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auf die möglichen Gegenstände der Erfahrung durch den Verstand, sondern auf dessen Leistungsfähigkeit, auf die sie reflektiert. Diese Differenzierung ist im Auge zu halten, wenn man die »Transzendentale Dialektik« der reinen Vernunft nicht unter dem Gesichtspunkt der verstandesmäßigen Erkenntniskonstitution, sondern der regulativen Ideen der Vernunft zu begreifen hat. Denn »der Verstand mag ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgendeinen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heißen mag, und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet werden kann.«29 Dabei macht der Verstand für die Vernunft ebenso einen Gegenstand aus wie die Sinnlichkeit für den Verstand, woraus sich ergibt, daß die wissenschaftliche Rationalität in der klassischen Erkenntnistheorie einen völlig anderen Stellenwert verortet bekommt, als dies in der späteren Wissenschaftstheorie der Fall ist, in welcher dem Verstand Leistungen zugesprochen werden, die der Vernunft angehören, dabei aber nicht berücksichtigt werden. Empirismus (sensatio), Verstandesdenken (ratio) und Reflexion (intellectus) werden dabei in ein unheilvolles Durcheinander gebracht und weisen bei dieser Gelegenheit auch in ihren Resultaten die vielfältigen Verwirrungen auf, die bei hinreichender Differenzierung im Sinne Cusanus’ oder Kants entbehrlich wären. Dies läßt sich auch auf die Formel eines generellen Reflexionsverzicht in der modernen Wissenschaftstheorie des positivistischen Naturalismus bringen. Denn der Verstand und die Vernunft können zumindest bei Cusanus und Kant nach dieser Differenzierung nicht untereinander vermittelt gedacht werden. Durch ein dem Verstand selbst entsprechendes analysierend vorgehendes Aufdecken der Möglichkeitsbedingungen des analysierenden Denkens des Verstandes gilt es, die Grenzen des Verstandes zu limitieren und ihn innerhalb seiner Grenzen in seiner Möglichkeit zu begreifen. Seine Immanenz vor seiner Transzendenz zu schützen stellt eine der Hauptaufgaben kritischer Philosophie dar, die den regulativen Gebrauch der Vernunft vom diskursiven Gebrauch des Verstandes zu unterscheiden erlaubt. Demgegenüber macht Kant für die Vernunft geltend, »daß der größte und vielleicht einzige Nutzen der Philosophie der reinen Vernunft … wohl nur negativ« zu sehen ist, »da sie nämlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disziplin, zur Grenzbestimmung dient, und, anstatt Wahrheit zu entdecken, nur das stille Verdienst hat, Irrtümer zu verhüten«30. Mit diesem Verhüten von Irrtümern ist jedoch nicht gemeint, einen positivistischen Falsifikationismus zu betreiben, der selbst bereits an der Unmöglichkeit scheitert, Vorstellungen mit etwas anderem als wieder nur mit Vorstellungen zu vergleichen. Er setzt vielmehr eine Ontologie subjektunabhängiger Realität in Form von Dingen an sich voraus, wie sie nach dem aenigmatischen Denken des Cusanus und später nach Kant gerade nicht erkannt werden können. Diese Einsicht löst die philosophische Reflexion nicht auf, sondern spiegelt nur wider, daß Cusanus auch nach über 500 Jahren seine Aktualität nicht verloren hat.

      Eberhard Döring

      VORWORT DES ÜBERSETZERS

      Seitdem ich das vorher entweder ganz unbekannte oder vielfach entstellte Leben und Wirken des deutschen Kardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa nach sorgfältigem Sammeln der mir zugänglichen Quellen31 in einer Monographie (Der Kardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, Mainz 1843) zunächst nach der Seite des kirchlichen Wirkens in einem Gesamtbilde zu zeichnen versucht, hat sich die Aufmerksamkeit auch auf dessen literarische Tätigkeit, namentlich auf das philosophisch-theologische System desselben, wovon ich die Grundzüge in der Tübinger theologischen Quartalschrift, Jahrg. 1837, 2. Heft niedergelegt hatte, in erhöhtem Grade hingewendet. Dr. Clemens, damals Privatdozent in Bonn, zeigte im Jahre 1847 in einer besonderen Schrift: Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa das Verhältnis beider Philosophen zu einander, zu welchem Behufe er das System Cusas in vortrefflicher Weise in den Grundzügen darlegte. Dr. Düx, Regens des bischöfl. Seminars in Würzburg, nimmt in seiner Monographie über Nicolaus von Cusa (Regensburg 1847) auf diese lehrreiche und gediegene Schrift, obwohl ihr Inhalt schon 1844 in der Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst von Dr. Dieringer niedergelegt war, keine Rücksicht und beschränkt sich in dem Abschnitte über das literarische Wirken auf mehr oder weniger ausführliche Auszüge aus den wichtigsten Schriften des Kardinals, ohne über das System selbst, seine innere Entwicklung, über die Stellung Cusas in der Geschichte der Philosophie und der dogmengeschichtlichen Entwicklung, wovon doch die Würdigung des literarischen Wirkens in erster Linie abhängt, in irgendeine Untersuchung einzugehen. Der VIII. Band der Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien vom Jahre 1852 enthält eine sehr gute Abhandlung von Prof. Zimmermann über die Philosophie des Kardinals unter dem Titel: »Der Kardinal Nicolaus Cusanus als Vorläufer Leibnitzens«. Ritter hat in seiner Geschichte der Philosophie des Mittelalters dem philosophischen Systeme Cusas eine ausführlichere, jedoch nicht in allen Teilen genügende Darstellung gewidmet, und Staudemaier hat in seiner Dogmatik (III. Bd. 2 Abtlg. Freiburg, bei Herder, 1848) in der Lehre von Gott und der Verwirklichung der Welt an vielen Stellen auf Nicolaus von Cusa hingewiesen.

