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Erklärung, doch Dylan schwieg. Ryan gab ihm ein Handtuch, er trocknete seine Hände, gab Cassie kurz und formell die Hand und wandte sich dann den Snacks zu.

      Während er aß, sprach Dylan nicht viel, aber Cassie beobachtete beeindruckt, wie viel er in der kurzen Zeit runterschlingen konnte. Der Teller war fast leer, als Ryan ihn zurück in den Kühlschrank stellte.

      „Du wirst beim Abendessen keinen Hunger mehr haben, wenn du so weiter isst und ich habe vor, Spaghetti Bolognese zu machen“, sagte er.

      „Spaghetti geht immer“, versprach Dylan.

      Ryan schloss die Kühlschranktür.

      „Ok, Kinder. Ihr solltet euch jetzt umziehen, sonst bekommt ihr eine Erkältung.“

      Als sie verschwunden waren, drehte er sich wieder Cassie zu und sie bemerkte, dass er nervös klang.

      „Was denkst du? Entsprechen die beiden deinen Erwartungen? Es sind tolle Kinder, aber auch sie haben ihre Momente.“

      Cassie hatte die beiden sofort ins Herz geschlossen. Vor allem Madison schien ein unproblematisches Kind zu sein und sie konnte sich nicht vorstellen, mit dem gesprächigen Mädchen Unterhaltungsschwierigkeiten zu haben. Dylan kam ihr komplexer, stiller und introvertierter vor. Aber das konnte auch daran liegen, dass er sich zum Teenager zu entwickeln schien. Es war nicht überraschend, dass er einem dreiundzwanzigjährigen Au-Pair nicht viel zu sagen hatte.

      Ryan hatte recht. Seine Kinder schienen verträglich zu sein. Außerdem war er als unterstützender Vater sicherlich bereit, ihr bei Schwierigkeiten zur Seite zu stehen.

      Damit war ihre Entscheidung getroffen. Sie würde den Job annehmen.

      „Du hast wundervolle Kinder. Ich würde mich freuen, die nächsten drei Wochen für dich arbeiten zu dürfen.“

      Ryans Augen leuchteten auf.

      „Oh, das ist fabelhaft. Weißt du, Cassie, als ich dich zum ersten Mal gesehen, nein, mit dir gesprochen habe, hoffte ich bereits, dass du einwilligen würdest. Deine Energie fasziniert mich und ich würde sehr gerne erfahren, was du mitgemacht hast, was dich geformt hat. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber du wirkst so klug und reif. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass meine Kinder bei dir in ausgezeichneten Händen sein werden.“

      Cassie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Ryans Lob beschämte sie.

      Ryan sprach weiter. „Die Kinder werden begeistert sein, ich habe bereits gemerkt, dass sie dich mögen. Ich gebe dir nun am besten eine Tour des Hauses und dann kannst du dich einrichten. Hast du deine Sachen dabei?“

      „Ja, das habe ich.“

      Der Regen hatte eine kurze Pause eingelegt, also ging Ryan mit ihr zum Wagen, lud lässig ihre schweren Taschen aus und trug sie in den Flur.

      „Wir haben nur eine Garage, die dem Land Rover gehört, aber das Parken an der Straße ist absolut sicher. Das Haus ist einfach aufgebaut. Wir haben das Wohnzimmer zur Rechten, die Küche geradeaus und links befindet sich das Esszimmer, das wir nur selten verwenden. Deshalb ist daraus jetzt ein Raum zum Puzzeln, Lesen und Spielen geworden. Wie man sehen kann.“

      Er schielte seufzend hinein.

      „Wer ist der Puzzle-Enthusiast?“

      „Madison. Sie liebt es, mit ihren Händen zu arbeiten und bastelt unheimlich gerne.“

      „Und sie ist auch noch sportlich?“, fragte Cassie. „Ein Multi-Talent also.“

      „Maddies Schwachstelle sind die Hausaufgaben, fürchte ich. In schulischen Angelegenheiten braucht sie Hilfe, vor allem in Mathe. Es wäre toll, wenn du ihr dabei helfen könntest und wenn es auch nur moralische Unterstützung ist.“

      „Was ist mit Dylan?“

      „Er ist ein leidenschaftlicher Radfahrer, interessiert sich aber für keinen anderen Sport. Mechanik ist sein Steckenpferd und in der Schule hat er nur Einsen. Dafür ist er allerdings nicht gerade gesellig. Wenn er sich unter Druck gesetzt fühlt, kann er auch ziemlich launisch werden. Ein schwieriger Balanceakt also.“

      Cassie nickte dankbar, so viel über ihre neuen Schützlinge erfahren zu haben.

