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Rassisten. Die vierzehn Wörter lauten auf Englisch: »We must secure the existence of our people and a future for White children.« Als Erfinder der „14 Wörter“, die der rechten Szene auch als Zahlencode dienen, gilt der US-amerikanische Rechtsextremist David Eden Lane (1938–2007), der an der Ermordung des jüdischen Radiomoderators Alan Berg (1934–1984) im Juni 1984 beteiligt war. Der liberal gesinnte Berg, den die rechtsextreme Szene hasste, wurde von der neonazistischen Terrorgruppe „The Order“ vor seinem Haus erschossen. Die Terrororganisation „The Order“, der Lane angehörte, teilte die Ideologie der White Supremacy-Bewegung, raubte Banken sowie Geldtransporter aus und verübte einen Bombenanschlag auf eine Synagoge. „The Order“ erstellte Todeslisten, auf denen auch Berg stand. Gründungsmitglieder von „The Order“ wie Lane, der im Alter von 68 Jahren in einem US-amerikanischen Staatsgefängnis im Jahr 2007 starb, werden bis heute von der White-Power-Bewegung als Helden verehrt. Lane, der 1981 der „Aryan Nations“ beitrat, machte 1983 das politische Schlagwort von den USA als „Zionist Occupied Government“ (ZOG) in rechtsextremen Kreisen populär. ZOG-Graffitis sind bis heute an US-amerikanischen Garagen- wie Häuserwänden zu erblicken. Die Erzählstruktur der zugrundeliegenden antisemitischen Pamphlete ist dabei stets die gleiche geblieben. In verschwörungstheoretischer Manier wird die Behauptung von einer angeblich von Juden kontrollierten US-amerikanischen Regierung aufgestellt, ist von einer jüdischen Weltverschwörung die Rede, welche die Absicht verfolge, ein Waffenverbot in den USA durchzusetzen, um „Weiße“ wehrlos zu machen und um so den „Tod der weißen Rasse“ zu bewirken. Terrorismus erscheint auf diese Weise als adäquates Gegenmittel, als legitimer Akt der Notwehr, um die USA von ihrer „jüdischen Regierung“ zu befreien und den Sieg der „arischen Rasse“ einzuleiten, die in den „14 Words“ als »our people« bezeichnet wird. Zwar sei die „weiße Rasse“ allen anderen überlegen, befände sich indes in einem Überlebenskampf gegen die „Rasse“ der Juden, welche die „Rasse“ der Schwarzen und der Latinos instrumentalisiere, um die Weißen von ihrem angestammten Platz („White Supremacy“) zu vertreiben und zu vernichten.

      Offensichtliches Vorbild für den Attentäter auf die Synagoge von Halle war der Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (15. März 2019) gut ein halbes Jahr zuvor. Der Australier Brenton Tarrant, welcher der Tat bezichtigt wird, veröffentlichte gleichfalls ein Manifest im Internet und versah sein Pamphlet mit dem Titel The Great Replacement. Tarrant und Balliet wie auch der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik teilen den Verschwörungsmythos vom „Großen Austausch“, der ein zentrales Schlüsseltheorem der neuen Rechten darstellt und sich in ausgeprägter Weise ebenso in Reden des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán (vgl. Kap. 4.4) findet. Der verschwörungstheoretische Mythos vom „Bevölkerungsaustausch“ unterstellt die Existenz eines geheimen Plans, um in den USA sowie in Europa die weiße Mehrheitsbevölkerung gegen nichtweiße, migrantische Einwanderer auszutauschen. Das rassifizierende Konstrukt vom vermeintlich „mächtigen Juden“ sowie die Langlebigkeit der gefälschten Protokolle der Weisen von Zion (vgl. Kap. 1.9) machen sich in diesem Kontext dahingehend bemerkbar, dass zumeist „die Juden“ für den bevölkerungspolitischen Geheimplan des „Großen Austausches“ als Urheber ausfindig gemacht werden. Bei Victor Orbán ist dies der in Ungarn geborene US-amerikanische Philanthrop George Soros. „Die Juden“, welche angeblich „die Globalisierung“ und „die Wirtschaft“ steuerten sowie den Gedanken des Multikulturalismus propagierten, verfolgten mittels ihres Einflusses auf Parteien, die Europäische Union sowie die Vereinten Nationen unerbittlich das Konzept des „großen Genozids“, welches den Untergang von „White America“, „White Europe“ sowie der „White People“ intendiere. Ideologische Bezüge zum dt. Nationalsozialismus sowie zu „rassentheoretischen“ Werken eines Madison Grant (1865–1937) und dessen Hauptwerk The Passing of the Great Race (1916) – von Adolf Hitler als »seine Bibel« bezeichnet – sowie zu Lothrop Stoddard (1883–1950) und dessen Standardwerk The Rising Tide of Color Against White World-Supremacy (1920) sind unübersehbar und offenbaren die lange Tradition rechtsextremistischen Gedankenguts. Nicht zuletzt das Attentat von Halle verdeutlicht den Sachverhalt, dass der „klassische Antisemitismus“ nach 1945 nie verschwunden war und diesbezügliche Annahmen sich nunmehr als reine Illusion erweisen.

