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Zerstörung Frankreichs die Aufpfropfung eines fremden Körpers in den bis dahin gesunden Organismus spielte«. Drumonts diesbezügliche Methode bestand wie bei Glagau darin, jüdische Personen dezidiert zu markieren und so den Eindruck zu erwecken, Handel und Börse seien vom Judentum »unterwandert«. Im Fall der katholischen Bank „Union générale“ griff Drumont den Sachverhalt auf, dass es sich bei ihrem Gründer um einen ehemaligen Angestellten Rothschilds handelte, bei der „Compagnie de Panama“ reichte ihm bereits der Sachverhalt, dass auch jüdische Geschäftsleute im Skandal verwickelt waren. Bezüglich der Presse vermerkte er:

      »Da nun in Frankreich fast alle Zeitungen und Organe der öffentlichen Meinung in den Händen der Juden sind, oder doch indirekt von ihnen abhängen, so ist es vollständig erklärlich, daß die Bedeutung und die Tragweite dieser ungeheuren antisemitischen Bewegung, wie sie sich jetzt allerorten gestaltet, todtgeschwiegen wird.« (Drumont 1890: VIII)

      Die Dreyfus-Affäre kam Drumont insofern wie gerufen, als er sich durch den Fall des jüdischen Offiziers eine Auflagenstärkung seiner Zeitung erhoffte, die er zum Sprachrohr der Antidreyfusards machte und dergestalt mit einer neuerlichen Verschwörungstheorie aufwarten konnte. Nachdem die Juden bereits die Börse und den Handel unter ihre Kontrolle gebracht hätten, so ließ Drumont verlauten, beabsichtigten sie nunmehr das frz. Militär zu unterwandern. Der „Fall Dreyfus“ belege, dass die Juden nicht davor zurückschreckten, Frankreich an den dt. Feind auszuliefern. „Der Jude“ als „Feind im Inneren“ wurde so zugleich zum außenpolitischen Gegner konstruiert. In einer Zeit, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 bedingt durch die Gebietsverluste von Elsass und Lothringen sowie durch auferlegte Reparationen in Höhe von fünf Milliarden Franc von Hass wie tiefem Misstrauen gegenüber Deutschland geprägt war, verschmolzen „Jude“ und „Deutscher“ nahezu zu einem Synonym. Spionage und Verrat bildeten höchst aufgeladene Themen und wurden von nationalistischen Politikern und Journalisten wie Drumont antisemitisch aufgeladen.

      Zu Beginn waren es nur wenige Personen, die von der Unschuld des frz. Artillerieoffiziers überzeugt waren. Unterstützung erhielt Dreyfus anfänglich nur aus dem engsten Kreis der Familienangehörigen. Immer mehr Ungereimtheiten gelangten indes ans Licht der frz. Öffentlichkeit. Erst der am 13. Januar 1898 in der Tageszeitung L’Aurore veröffentlichte offene Brief des Schriftstellers Émile Zola (1840–1902) mit dem Titel J’Accuse …! leitete jedoch die entscheidende Wende im Fall Dreyfus ein. Zola griff in seinem Artikel die frz. Generalität wegen Vertuschung, Beweisfälschung sowie Rechtsbeugung an und sprach mit deutlichen Worten vom Antisemitismus der Generäle sowie der Journalisten der »Schmutzpresse«. Zwar führte Zolas Brief zunächst zu dessen Verurteilung wegen „Verleumdung“, doch aus dem „Fall Dreyfus“ war längst ein Kampf um die weitere politische Ausrichtung der Republik geworden, der die frz. Gesellschaft in zwei Lager spaltete. Erst bei den frz. Parlamentswahlen gelang es dem republikanischen Block, sich gegen die monarchistisch-klerikalen Kräfte durchzusetzen. Nach erfolgter Begnadigung wurde Dreyfus im Jahr 1906 endgültig freigesprochen. Die Resonanz von Drumont auch in intellektuellen Kreisen verdeutlicht ein privater Brief Jacob Burckhardts, in dem es heißt:

      »Bode erzählte mir, einer der Pariser Rothshilds habe für Tizians Amor sacro e profano 6 Millionen geboten. Auf diese Kunde habe ich wieder ein paar Bände Drumont vorgenommen.« (Burckhardt 1934: 90)

      Auch nach Beendigung der Dreyfus-Affäre, die maßgeblich zur Entwicklung einer laizistischen Verfassung in Frankreich beitrug, blieb Drumont sowohl diesseits wie jenseits des Rheins einer der meistgelesenen antisemitischen Autoren.

