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behauptete ebenso die Schädlichkeit der »Rassenmischung«, die zur »Herabzüchtung« der qualitativ »höheren Rassen« führe. Gobineaus Postulat von der Überlegenheit der »arischen Rasse« stieß insbesondere in Deutschland auf fruchtbaren Boden und verband sich hier mit „Rassenlehren“, die Juden als »vorderasiatisches Rassengemisch« diffamierten, deren Ziel es sei, den »Arier« nach Kräften zu übervorteilen und auszubeuten. Spätere Rassenlehren rückten das Konstrukt vom welthistorischen Gegensatz zwischen „Arier“ und „semitischer Rasse“ in den Vordergrund, imaginierten wie der Philosoph Eugen Dühring „den Juden“ als wirtschaftlichen Ausbeuter und diffamierten ihn als »Schmarotzer«, als »Sozialparasit im Völkerleben« sowie als »Gegenrasse«.

      Der Antisemitismus biologisierte sich indes nicht nur ab Mitte des 19. Jh.s, er politisierte sich auch, insofern relevante Kräfte des Wilhelminischen Kaiserreichs die seit der Reichsgründung in Deutschland existente rechtliche Gleichstellung der Juden ablehnten und die Parteipolitik sich verstärkt des Antisemitismus bediente, um Wählerstimmen zu gewinnen. Immer stärker zeigte sich, dass der Weg von der rechtlichen Gleichstellung zur gesellschaftlichen Akzeptanz weit und das Erringen der Bürgerrechte nicht identisch mit dem Schutz vor alltäglicher Ausgrenzung und Diskriminierung war. Außer in der Parteipolitik drang der Antisemitismus auch in Presse, Publizistik und Literatur vor und modernisierte sich, ohne dass seine christlich-antisemitischen Motive verschwanden. Für die betroffenen Juden nahm der Antisemitismus immer stärker alltäglichen Charakter an und reichte von einem Blick in die Tageszeitung, dem Lesen eines angesagten Buchs, dem Ausschluss aus Vereinen, der Beschränkung der beruflichen Karriere bis hin zu Pogromwellen in Russland.

      Während zu Beginn des Jahres 1914 das „Augusterlebnis“ bei den Juden die Hoffnung auf gesellschaftliche Akzeptanz beflügelte, zeigte sich rasch, dass der Erste Weltkrieg in Wahrheit die Rolle eines Katalysators des radikaler werdenden Antisemitismus spielte. Juden wurden als »Spione« der Gegenseite bezichtigt, als »Kriegsgewinnler«, als »Drückeberger« sowie als »Schieber«, deren Interesse darin bestehe, den Krieg auf Kosten des Volkes zu verlängern. Nicht zuletzt trug auch die Gewaltförmigkeit des Krieges dazu bei, dass der Antisemitismus sich brutalisierte.

      Die rechte Agitation machte Juden nicht nur für den Ersten Weltkrieg und seinen Verlauf verantwortlich, sondern ebenso für die „Russische Revolution“, in deren Kontext antisemitische Verschwörungstheorien wie die Protokolle der Weisen von Zion an Gewicht gewannen. „Der Jude“ wurde als Bolschewist imaginiert, dessen Ziel es sei, revolutionäre Unruhen mit der Absicht zu schüren, dem „internationalen Judentum“ zur Macht zu verhelfen und die „jüdische Weltherrschaft“ zu errichten. Ein Jahr darauf wurden die Juden ebenso für die Novemberrevolution in Deutschland verantwortlich gemacht und von der politischen Rechten als „jüdische Novemberverbrecher“ verleumdet. Die durch den Ersten Weltkrieg initiierte Brutalisierung des Antisemitismus belegen der Mord an Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919, welche zuvor als »Judenhure« verunglimpft und misshandelt wurde, die Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) am 21. Februar 1919, sowie die Ermordung des jüdischen Reichsaußenministers Walther Rathenau in Berlin am 24. Juni 1922.

       1.1Von der Reichsgründung 1871 bis zur konservativen Wende

      In den 1860er-Jahren wurde den Juden in den ersten dt. Staaten die uneingeschränkte Gleichberechtigung gewährt. Das Großherzogtum Baden, welches von 1806 bis 1871 ein souveräner Staat war, erließ am 4. Oktober 1862 ein Gesetz zur bürgerlichen Gleichstellung der Israeliten. Der Erlass verwirklichte erstmals die volle Emanzipation auf allen Ebenen. Den Juden wurden die volle Niederlassungsfreiheit sowie die volle Berufswahl einschließlich des Rechts gewährt, Beamte und Lehrer zu werden. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der im Jahr 1867 erfolgten Umwandlung des Kaisertums Österreich in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn sahen gleichfalls die rechtliche Gleichstellung der Juden vor. Der unter der Führung Preußens stehende Norddeutsche Bund, der von 1866 bis 1871 alle dt. Staaten nördlich der Mainlinie umfasste, stellte im Jahr 1869 das Judentum weitgehend mit allen anderen Konfessionen gleich. Mit der Reichsgründung des Jahres 1871 erhielt das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung gesamtdeutsche Gültigkeit. Zwar schloss die Reichsverfassung von 1871 den rechtlichen Prozess der Gleichstellung ab, gleichwohl verschärfte sich der Antisemitismus. Die Antisemiten gedachten nicht nur die Umsetzung des Verfassungsrechts in Verfassungswirklichkeit zu behindern, sondern ebenso die gesellschaftliche Akzeptanz der 512 000 Juden im Deutschen Reich zu obstruieren. Nach der Reichsgründung beschwor der antisemitische Diskurs die Gefahr einer „jüdischen Allmacht“ und lamentierte über die vermeintliche Dominanz der Juden in allen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen wie kulturellen Sektoren, obwohl diese nur 1,25 % der Gesamtbevölkerung ausmachten.

