du hast andere Gründe, aber du willst sie mir nicht sagen. Vielleicht kann ich dir helfen? Du fühlst dich beengt von deiner Stieftochter, du möchtest endlich wie der freie Mann leben, der du seit Mamas Tod bist, aber du hast Angst, es auszusprechen, weil ich es in den falschen Hals kriegen könnte.«

      Sie stand auf, mit einer so heftigen Bewegung, dass der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, umkippte. Sie zuckte nicht einmal zusammen, als seine hölzerne Lehne auf das Parkett knallte. »Ich sage dir, was ich in den falschen Hals bekomme: dein blödes Rumgeeiere, die vorgeschobenen Gründe. Du hättest einfach sagen sollen, was Sache ist, das wäre ehrlich gewesen, und ich wäre damit besser zurechtgekommen.«

      Sie funkelte ihn noch einmal an, dann marschierte sie aus dem Zimmer.

      Per blieb sitzen, stützte den Kopf in beide Hände. Das war gründlich schiefgegangen, viel schlechter hätte es nicht laufen können. Und was das Schlimmste war: Er konnte das Missverständnis nicht aufklären, denn dann hätte er ihr die Wahrheit sagen müssen.

      Er würde Nina verlieren, weil er ihr nicht sagen konnte, dass er sie liebte. Sie würde sich von ihm abwenden, weil sie dachte, er wollte sie loswerden!

      Ihm kamen die Tränen, die er sich erschrocken aus den Augen wischte. Er musste sich zusammennehmen. Vor allem durfte er nicht der Versuchung erliegen, Nina zu sagen, dass er sie liebte – dass er sie liebte, wie ein Mann eine Frau nur lieben kann. Denn damit würde er sie für immer von sich wegtreiben, so viel stand fest.

      *

      »Auf Konny müssen wir heute wohl nicht warten«, stellte Antonia Laurin fest, als die Kinder nach dem Abendessen den Tisch abräumten. Wie immer hatte Simon Daume, der ihnen den Haushalt führte, hervorragend gekocht. Dass ihre Jüngste, Kyra, neuerdings kein Fleisch mehr aß, schien ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten, jedenfalls beklagte er sich nicht über die Mehrarbeit, die das für ihn bedeutete.

      »Er hat gesagt, es kann sehr, sehr spät werden. Oder auch früh«, erklärte Kaja.

      »Er ist bestimmt traurig, wenn er nach Hause kommt«, sagte Kyra. »Vielleicht sollte einer von uns wach bleiben, damit er dann nicht ganz alleine ist.«

      Antonia und Leon wechselten einen Blick. Das war typisch für Kyra. Immer war sie voller Mitgefühl für andere, ob Mensch oder Tier. Als sie noch kleiner gewesen war, hatte sie ständig verletzte Tiere nach Hause gebracht, meistens Vögel, einmal aber auch einen Igel, ein anderes Mal eine Katze, die von einem Auto angefahren worden und wenig später gestorben war. So war Kyra: Wenn ein Lebewesen litt, litt sie mit.

      »Ich schreibe morgen früh Mathe«, sagte Kaja, »ich muss schlafen.«

      »Ich könnte wachbleiben«, schlug Kevin vor, der Dreizehnjährige.

      Das ›Sandwichkind‹, wie Antonia manchmal dachte. Der Mittlere, obwohl es den bei vier Kindern eigentlich nicht gab, in ihrem Fall, wegen der Zwillinge, aber eben doch. Er hatte, fand sie jedenfalls, den schwierigsten Platz in der Familie zugewiesen bekommen. Bei seiner Geburt waren die Zwillinge drei Jahre alt gewesen, und bis dahin hatte sich das Familienleben vor allem um sie gedreht. Zwillinge waren ja etwas Besonderes, auch außerhalb der Familie war ihnen die allgemeine Aufmerksamkeit sicher. Daran hatte sich auch durch Kevins Geburt nichts geändert. Und dann war, nach weiteren drei Jahren, Kyra auf die Welt gekommen, das Nesthäkchen.

