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habe längst […] Haarsträubendes über die Wucherjuden […] gehört. […] Es handelt sich übrigens nicht allein um den Geld- und Kreditwucher, sondern auch um den Viehwucher, den Grundstückswucher, den Warenwucher. Die Praktiken der Wucherer sind überall dieselben […]. Erkunde oder beobachte man doch, wieviel Prozent dieser Wucherer Juden sind! […] Es gehört ein Herz von der Härte einer Krokodilhaut dazu, um mit den armen, ausgesogenen Deutschen nicht Mitleid zu empfinden, und – was dasselbe ist – um die Juden nicht zu hassen, um diejenigen nicht zu hassen und zu verachten, die – aus Humanität! – diesen Juden das Wort reden, oder die zu feige sind, dies wuchernde Ungeziefer zu zertreten. Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.« (Lagarde 1924: 209)

      Neben überkommenen Motiven des Judenhasses treten hier im Kontext dehumanisierender Pathologisierung der Juden (»Trichinen«, »Bazillen«) die Tötungsfantasien des Autors offen zu Tage. Der manichäistische Antagonismus zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, zwischen Ordnung und Chaos wird bei Lagarde durch die endgültige Trennung per Vernichtung der Juden gelöst. Binäre Konstrukte, die einen strikten Antagonismus zugrunde legen, gibt es zwar auch bei anderen Spielarten des Rassismus, der Manichäismus besitzt indes in seiner Heilserwartung eine weltweite Dimension, insofern er eine „globale Welterlösung“ propagiert. Dergestalt betrachtet offenbart das Wannsee-Protokoll den manichäistischen Charakter der ideologischen Seite des Antisemitismus, insofern es den spätimperialistischen Weltherrschaftsanspruch des dt. Nationalsozialismus enthüllt, der den finalen Kampf gegen die Finsternis global dimensioniert und einfach alle Juden zu töten beabsichtigt. Das Gerede vom „Weltjudentum“, das die „arische Rasse“ auf dem Weg zur „jüdischen Weltherrschaft“ vernichten wolle, stellt dergestalt betrachtet lediglich eine inversive Projektion der manichäistischen Seite des Antisemitismus auf das Opfer dar.

       1.5Die Dreyfus-Affäre in Frankreich

      Es war das Jahr 1886 als der frz. Journalist Édouard Drumont sein Werk La France Juive veröffentlichte. Bereits nach wenigen Wochen wurden über 100 000 Stück verkauft. Noch im selben Jahr erschien eine dt. Ausgabe mit dem Titel Das verjudete Frankreich. Drumonts eklektizistische Mischung aus christlichem und anthropologischbiologistischem Antisemitismus prägte maßgeblich den frz. wie den dt. antisemitischen Diskurs. Kaum ein anderes judenfeindliches Werk erreichte über 200 Auflagen, wie dies für La France Juive im Jahr 1945 galt. Der rassenbiologische Manichäismus Drumonts wird deutlich, wenn es gleich zu Beginn heißt:

      »Vom Anbeginn der Geschichte waren die Arier im Kampf mit den Semiten. Troja war eine ganz semitische Stadt, der Zweikampf der beiden Menschenrassen hat im trojanischen Krieg einen eigentümlichen Widerhall gefunden. Dieser Zwist hat sich durch alle Jahrhunderte fortgesetzt, fast immer haben die Semiten ihn begonnen, um dann darin zu unterliegen. Der Semiten höchster Wunsch, sozusagen ihre fixe Idee, war und bleibt die Rasse der Arier zu Sklaven und zu Leibeigenen zu machen. Sie haben versucht diesen Zweck durch Kriege zu erreichen, [es ist] mit Schärfe und Klarheit nachgewiesen, wie charakteristisch für dieses Volk dies stete gewaltsame Drängen ist, durch das sie bestrebt waren, die Weltherrschaft zu erreichen.« (Drumont 1886: 4/5)

      „Arier“ und „Semiten“ sind durch ihre biologisch immanenten Charakteristika für Drumont zum steten Kampf gegeneinander bestimmt. Zwar ist das Werk noch vom christlich geprägten „Gottesmord-Vorwurf“ geprägt, doch dieser erfährt beim katholischen Monarchisten eine weitgehend säkulare Wendung. Drumont imaginierte den Juden als politischen Attentäter, der u. a. für den Tod Karls des Großen die Verantwortung trägt. Der Jude verkörperte für ihn das politische Gegenteil der herbeigesehnten Wiedereinführung der Monarchie. Der Jude ist der Demokrat, der „Revoluzzer“, der Unruhestifter mit gesellschaftlich zersetzender Wirkung. Sein zweibändiges Werk La France Juive verwandelte den Antisemitismus endgültig von einem Ressentiment in eine Ideologie, in ein Welterklärungsmodell, das mit dem Anspruch auftrat, den historischen Prozess, politische Ereignisse wie wirtschaftliche Krisen kausal zu deuten. Neben dem manichäistischen Konstrukt besteht der in Deutschland stark rezipierte ideologische Kerngehalt Drumonts in der Verschwörungstheorie, die Juden in Zusammenarbeit mit Freimaurern und Jakobinern bezichtigt, die politische Herrschaft über Frankreich anzustreben, hierfür bereits vielfältige Netzwerke gebildet wie die Presse und die frz. Öffentlichkeit unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Die im dt. Nationalsozialismus ausgeprägte antisemitische Pathologisierung findet sich auch bei Drumont, der »Gelbsucht« wie »Anämie« als von Juden eingeschleppte Krankheiten bezeichnet. Die „Semiten“ verfolgten den Plan, den „arischen Körper“ medizinisch zu schwächen, um auf diese Weise ihre Herrschaftsziele zu erreichen.

