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der Tochter?«, fragte Eric in einem Anflug von Zynismus.

      »Beides, Herr Peters.«

      Eric winkte ab. »Meiner Frau traure ich nicht nach, und Doris wird wieder gesund.«

      »Und wo werden Sie das Kind lassen?«, fragte der Wirt und traf damit den Kern des Problems.

      Eric seufzte.

      »Das frage ich mich schon die ganze Zeit. Ich möchte Doris nicht in ein Heim geben, aber«, er zuckte mit den Schultern, »eine andere Lösung fällt mir nicht ein.«

      Der Wirt wusste, dass Eric keine Verwandten hatte. »Wenn Sie wollen, höre ich mich einmal um. Es gibt doch oft alleinstehende Frauen, die gern ein Pflegekind annehmen würden.«

      Eric nickte. »Das wäre eine Möglichkeit. Auf jeden Fall besser als ein Heim. Wenn Sie etwas hören …«

      »Sage ich Ihnen Bescheid.« Der Wirt stand auf und ging in die Küche. Zehn Minuten später bekam Eric sein Schnitzel.

      Während er aß, dachte Eric an Doris. Er war froh, dass sie es so leicht aufgenommen hatte. Dass sie der Mutter nicht nachtrauerte. Denn er wollte nicht, dass das Kind einen seelischen Knacks bekam. Das war Senta nicht wert. Sie war nicht einmal wert, dass er noch einen einzigen Gedanken an sie verschwendete. Deshalb beschloss er, sofort die Scheidung einzureichen. Grund genug hatte er.

      Später, beim Betreten des Hauses, fasste Eric einen Entschluss. Er würde die viel zu große Wohnung aufgeben und eine kleinere mieten, würde die neue Wohnung selbst einrichten und alle Erinnerungen an Senta auslöschen.

      Damit begann er noch am gleichen Abend. Alles, was Senta gehört hatte, packte er in einen Koffer. Außer ihren Schmuck und ein paar Kleidern hatte sie nichts mitgenommen. Da lagen noch Kosmetikartikel von ihr. Pullover, Röcke, Bücher. Eric räumte alles weg. Gleichzeitig räumte er seine eigenen Sachen auf. Dabei fand er ein altes Fotoalbum. Auf dem Teppich sitzend blätterte er es durch. Er lachte über Bilder aus seiner Schulzeit und wurde plötzlich ernst. Da war ein Porträt, das eine ganze Seite einnahm. Es zeigte ein wunderschönes Mädchengesicht. Claudine Stoll, seine große Liebe. Wie lange war das schon her?

      Eric rechnete nach. Claudine war damals achtzehn gewesen, er vierundzwanzig. In all den Jahren später war er nie wieder so verliebt gewesen.

      Eric blätterte weiter: Claudine im Badeanzug, im Abendkleid, auf einer Schaukel im Garten und in seinen Armen. Die Aufnahme hatte eine Freundin von ihr gemacht. Eric erinnerte sich noch genau daran.

      Warum haben wir bloß nicht geheiratet, dachte er. Wir wären bestimmt glücklich geworden. Natürlich waren wir beide damals noch jung und unerfahren, aber voller Hoffnungen.

      Ob sie verheiratet ist und Kinder hat? Eric erinnerte sich, dass sie schon damals von Kindern geschwärmt hatte, ihm war das zu früh gewesen. Er hatte sich erst einmal die Welt ansehen und Erfahrungen sammeln wollen. Doch jetzt wusste er, dass es ein Fehler gewesen war, Claudine nicht sofort zu heiraten.

      Seufzend klappte Eric das Album zu. Das Porträt von Claudine hatte er herausgenommen. Er schob es in den Rahmen, in dem vorher Sentas Foto gewesen war. Während er Claudines Bild betrachtete, erinnerte er sich an tausend Kleinigkeiten. An ihre Art zu lachen und dabei den Kopf zurückzuwerfen.

      An einen gemeinsamen Sommerurlaub in den österreichischen Bergen. Damals hatte er ihr ewige Treue geschworen, und Clau­dine hatte ihn ausgelacht.

      Honigblond und lang war ihr Haar gewesen, ihre Augen grün.

      Eric überlegte: Ich bin jetzt fünfunddreißig. Also muss Claudine jetzt neunundzwanzig sein. Wie viele Kinder mag sie haben? »Ich will mindestens drei haben«, hatte sie immer gesagt. Und jedes Mal hatte er einen Schreck bekommen. Heute wäre ich froh, wenn ich drei Kinder von ihr hätte, dachte Eric. So ändert man sich.