      „Hier ist dein Zimmer, dort können wir deine Taschen abstellen.“

      Aus dem kleinen Zimmer hatte man eine wundervolle Aussicht über das Meer. Es war in Türkis und Weiß dekoriert worden und sah ordentlich und einladend aus. Ryan stellte ihre große Tasche an den Fuß des Bettes und die kleinere auf einen gestreiften Sessel.

      „Das Gästebad ist gleich hier den Flur runter. Madisons Zimmer befindet sich dann zur Rechten und Dylans zur Linken. Ganz am Ende ist mein Reich. Und dann gibt es noch etwas, das ich dir zeigen möchte.“

      Er führte sie den Flur entlang ins Familienzimmer. Hinter den Glastüren sah Cassie einen überdachten Balkon mit schmiedeeisernen Möbeln.

      „Wow“, flüsterte sie. Der Ausblick hier war atemberaubend. Der Ozean lag tief unter ihnen und sie konnte die Wellen hören, die gegen die Felsen schlugen.

      „Das ist mein Ort der Ruhe. Hier sitze ich jeden Abend nach dem Essen, um abzuschalten, für gewöhnlich mit einem Glas Wein. Du bist herzlich eingeladen, dich jederzeit zu mir zu gesellen – der Wein ist optional, windgeschützte Kleidung verpflichtend. Der Balkon hat zwar ein solides Dach, aber keine Verglasung. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, aber festgestellt, es nicht übers Herz zu bringen. Hier draußen fühlt man sich dem Meer einfach so nahe. Das Geräusch des Ozeans und an stürmischen Abenden auch mal eine Brise Seewasser. Sieh es dir selbst an.“

      Er öffnete die Schiebetür.

      Cassie ging auf den Balkon und bis zur Brüstung, an der sie sich festhielt.

      In dem Moment wurde ihr schwindelig und plötzlich befand sich unter ihr nicht länger der Strand von Devon.

      Sie beugte sich über die Steinbrüstung und betrachtete entsetzt den entstellten Körper unter sich. Panik und Verwirrung überkamen sie.

      Sie konnte den kalten Stein unter ihren Fingern spüren, erinnerte sich an den Hauch von Parfum, der noch immer im opulenten Schlafzimmer verweilte. Sie erinnerte sich an die Übelkeit, die in ihr getobt hatte, daran, wie ihre Beine so weich geworden waren, dass sie geglaubt hatte, zusammenzubrechen. Dann daran, wie ihre Erinnerungen ihr nicht erlaubt hatten, die Ereignisse der vergangenen Nacht erneut abzuspielen. An ihre Albträume, die schon immer schlimm gewesen waren, sich nun intensiviert hatten und nach dem schockierenden Anblick lebhafter waren als je zuvor. Sie erinnerte sich daran, nicht in der Lage gewesen zu sein, Traum und Erinnerung auseinanderzuhalten.

      Cassie hatte geglaubt, ihr angsterfülltes Ich zurückgelassen zu haben, aber nun kam die Dunkelheit zurück, um sie zu verschlucken. Und sie verstand, dass die Erinnerungen genau wie die Angst ein Teil ihrer Selbst geworden waren.

      „Nein“, wollte sie schreien, aber ihre eigene Stimme schien aus der Ferne zu kommen. Einem weitentfernten Ort. Sie brachte lediglich ein kaum hörbares Flüstern zustande.

      KAPITEL VIER

      „Hey, ganz ruhig. Schön gleichmäßig atmen. Ein, aus, ein, aus.“

      Cassie öffnete die Augen und betrachtete die massiven Holzbretter der Veranda.

      Sie saß auf dem weichen Kissen des schmiedeeisernen Stuhls, ihr Kopf auf den Knien. Feste Hände hielten sie an den Schultern, um sie zu stützen.

      Es war Ryan, ihr neuer Arbeitgeber. Seine Hände, seine Stimme.

      Was war passiert? Sie war in Panik geraten und hatte sich lächerlich gemacht. Eilig setzte sie sich auf.

      „Vorsichtig, mach langsam.“

      Cassie rang nach Luft. Ihr Kopf drehte sich und sie hatte das Gefühl,

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