      Aber Kevin war erstaunlicherweise das gelassenste der Laurin-Kinder geworden. Er ruhte in sich, hatte ein gesundes Selbstvertrauen und ging weitgehend unbeirrbar seinen Weg. Er würde einmal Ingenieur werden. Oder IT-Spezialist. Alles, was mit Technik zu tun hatte, faszinierte ihn.

      »Ich muss morgen sehr früh in die Klinik«, sagte Leon. »Wahrscheinlich stehe ich ungefähr zu der Zeit auf, wenn Konny nach Hause kommt. Oder ich werde wach, weil ich immer unruhig schlafe, wenn ich weiß, dass ich früh aufstehen muss oder dass jemand aus der Familie noch unterwegs ist. Niemand von euch muss seinen Nachtschlaf opfern.«

      »Hätte mir nicht viel ausgemacht«, behauptete Kevin. »Ich habe gerade ein superspannendes Buch angefangen, das hätte ich heute Nacht durchlesen können.«

      »Und morgen hättest du dann den kompletten Unterricht verschlafen, oder wie?«, fragte Antonia.

      Kevin verzichtete auf eine Antwort, er grinste nur.

      Eine halbe Stunde später waren Antonia und Leon allein, die Kinder hatten sich nach oben in ihre Zimmer verzogen.

      Leon legte den Kopf zurück und schloss die Augen. »Meine Güte, bin ich müde«, murmelte er. »Ich habe übrigens deinen Vater heute gesehen.«

      »In der Klinik?«

      »Ja. Er war gut drauf, besser als seit Langem. Ich glaube, er freut sich richtig auf die Arbeit.«

      »Mhm. Teresa freut sich auch auf ihr Geschäft, obwohl sich da jetzt alles verzögert, wie ich hörte.«

      »Das hat mir dein Vater auch erzählt. Marode Stromleitungen, alte Bleirohre – mit solchen Hindernissen konnte sie natürlich nicht rechnen.« Leon küsste seine Frau flüchtig auf die Wange. »Lass uns schlafen gehen«, murmelte er. »Oder bist du noch nicht müde?«

      Sie schmiegte sich an ihn. »Schon ein bisschen, aber eigentlich …« Sie ließ zärtlich ihre Hand unter sein Hemd gleiten.

      Er öffnete die Augen. »Willst du mich wieder aufwecken?«

      »Wenn du dich aufwecken lässt?«

      Jetzt war er wieder völlig wach, sprang auf, zog sie mit sich in die Höhe und strebte zur Tür.

      »Jetzt hast du es aber eilig«, stellte Antonia fest.

      Er blieb stehen, um sie noch einmal zu küssen. Es war ein ganz anderer Kuss als der vorige: Stürmisch und leidenschaftlich war er, und als sie sich voneinander lösten, hatte auch Antonia es eilig, nach oben in ihr Schlafzimmer zu kommen, dessen Tür sie vorsichtshalber verschlossen.

      Man konnte schließlich nie wissen …

      *

      »Das glaube ich dir nicht«, sagte Cleo. »Ihr seid ein Herz und eine Seele! Wieso will er auf einmal, dass du ausziehst? Hat er eine Freundin?«

      »Das habe ich ihn auch gefragt, er hat das aber weit von sich gewiesen.«

      Nina hatte lange geweint und die Wohnung erst verlassen, als sie sicher sein konnte, dass sie Cleo alles würde erzählen können, ohne sofort wieder in Tränen auszubrechen. Aber das war dann doch passiert. Cleo hatte auf den ersten Blick gesehen, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Schweigend hatte sie Nina in die Arme geschlossen und an sich gedrückt. Da waren die Tränen gleich wieder geflossen.

      Jetzt saßen sie nebeneinander auf Cleos Sofa, Nina hatte das Gespräch mit Per haarklein wiedergegeben.

      »Klar, was soll er auch sonst

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