      Wie stark der Attentäter von Halle judenfeindliches US-amerikanisches Gedankengut adaptierte, wird auch daran ersichtlich, dass er sich englischsprachiger Termini bediente, die hierzulande eher unbekannt sind, indes auf neonazistischen Seiten im Internet Verwendung finden. So benutzte er in seinem Hasspamphlet an mehreren Stellen für Juden den Terminus „Kikes“, ein Wort, das in den USA zu Beginn des 20. Jh.s als diffamierender Begriff für Juden aufkam und vermutlich auf der Insel Ellis Island entstand, die als Sitz der Einreisebehörde sowie als zentrale Sammelstelle für Einwanderer in die USA diente. Jüdische Einwanderer, die Analphabeten oder der lateinischen Buchstaben nicht mächtig waren, sollen sich dort geweigert haben, Formulare mit dem üblichen „X“ zu zeichnen, weil sie dies für ein christliches Kreuz hielten, und stattdessen mit einem Kreis signiert haben, sodass das jiddische Wort „kikel“ für Kreis in diskriminierender Absicht für Juden benutzt wurde. Vermutlich handelt es sich bei dieser Erklärung indes eher um eine antisemitische Legende im Kontext christlicher Judenfeindschaft als um eine ernsthafte Klärung der Herkunft des Wortes. Etymologisch wahrscheinlicher dürfte es sein, dass der Terminus benutzt wurde, um im Sinne eines rassistischen Rankings deutsche Juden von osteuropäischen Juden zu unterscheiden und letztere mit dem Terminus als „das Allerletzte“ zu kennzeichnen, wobei man hierfür an die bei osteuropäischen Namen geläufige Endung -ki bzw. -ky anknüpfte. Unabhängig von der ungesicherten etymologischen Herkunft des Wortes, benutzt der Attentäter von Halle den Terminus, um deutlich zu machen, dass Juden für ihn Nicht-Deutsche sind, Einwanderer, die hier nicht hingehören, ungebildete Menschen, um sich so seiner „eigenen Höherwertigkeit“ als „weißer Mann“ im Kontext der Verarbeitung eigener Minderwertigkeitskomplexe zu vergewissern.

      Seine Tat streamte der Attentäter von Halle; der Massenmord sollte in Echtzeit im Internet zu sehen sein. »Hello my name is anon [gemeint ist anonymous, d. Verf.], and I think the holocaust never happened.« Antisemitische Verschwörungstheorien mischen sich so mit Holocaustleugnung, antimigrantischem Rassismus sowie dem seit Friedrich Hollaenders Couplet »An Allem sind die Juden schuld« bekannten Wahn, im Juden den Schuldigen an einfach allem zu erblicken, an gesellschaftlichen Umbrüchen, prekären sozialen Lagen ebenso wie an rein privaten Problemen. Nur durch ein Wunder gelang es dem Angreifer nicht, die Tür der Synagoge aufzuschießen bzw. aufzusprengen. Wie ernst es ihm bei seinen Mordabsichten indes war, wird nicht zuletzt daran ersichtlich, wie kaltblütig er zwei unbeteiligte Personen aus purer Wut, da er nicht in die Synagoge gelangte, erschoss, um seinen Blutrausch ersatzweise zu befriedigen.

      Unverzüglich nach der Tat wird vom »Täter aus dem Nichts« gesprochen, von »nichtvorhersehbar«, es sei schwer für die Polizei, einen solchen »Einzelgänger«, der sich einzig und allein im Netz radikalisiert habe, auf dem Schirm zu haben. Die Tat wird deklariert als eine, die von ungefähr gekommen sei. In Maybrit Illners Talkshow Anschlag in Halle – tödlicher Judenhass in Deutschland vom 10. Oktober 2019 bemühte sich Rainer Erich Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, nach Kräften darum, das Attentat von Halle zu externalisieren. Als Ursachen machte er die Gamer-Szene aus sowie das Darknet, mit dem der „gute Bürger“ nicht in Verbindung zu bringen sei. Die Tat kommt auf diese Weise nicht mehr aus der Mitte der Gesellschaft – in der Antisemitismus sowie weitere Varianten des Rassismus beängstigend angestiegen sind, was Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, noch unmittelbar vor Halle bestätigte –, sondern aus dem „Dunklen Netz“, dem „Ort des Bösen“. Statt sich dem gesellschaftlichen Problem Antisemitismus zu stellen, wird nach Halle eine Nach-Außen-Verlagerung, eine Abwälzung auf das Internet betrieben, so als wenn dieses nicht Teil unserer Gesellschaft wäre. Die Tat kommt indes alles andere als von ungefähr.

      Zu klären ist nicht zuletzt, warum das Anwachsen des Antisemitismus in den letzten Jahren derart unterschätzt wurde. Zu konstatieren ist, dass das Geschwafel vom „vergessen sie den guten, alten Antisemitismus“, da dieser angeblich tot und unbedeutend geworden sei, eine höchstgefährliche, naive Einschätzung war, die davon abgelenkt hat, dass

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