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der Etappe. Er ist sechzig Jahre alt, er hat Frau und Kinder in Bukarest, und sie schämen sich seiner – sie wissen gar nicht, wo er sich befindet. Nun, glaubt er, wäre es an der Zeit, an der Rehabilitierung zu arbeiten, fünfzehn Jahre sind seit jener unglücklichen Geschichte vergangen, es wäre wohl an der Zeit heimzukehren, nachzusehen, was Frau und Kinder treiben, ob sie leben, ob der Sohn Offizier geworden, trotz des väterlichen Unglücks. Er ist ein merkwürdiger Mensch, er will die Charge seines Sohnes wissen – und hat so viele Sorgen. Er lebt von kleinen Winkelschreibereien. Ein Jude kommt manchmal zu ihm und läßt sich ein Gesuch an die Behörde aufsetzen, eine Befreiung von der Erbschaftssteuer zum Beispiel.

      Seine Koffer sind längst von Ignatz gepfändet, er ißt geröstete Kartoffeln zu Mittag, aber er will wissen, ob sein Sohn Offizier ist.

      Vor einem Jahr war er schon bei Bloomfield, ohne Erfolg.

      Er braucht eine hohe Summe, um zu seinem Recht zu kommen. Er blieb hartnäckig dabei, daß er im Recht war.

      Er fraß sich in seine Bitterkeit hinein. Heute noch bat er schüchtern, morgen würde er fluchen, und in einem Jahr hatte ihn der Wahnsinn ergriffen.

      Ich kenne Taddeus Montag, Zwonimirs Freund, den Schildermaler, der eigentlich ein Karikaturist ist. Er ist mein Nachbar, Zimmer 705. Nun bin ich schon ein paar Wochen hier, und neben mir hungerte Taddeus Montag, und niemals schrie er. Die Menschen sind stumm, stummer als die Fische, früher einmal riefen sie noch, wenn ihnen etwas weh tat, aber im Laufe der Zeit gewöhnten sie sich das Rufen ab.

      Taddeus Montag ist ein Todeskandidat, dünn, blaß und groß steigt er sachte herum, seinen Schritt hört man nicht einmal auf den nackten Steinfliesen des sechsten Stockwerks. Er geht auf zerrissenen Sohlen allerdings, aber selbst die weichen Pantoffeln Hirsch Fischs werden auf diesen Steinfliesen hörbar. Taddeus Montag aber hat schon die lautlosen Schattensohlen eines Seligen. Er kommt schweigend, wie ein Stummer steht er an der Tür und zerreißt das Herz mit seiner Stummheit.

      Er kann nichts dafür, Taddeus Montag, daß er kein Geld verdient. Er zeichnete die Karikatur des Planeten Mars oder den Mond oder längst verstorbene Griechen-Helden. Agamemnon war auf seinen Bildern zu finden, wie er Klytämnestra betrügt – im Felde, mit einem rundlichen trojanischen Mädchen. Auf einem Hügel stand Klytämnestra und sah durch ein riesiges Opernglas die Schande ihres Mannes.

      Ich entsinne mich, daß Taddeus Montag die ganze Geschichte von den Pharaonen bis zur Gegenwart grotesk verdrehte. Montag reichte seine verrückten Blätter so selbstverständlich herüber, als zeigte er Hosenknöpfe zur Auswahl. Einmal zeichnete Taddeus Montag ein Schild für einen Tischlermeister. Er zeichnete einen überdimensionalen Hobel in die Mitte, daneben auf einem großen Holzgerüst einen Mann mit einem Zwicker auf der Nase, der einen kleinen Bleistift an dem riesigen Hobel spitzte.

      Und dieses Schild lieferte er sogar ab. –

      Es kamen wunderbare Lügner, der Mann mit dem Glasauge, der ein Kino gründen wollte. Nun war die Ausfuhr deutscher Filme sehr schwierig, das wußte Bloomfield – und ließ sich auf die Sache gar nicht ein.

      In dieser Stadt fehlt nichts so sehr wie ein Kinotheater. Es ist eine graue Stadt mit viel Regen und trüben Tagen, die Arbeiter streiken. Man hat Zeit. Die halbe Stadt würde tagsüber und eine halbe Nacht im Kino sitzen.

      Der Mann mit dem Glasauge heißt Erich Köhler und ist ein kleiner Regisseur aus München. Er stammt aus Wien, so erzählt er, aber mich kann er nicht täuschen, mich, der ich die Leopoldstadt kenne. Erich Köhler stammt, es ist kein Zweifel, aus Czernowitz, und das Auge hat er nicht im Krieg verloren. Das hätte schon ein viel größerer Weltkrieg sein müssen.

