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lange wirst du mich brauchen?“

      „Maximal für drei Wochen. Das wird mir Zeit geben, das Projekt fertigzustellen. Danach geht es für uns in die Ferien, wo wir als mehr oder weniger neue Familie hoffentlich neu zusammenfinden werden. Die Leute sagen, dass eine Scheidung die aufreibendste Erfahrung des Lebens sein kann und ich denke, sowohl die Kinder als auch ich selbst können das bestätigen.“

      Cassie nickte mitfühlend. Sie war sich sicher, dass seine Kinder unter der Situation litten und fragte sich, wie viel Ryan und seine Frau gestritten hatten. Natürlich hatte es Konflikte gegeben, aber sie wusste nicht, ob diese als laute Schuldzuweisungen oder unangenehmes, angespanntes Schweigen ausgetragen worden waren.

      Da sie als Kind beides erlebt hatte, war sie sich nicht sicher, was schlimmer war.

      Als Cassies Mutter noch am Leben gewesen war, hatte sie es geschafft, das Temperament ihres Vaters zu kontrollieren. Cassie erinnerte sich an die angespannte Stille und hatte gelernt, einen feinfühligen Sinn für Konflikte zu entwickeln. Wenn sie einen Raum betrat, konnte sie sofort erkennen, ob Streit in der Luft lag. Die Funkstillen waren am schädlichsten und machten allen emotional am meisten zu schaffen, da sie niemals endeten.

      Ein lauter Streit dagegen endete früher oder später, selbst wenn dabei Gläser zerbrochen wurden oder der Notruf gewählt worden war. Aber auch das sorgte für Traumata und unheilbare Narben. Schreien und körperliche Gewalt hatten auch eine Angst vor Kontrollverlust hervorgerufen – Vertrauen war dadurch unmöglich geworden.

      Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie genau das bei ihrem Vater erlebt.

      Cassie sah sich in der fröhlichen und ordentlichen Küche um und versuchte, sich vorzustellen, was hier zwischen Ryan und seiner Frau geschehen war. Ihrer Erfahrung nach fanden die schlimmsten Konflikte in der Küche oder im Schlafzimmer statt.

      „Es tut mir so leid, dass du das hast mitmachen müssen“, sagte sie leise.

      Ryan sah sie an und als sie seinen Blick erwiderte, starrte sie in helle, leuchtend blaue Augen.

      „Cassie, du scheinst zu verstehen“, sagte er.

      Sie hatte das Gefühl, dass er noch etwas hinzufügen wollte, doch in diesem Moment öffnete sich die Haustür.

      „Die Kinder sind zuhause, genau rechtzeitig“. Er klang erleichtert.

      Cassie blickte aus dem Fenster, wo die Regentropfen bereits gegen das Glas prasselten. Als die Tür zuging, verwandelten sich die Tropfen in einen ordentlichen, kalten Winterregen.

      „Hey Dad!“

      Schritte ertönten auf dem Holzboden und ein dünnes, junges Mädchen mit Radlerhosen und einer grünen Trainingsjacke rannte in die Küche. Sie blieb stehen, als sie Cassie sah, betrachtete sie von Kopf bis Fuß und kam dann herüber, um ihr die Hand zu geben.

      „Hallo. Bist du die Lady, die nach uns sehen wird?“

      „Mein Name ist Cassie. Bist du Madison?“, fragte Cassie.

      Madison nickte und Ryan zerzauste das glänzende, braune Haar seiner Tochter.

      „Cassie überlegt noch, ob sie für uns arbeiten will. Was denkst du? Versprichst du, dich von deiner besten Seite zu zeigen?“

      Madison zuckte mit den Schultern.

      „Du sagst immer, wir sollen keine Versprechungen machen, dir wir nicht halten können. Aber ich werde es versuchen.“

      Ryan lachte und Cassie lächelte über die kecke Ehrlichkeit der Antwort.

      „Wo ist Dylan?“, fragte Ryan.

      „In der Garage und ölt sein Fahrrad. Es hat ganz schön gequietscht, als wir den Berg hinaufgefahren sind und dann hat er auch noch eine Kette verloren.“ Madison holte tief Luft und ging dann zur Küchentür.