      Bedingt durch eine Spekulationsblase, hervorgerufen durch den wirtschaftlichen Optimismus der Gründerzeit, löste der Wiener Börsencrash 1873 eine wahre Kettenreaktion aus. Der 9. Mai 1873 erwies sich als „Schwarzer Freitag“ der Wiener Börse, die gegen Mittag schließen musste. Insolvenzen in großer Zahl ließen sich nicht mehr verhindern, die sich ausweitende Wirtschaftskrise nahm ihren Lauf und stürzte zahllose Menschen ins Elend. Die Losung »Die sociale Frage ist die Judenfrage«, die Gleichsetzung von Wucher, Ausbeutung und Judentum, von moderner kapitalistischer Wirtschaft und „jüdischen Börsenspekulanten“, die sich auf Kosten des schaffenden, arbeitenden Menschen selbstsüchtig bereicherten, machte der Journalist Otto Glagau (1834–1892) im Kontext des Gründerkrachs populär. In der zu seiner Zeit viel gelesenen Illustrierten Die Gartenlaube veröffentlichte Glagau Ende 1874 eine Artikelserie, die zwei Jahre darauf in erweiterter Fassung unter dem Titel Der Börsen- und Gründerschwindel in Berlin in Buchform erschien. Der Berliner Journalist bediente sich der Methode rassistischer Markierung. Immer dann, wenn es sich bei einem der Beteiligten am Börsencrash um einen Juden handelte, wurde dieser als »jüdischer Spekulant« bezeichnet, während bei einem „christlichen Spekulanten“ die Markierung selbstredend unterblieb, sodass systematisch der Eindruck erweckt wurde, die Börse sei eine „jüdische Erfindung“, die „das Judentum“ ausgeheckt habe, um sich die Werte der „schaffenden Bevölkerung“ anzueignen. Glagau führte so die vom dt. Nationalsozialismus propagierte Unterscheidung zwischen dem „schaffenden“ und dem „raffenden Kapital“ ein und kreierte die Figur des „Börsenjuden“, der aus materialistischer Gier nur am eigenen Wohlstand interessiert sei, von Profitsucht getrieben Wirtschaft wie Gesellschaft ruiniere sowie durch Spekulationen zahllose Familien ins Elend stürze. Glagau schwadronierte von den miteinander verschworenen Juden, die einen Börsenkrach billigend in Kauf nehmen, da „der Jude“ am Elend verdiene, während „der schaffende Mensch“ leide.

      Die eigentlichen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Verhältnisse gerieten so völlig aus dem Blickfeld, für ein komplexes Wirtschaftsgeschehen, welches der Einzelne nicht mehr zu durchschauen vermochte und dem er sich hilflos ausgeliefert fühlte, bot Glagau einfache Erklärungen an und nannte zugleich den vermeintlich Schuldigen. Der „Börsenjude“ war schlicht der „Börsenschwindler“ und dieser trug die Hauptschuld an der Krise des Jahres 1873, so die Botschaft Glagaus in einer turbulenten Zeit, die nach einfachen Antworten nur so verlangte. In für jedermann verständlichen Worten hetzte Glagau:

      »Das Judenthum ist das angewandte, bis zum Extrem durchgeführte Manchesterthum. Es kennt nur noch den Handel, und davon auch nur den Schacher und Wucher. Es arbeitet nicht selber, sondern lässt Andere für sich arbeiten, es handelt und speculirt mit den Arbeits- und Geistesproducten Anderer. Sein Centrum ist die Börse […]. Das Judenthum gedeiht am besten bei Krieg, Misswachs, Seuchen und anderen Calamitäten, sowie in armen Ländern. Es hält, selbst noch bei gesegneten Ernten, die Preise hoch, es vertheuert durch Speculation und Zwischenhandel alle Waren und Lebensmittel. Das Judenthum treibt beständig, in den verschiedensten Formen, Gründerei und Jobberei. Als ein fremder Stamm steht es dem Deutschen Volke gegenüber und saugt ihm das Mark aus. Die sociale Frage ist wesentlich Judenfrage, alles Uebrige ist Schwindel!« (Glagau 1878: 71)

      Das Narrativ vom „mächtigen Juden“ bildete bei Glagau in Verbindung mit dem Schüren von Sozialneid ein zentrales Motiv. Die Juden, so heißt

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