      Er stand auf, um zu Bett zu gehen.

      *

      Doris biss in ein Brötchen mit Butter und Marmelade. Während sie kaute, hörte sie sich an, was Heidi erzählte.

      »Und einen Bernhardiner haben wir auch. Er heißt Barri. So groß ist er.« Heidis Hand zeigte waagrecht aus dem Bett.

      »So groß?« Doris hörte auf zu kauen. »So große Hunde gibt es ja gar nicht.« Fragend schaute sie zu der älteren Ingrid hin.

      Die nickte. »Natürlich gibt es so große Hunde. Bernhardiner sind so groß.«

      Doris vergaß ihr Brötchen, bis ihr der Honig an den Fingern herunterlief. »Huch.« Sie begann zu lecken. Dabei fragte sie: »Habt ihr noch mehr Hunde?«

      »Noch zwei, und außerdem zwei Kaninchen. Sie gehören mir. Weißt du, wie sie heißen? Schneeweißchen und Rosenrot. Wenn du mich einmal besuchst, darfst du mit ihnen spielen«, erlaubte Heidi großzügig. Dann aß sie die Marmelade ohne Brot und fuhr sich schnell über den Mund, als die Schwester hereinkam.

      »Seid ihr alle satt?«

      Drei der Mädchen nickten. Nur Heidi überlegte, ob sie noch einen Becher Marmelade verlangen sollte. Aber dann würde die Schwester ihr wahrscheinlich auch noch ein Brötchen bringen.

      »Na, Heidi? Du siehst genauso aus, als wärst du noch nicht satt.«

      »Kann ich noch einen Becher Marmelade kriegen?«, platzte Heidi heraus.

      Die Schwester unterdrückte ein Schmunzeln. »Selbstverständlich!« Sie ging hinaus und kam mit einem Portionsbecher Himbeermarmelade zurück. »Möchtest du auch noch ein Brötchen?«

      »Nein, nein.« Rasch schüttelte Heidi den Kopf. Dann löffelte sie selig den Marmeladenbecher leer.

      »Dass du die so gerne isst.« Verwundert schüttelte Ingrid den Kopf. »Ich mag viel lieber Honig.«

      Doris nickte. »Ich auch.« Sie beobachtete Heidi, die den Becher ausleckte. Dann stellte sie die Frage, die ihr schon seit dem Aufwachen im Kopf herumgeisterte: »Haben dich deine Eltern in das Heim gebracht, Heidi?«

      »Nein.« Der Becher war endlich leer. Heidi stellte ihn weg. »Ich habe ja keine mehr.«

      »Gar niemanden mehr?«

      »Nein«, sagte Heidi. Es klang weder traurig noch unglücklich.

      »Macht dir das nichts aus?«, wollte Ingrid wissen. Dabei hatte sie schon fast ein schlechtes Gewissen wegen der Frage.

      Doch Heidi schaute sie nur mit großen Augen an. »Wieso, ich habe doch Tante Ma und Schwester Regine. Und außerdem noch Tante Isi und die Kinder.«

      »Habt ihr auch Spielsachen?«, fragte Doris.

      »Ein ganzes Zimmer voll.«

      »Wirklich?«, staunte Doris. »Und ihr dürft alle damit spielen?«

      »Freilich.« Heidi geriet ins Schwärmen. Sie erzählte von der elektrischen Eisenbahn, die ein ganzes Zimmer ausfüllte. Von den Tieren. »Ich reite immer auf einem Pony, die Älteren, wie Nick, reiten auf den Pferden.«

      »Und wem gehören die Tiere?«, wollte Doris wissen. Sie hatte Pferde nur im Fernsehen oder im Zoo gesehen.

      »Also, eigentlich gehören sie Nick«, sagte Heidi. »Aber Nick sagt immer, dass sie uns allen gehören.«

      Doris behielt vor Staunen den Mund offen. »Euch allen?«

      »Klar. Genau wie die Spielsachen. Nur Schneeweißchen und Rosenrot, die Kaninchen, gehören mir. Aber ich lasse alle damit spielen.«

      »Und die anderen Kinder?«, fragte Doris, »haben sie auch alle keine Eltern mehr?«

      »Nein. Deswegen sind sie ja bei uns in Sophienlust.«

      »Und keiner ist traurig?«

      »Nein, in Sophienlust ist niemand traurig. Dazu ist es doch dort viel zu schön.« Heidi erzählte weiter, und die drei Mädchen hörten ihr andächtig zu.

      Als Heidi von dem Tierheim erzählte, rief Ingrid: »Jetzt flunkerst du aber! So

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