      Er ist ein ungebildeter Mensch, er verwechselt Fremdwörter, er ist ein schlimmer Mensch – er lügt nicht aus Freude an der Lüge, sondern er verkauft seine Seele um schäbigen Gewinn.

      »In München habe ich die Kammerlichtspiele eröffnet, mit einer Ansprache an die Presse und die versammelten Behörden. Es war im letzten Kriegsjahr, wenn die Revolution nicht gekommen wäre – Sie wüßten heute besser, wer Erich Köhler ist.«

      Und eine Viertelstunde später erzählt er von intimen Freundschaften mit russischen Revolutionären.

      Er war eine Größe, der Erich Köhler.

      Der andere Herr, der Jüngling mit den französischen Stiefeln, ein Elsässer, versprach Gaumontfilme und gründete wirklich ein Kino. Bloomfield hatte keine Lust, den Leuten seiner Heimatstadt Vergnügungen zu verschaffen. Aber der französische Jüngling kaufte einen Milchladen von Fränkel, dessen Geschäft schlechtging, und druckte Plakate und verkündete Amüsement für Jahrzehnte.

      Nein, es war nicht leicht, von Bloomfield Geld zu bekommen.

      Ich war mit Abel Glanz in der Bar, da saß die alte Gesellschaft. Glanz erzählte mir im Vertrauen – Glanz erzählte alles im Vertrauen –, daß Neuner kein Geld bekommen hatte und daß Bloomfield überhaupt kein geschäftliches Interesse an dieser Gegend mehr hatte. In einem Jahr verzehnfachte sich sein Vermögen in Amerika – was ging ihn die schlechte Valuta an?

      Bloomfield hatte viele enttäuscht. Die Leute wurden ihre Devisen nicht los, das Geschäft ging genauso weiter, als wäre Bloomfield aus Amerika gar nicht gekommen. Dennoch verstand ich nicht, weshalb jetzt plötzlich die Fabrikanten mit ihren Frauen auf den Plan traten und mit den Töchtern.

      Es änderte sich nämlich inzwischen vieles in der Gesellschaft des Fünf-Uhr-Saals.

      Vor allem hat Kaleguropulos Musik bestellt, eine fünf Mann starke Kapelle, sie spielt Walzer wie Märsche, das Temperament geht mit ihnen durch. Fünf russische Juden spielen jeden Abend Operetten. Und der Primgeiger hat gekräuseltes Haar für die Damen.

      Nie waren Damen zu sehen gewesen.

      Jetzt hatte Fabrikant Neuner Frau und Tochter, Kanner war Witwer mit zwei Töchtern, Siegmund Fink hatte eine junge Frau, und dann kam noch Phöbus Böhlaug, mein Onkel, mit seiner Tochter.

      Phöbus Böhlaug begrüßt mich mit herzlichen Vorwürfen. Ich hätte ihn besuchen müssen.

      »Ich habe jetzt keine Zeit«, sage ich.

      »Du brauchst kein Geld mehr«, antwortet Phöbus.

      »Sie haben mir nie etwas gegeben –«

      »Nichts für ungut«, flötet mein Onkel Phöbus.

      XXII

       Inhaltsverzeichnis

      Ich verstand nicht, wozu Henry Bloomfield eigentlich gekommen war. Nur um die Musik spielen zu lassen? Damit die Damen kämen?

      Eines Tages tauchte Zlotogor, Xaver Zlotogor, der Magnetiseur, im Fünf-Uhr-Saal auf. Er hatte sein schelmisches Judenjungengesicht aufgesetzt, er ging zwischen den Tischen herum und begrüßte die Damen, und sie nickten ihm alle freundlich zu und baten ihn, Platz zu nehmen. Er mußte sich an jeden Tisch setzen, überall saß er fünf Minuten und stand auf, und dann küßte er den Damen die Hände, er küßte fünfundzwanzig Hände in einer Stunde.

      Er kam auch zu mir, Zwonimir saß auch dabei und fragte ihn:

      »Sind Sie der Mann mit dem Esel?«

      »Ja«, sagte Zlotogor, ein bißchen befremdet, denn er war ein stiller Mensch, sein Element war die Lautlosigkeit, er haßte das Gepolter Zwonimirs.

      »Ein guter Witz«, lobt Zwonimir weiter und weiß nicht, daß seine laute Fröhlichkeit nicht erwünscht ist.

      Den Xaver Zlotogor konnte er allerdings nicht vertreiben. –

      Im Gegenteil: Zlotogor setzte sich und erzählte mir, daß er eine gute Idee habe. Es war jetzt keine Saison für öffentlichen Magnetismus, er wollte die Ferien ausnützen und privat magnetisieren. Im Hotel, in seinem großen Zimmer im dritten Stock. Er wollte Damen empfangen, die an Kopfschmerzen litten.

      »Prächtige Idee«, schreit

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