      „Dylan!“, rief sie. „Komm her!“

      Cassie hörte ein entferntes Rufen. „Komm schon!“

      „Das wird ewig dauern“, sagte Madison. „Wenn er an den Fahrrädern arbeitet, kann er nicht mehr aufhören.“

      Sie erblickte den Snack-Teller und ging mit leuchtenden Augen eilig darauf zu. Als sie das Essen betrachtete, seufzte sie genervt.

      „Dad, du hast Eier-Brote gemacht.“

      „Ist das ein Problem?“, fragte Ryan mit hochgezogenen Augenbrauen.

      „Du kennst meinen Standpunkt Eiern gegenüber. Das ist wie Erbrochenes auf einem Brot.“

      Sie nahm sich vorsichtig ein Milchbrötchen von der gegenüberliegenden Seite des Tellers.

      „Erbrochenes auf einem Brot?“, Ryans Stimme klang gleichzeitig belustigt und entsetzt. „Maddie, so etwas solltest du vor Gästen nicht sagen.“

      „Pass auf, Cassie. Das Eierzeugs klebt an allem“, warnte Madison und sah ihren Vater reuelos an.

      Cassie hatte plötzlich das seltsame Gefühl des Dazugehörens. Diese Neckereien waren genau das, was sie sich erhofft hatte. Bisher schien es sich um eine normale, glückliche Familie zu handeln, die sich neckte und füreinander da war, auch wenn bestimmt jedes Familienmitglied seine Eigenarten und Schwierigkeiten hatte. Ihr wurde nun klar, wie angespannt sie darauf gewartet hatte, dass etwas schiefgehen könnte.

      Aus Verlegenheit hatte sie sich selbst noch nichts zu essen genommen, realisierte nun jedoch, wie hungrig sie war. Um sich stattdessen nicht mit einem hörbar knurrenden Magen zu blamieren, entschied sie sich dazu, zuzugreifen.

      „Ich werde mutig sein und mich an dem Sandwich versuchen“, meldete sie sich freiwillig.

      „Danke. Es freut mich zu sehen, dass jemand meine kulinarischen Fähigkeiten zu schätzen weiß“, sagte Ryan.

      „Du meinst wohl deine Fähigk-EI-ten“, fügte Madison hinzu und Cassie lachte.

      Sie drehte sich Cassie zu und sagte: „Dad kümmert sich immer ums Essen. Aber er hasst es, abzuspülen.“

      „Das stimmt“, meinte Ryan.

      Madison holte erneut tief Luft und wandte sich zur Küchentür.

      „Dylan“, schrie sie.

      Dann sagte sie mit normaler Stimme: „Oh, da bist du ja.“

      Ein großer, schlaksiger Junge betrat das Zimmer. Er hatte das braune, glänzende Haar seiner Schwester und Cassie fragte sich, ob er gerade einen Wachstumsschub hinter sich hatte. Er schien nur aus Gliedmaßen und Sehnen zu bestehen.

      „Hi, freut mich, dich kennenzulernen“, sagte er abwesend zu Cassie.

      In seinen jungenhaften Zügen erkannte Cassie die Ähnlichkeit zu Ryan. Beide hatten sie markante, starke Kiefer und ausgeprägte Wangenknochen. In Madisons hübschem, ovalen Gesicht sah sie weniger von Ryan und fragte sich, wie die Mutter der Kinder wohl aussehen musste. Gab es irgendwo im Haus Familienfotos? Oder war die Scheidung so bitter gewesen, dass diese entfernt worden waren?

      „Gib ihr die Hand“, erinnerte Ryan seinen Sohn, doch Dylan drehte seine Handflächen nach oben und Cassie sah, dass sie schwarz vor Öl waren.

      „Oh, oh. Komm hier rüber.“

      Ryan eilte zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und gab eine großzügige Menge Spülmittel in die Hände seines Sohnes.

      Während Ryan abgelenkt war, nahm Cassie sich ein weiteres Sandwich.

      „Was war mit deinem Fahrrad los?“, fragte Ryan.

      „Die Kette ist abgesprungen, als ich den Gang gewechselt habe“, erklärte Dylan.

      „Hast du es repariert?“ Ryan beobachtete kritisch den Prozess des Händewaschens.

      „Ja“,

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