      Seine schriftstellerische Tätigkeit verband Drumont mit seiner Rolle als politischer Agitator. Er trat maßgeblich bei der Dreyfus-Affäre auf der Seite der Antidreyfusards in Erscheinung, die er mit diversen Ausgaben seiner im Jahr 1892 gegründeten antisemitischen Zeitung La Libre Parole tatkräftig unterstützte. Zu einer der bekanntesten Karikaturen auf der Titelseite der Zeitung gehört die Abbildung einer zum Juden konstruierten Person, die mit greifvogelähnlichen Füßen und klauenähnlichen Händen die Erdkugel umklammert. Die Karikatur ist mit dem Text »Ihr Vaterland« versehen. Einen solchen vaterlandslosen Gesellen wie Verräter wollte Drumont im frz. Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus (1859–1935) ausgemacht haben, den am 22. Dezember 1894 ein Kriegsgericht in Paris des Landesverrats für schuldig befand. Der in Karikaturen als »Verräter« titulierte sowie als drachenförmiges Ungeheuer mit medusenförmigem Kopf dargestellte Dreyfus wurde bezichtigt, geheime Informationen über die frz. Artillerie dem dt. Militär ausgeliefert oder die Tat zumindest geplant zu haben. Im Januar 1895 wurde Dreyfus nach militärischer Degradierung auf die berüchtigte Teufelsinsel verbannt. Obwohl bereits im Sommer 1896 die Haltlosigkeit der Anschuldigungen zutage trat, hielten die Antidreyfusards an der Verurteilung des jüdischen Offiziers fest, was zunehmend zur innenpolitischen Spaltung Frankreichs führte. Hintergrund der Blockadepolitik des von den Dreyfusards angestrebten Revisionsverfahrens bildete die Angst vor einer Blamage der Generalität und der frz. Regierung ebenso wie die in Frankreich erstarkte Judenfeindschaft. Der Antisemitismus hatte durch Drumont kräftig Aufwind erhalten, sodass sich im Jahr 1898 die antisemitische und rechtsextreme Gruppierung „Action française“ bildete, die Dreyfus als Heuchler im Sinne der Verschwörungstheorien Drumonts betrachtete. In Frankreich war das „Fin de Siècle“ von einer antisemitischen Stimmung geprägt, welche die bürgerliche Gleichstellung der Juden rückgängig zu machen gedachte. Für die monarchistisch-nationalistische Gruppierung „Action française“ bildeten die Juden typische Vertreter der verhassten Französischen Revolution, die als Verschwörung von Juden, Freimaurern und ausländischen Mächten betrachtet wurde.

      Hintergrund der Dreyfus-Affäre bildeten nicht zuletzt die ökonomischen Krisenprozesse in den 1880er-Jahren in Frankreich. Dem Pariser Börsenkrach von 1882 folgte der Zusammenbruch der „Bank Union Générale“, den Émile Zola zum Gegenstand seines im Jahr 1890 erschienenen Romans Das Geld machte. Der Bankrott der katholischen Bank bedeutete vor allem den Ruin kleinerer Sparer. Obwohl für das Missmanagement der Bank allein der Gründer sowie die Leiter der Bank die Schuld trugen, machte die katholische Presse den Bankier Rothschild verantwortlich und sprach vom »jüdischen Kapital«, welches sich gegen das »katholische Kapital« verschworen habe. Im Jahr 1889 musste die zur Finanzierung des Panamakanals gegründete „Compagnie de Panama“ Konkurs anmelden. Obwohl sich die unvermeidliche Pleite bereits deutlich abzeichnete, beteiligte sich die frz. Politik an einem dubiosen Rettungsversuch mittels einer Lotterie und verschwieg der Öffentlichkeit das drohende Ausmaß der Verluste für die Aktionäre. Große Teile der Bevölkerung verloren ihr Vertrauen in Wirtschaft und Politik, sodass Verschwörungstheorien um sich griffen.

      Drumont bediente mit seinem Werk La France juive die wachsende Aufnahmebereitschaft für einfache Erklärungsansätze und nutzte die zahlreichen Neuauflagen seines Buchs sowie seine Zeitung La Libre Parole, um seine Verschwörungstheorien zu erweitern, indem er jeweils das aktuelle Tagesgeschehen einarbeitete. Stets blieben für Drumont die Drahtzieher des Übels „die Juden“, die aus seiner Sichtweise in trauter Eintracht

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