      Diese Beleuchtung einzelner Partien des in den älteren Werken über Geschichte der Philosophie von Brucker, Buhle und Tennemann gleich der ganzen Scholastik gänzlich entstellten Systems zeigen nicht nur den tiefen und reichen Gehalt der Spekulation unseres Denkers, sondern treiben von selbst dahin, diese einzelnen Beleuchtungen in einen Brennpunkt zu sammeln und das Ergebnis der neuesten Untersuchungen über diese oder jene Seite der Cusanischen Spekulation in ein Gesamtbild zusammenzufassen, welches die innere Entwicklung der cusanischen Philosophie darlegt, sodann die Stellung Cusas im Entwicklungsgange der Philosophie vor- und rückwärts beleuchtet, überdies auch den dogmatischen Auffassungen einiger wichtiger Lehrstücke der speziellen Glaubenslehre – eine bisher ganz unbeachtet gebliebene Materie – die gebührende Beachtung widmet und endlich eine Auswahl des Gediegensten aus den Predigten und religiösen Dialogen liefert.

      In der Ausführung der Hauptaufgabe, der vollständigen Darlegung des spekulativen Systems, glaubte ich aus mehreren Gründen mich nicht auf den gewöhnlichen Weg eines Referates, bei welchem der Philosoph selbst nur hie und da zum Worte kommt, beschränken, sondern von den namhaftesten Schriften eine möglichst sinngetreue Übersetzung, mit nur wenigen Auslassungen von solchen Sätzen, die bloße Wiederholungen des Gedankens sind, dem Publikum geben zu sollen. Dies dürfte gerechtfertigt erscheinen

      1. vor allem durch die bisherige mangelhafte Kenntnis des Ganzen der spekulativen Wirksamkeit Cusas, der doch an Tiefe der Gedanken sich an die besten Scholastiker des Mittelalters anreiht, an Vielseitigkeit und mannigfachen Anklängen an die neuere Philosophie sie alle übertrifft. Eine nähere Bekanntschaft mit dem Systeme Cusas aus seinen Schriften selbst ist wegen der großen Seltenheit der Ausgabe derselben (die gewöhnliche ist die Basler, ex officina Henricpetrina v. J. 1565) für die wenigsten ermöglicht.

      2. Je origineller Cusas Ideen gedacht und ausgeführt sind, desto weniger werden sie in ihrer ganzen Eigentümlichkeit durch ein bloßes Referat, wenn auch dieses mit einzelnen Stellen aus den Schriften selbst durchflochten ist, erkannt. Veranlassung, Eingang, Art der Ausführung, Schluß einer Schrift geben uns erst ein ganzes Bild und lassen uns oft nur in einzelnen hingeworfenen Bemerkungen, die man sonst nicht als eigentliche dicta probantia zu betrachten pflegt, tiefere Blicke in die ganze Geistesrichtung werfen. Mag das Referat über einen Philosophen sich noch so getreu an den Gehalt seiner Schriften anschmiegen, es ersetzt doch das Lesen derselben und die eigene Ausführung des Autors keineswegs. Deshalb geben auch die Auszüge bei Dr. Düx ein nur mangelhaftes und fragmentarisches Bild des Gedankengangs der einzelnen spekulativen Schriften. Wenn Cusa wiederholt von seinem Systeme sagt, es unterscheide sich von der zu seiner Zeit üblichen Methode des Philosophierens wie das (selbständige) Sehen vom Hören (des Überlieferten), so wird auch in der Erkenntnis seines Systems das Sehen vor dem Hören den Vorzug verdienen.

      3. Cusa hat auch der Form und Architektonik seiner Gedanken eine große Sorgfalt gewidmet. Seine Ausführungen bewegen sich nicht durch voluminöse Schriften hin, sondern sind in verhältnismäßig kleinen Abhandlungen niedergelegt, von denen jede ein eigentümliches Ganzes

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