       1.6„Die Linke“ und „die Juden“

      Am 27. Oktober 1893 hielt August Bebel auf dem Kölner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei ein Grundsatzreferat, welches das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Antisemitismus klären sollte. Seit drei Jahren war das Sozialistengesetz, das zwischen 1878 und 1890 galt und sozialdemokratische bzw. sozialistische Vereine, Versammlungen und Schriften verbot, nicht mehr in Kraft. Am 15. Juni 1893 war der Reichstag gewählt worden und der vom Sozialistengesetz befreiten Sozialdemokratischen Partei war es gelungen, 23,3% der Stimmen zu erzielen, womit sie einen Stimmengewinn verbuchen konnte und nach Stimmenanteil stärkste Partei war. Zulegen konnten auch die antisemitischen Parteien, die zwar nur auf 3,7% der Stimmen kamen, was einem Plus von 2,7% entsprach, doch mit 16 Abgeordneten (SPD: 44) alles andere als unbedeutend waren, zumal der Antisemitismus keineswegs auf die Antisemitenparteien beschränkt war, so vertrat etwa auch die Deutschkonservative Partei (DKP) antisemitische Positionen. Die DKP hatte bereits bei früheren Reichstagswahlen auf antisemitische Ressentiments gesetzt und stellte im Jahr 1893 mit 72 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Als sich gegen Ende der 1880er-Jahre im dt. Kaiserreich eine zweite Welle des Antisemitismus abzeichnete, reagierten auf diese Entwicklung liberal- und humangesinnte Personen, die 1890 den „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ gründeten.

      Auch die deutsche Sozialdemokratie erkannte nunmehr die Bedeutung des Antisemitismus, sodass im Vorfeld des Kölner Parteitags der Parteivorstand den Punkt „Antisemitismus und Sozialdemokratie“ auf die Tagesordnung setzte. Das von August Bebel gehaltene Grundsatzreferat stellte die erste offizielle Beschäftigung der Sozialdemokraten mit der Thematik dar und lässt sich als konfuser Mix aus antirassistischen, antisemitischen wie philosemitischen Positionen bezeichnen, der die Relevanz des Antisemitismus gründlich unterschätzte. Der Vortrag Bebels dürfte zur Klärung der Thematik kaum etwas beigetragen haben, zumal eine Debatte über das Referat per Abstimmung verhindert wurde, was weniger dem Zeitregime des Parteitags als vielmehr der Befürchtung geschuldet war, die Diskussion könne höchst unterschiedliche Positionen offenbaren. Bebel definierte Antisemitismus als »Feindschaft gegen die Juden mit dem Ziel ihrer Vernichtung oder wenigstens ihrer Vertreibung«, die eine »mehr als anderthalbtausend Jahre« alte Erscheinung sei. Der aktuelle Judenhass müsse ernst genommen werden, da er »Widerhall in den Massen« finde, und sei auf seine Ursachen hin zu untersuchen. Die Problematik der Ausführungen des Parteivorsitzenden tritt spätestens bei der affirmativen Übernahme des um 1890 allgegenwärtigen Rassebegriffs zutage:

      »Dazu kommt die Abneigung, die zwischen Menschen verschiedener Rasse, namentlich bei Menschen auf niedriger Kulturstufe, allgemein vorhanden ist. Und eine Verschiedenheit der Rasse besteht zwischen den Juden und der übrigen Bevölkerung. Wir sehen ja, wie noch heute der Nationalhass, der milder als der Rassenhass ist, von der Bourgeoisie geschürt, tief eingewurzelt ist, da begreift sich umso leichter das Vorhandensein des Rassenhasses. Es handelt sich eben um zwei in ihrem Charakter und ihrem ganzen Wesen grundverschiedene Rassen, deren Grundverschiedenheit durch 2.000 Jahre hindurch bis heute aufrechterhalten worden ist. Hat denn gar der unter einem anderen Volke lebende Jude das Malheur, durch sein Äußeres aufzufallen, so dass man ihm gewissermaßen schon an der Nase ansieht, dass er ein Jude ist (Heiterkeit), also im bösen Sinne des Wortes als ein Gekennzeichneter angesehen wird, so begünstigt dies noch die Rassenfeindschaft.« (Parteitagsprotokoll des Kölner SPD-Parteitags von 1893, S. 226/227)

      Wie die völkische Rechte, so definiert auch Bebel die Juden als biologische „Rasse“, was durch den Tatbestand der sich anschließenden rassifizierenden Physiognomisierung (»Judennase«) noch verstärkt wird, die rassistische Lacher (»Heiterkeit«) erzeugte. Die Imagination Bebels von zwei antagonistischen Rassen, deren Eigenschaften unveränderbar seien, da sie in ihrem Wesen ruhten, sowie von den Juden als kulturell niedrigstehender „Rasse“ könnte durchaus auch der Rede eines völkischen Politikers entstammen. Rassistische Lacher des Parteitags vermerkt das Protokoll ebenso bei der folgenden philosemitisch gehaltenen Passage:

      »Ich gestehe, ich kann eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken für eine Rasse, die trotz all dieser furchtbaren Verfolgungen sich dennoch in ihrer Art weiter entwickelt und selbständig erhalten hat; eine Erscheinung, die außer bei den Juden nur noch bei einem Volke in der Geschichte, den Zigeunern, sich zeigte (Heiterkeit).« (Parteitagsprotokoll des Kölner SPD-Parteitags von 1893, S. 227)

      Nachdem Bebel die jahrhundertewährende Entrechtung der Juden geschildert sowie die Aufhebung der staatsbürgerlichen Beschränkungen für die Juden begrüßt hat, charakterisiert er die antisemitische Bewegung als Reflex auf die ökonomische Krise

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