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Herr über die Krankheit werden.«

      Das Begräbnis des kleinen Mads.

      Der kleine Mads war tot. Das erschien allen denen, die, ihn noch vor ein paar Stunden frisch und fröhlich gesehen hatten, unglaublich. Und doch war es so. Der kleine Mads war tot und sollte begraben werden.

      Der kleine Mads starb eines Morgens in der Frühe und niemand weiter als seine Schwester Aase war in der Stube und sah ihn sterben. »Hole niemand,« sagte der kleine Mads, als es zu Ende ging, und die Schwester tat, was er sagte. »Ich freue mich nur, daß ich nicht an der Krankheit sterbe, Aase,« sagte der kleine Mads. »Du nicht auch?« Und als Aase nichts erwiderte, fuhr er fort: »Ich finde, es macht gar nichts, daß ich sterbe, wenn ich nur nicht auf dieselbe Weise sterben muß, wie die Mutter und die Geschwister. Wäre das geschehen, so, glaube ich, würde es dir nie gelungen sein, den Vater zu überzeugen, daß nur eine gewöhnliche Krankheit sie hingerafft hat, aber du sollst sehen, jetzt wird es schon gehen.«

      Als alles vorüber war, saß Aase lange da und dachte darüber nach, was ihr Bruder, der kleine Mads, während er auf dieser Erde lebte, hatte durchmachen müssen. Es war ihr, als habe er alles Ungemach mit dem Mut eines Erwachsenen getragen. Sie dachte an seine letzten Worte. So tapfer war er immer gewesen. Und sie war sich ganz klar darüber, daß, wenn der kleine Mads nun in die Erde gesenkt werden würde, er mit denselben Ehren begraben werden müsse, wie ein erwachsener Mensch.

      Sie sah sehr wohl ein, daß es schwer werden würde, dies durchzusetzen, aber sie wollte es doch so gern. Sie mußte ihr Äußerstes für den kleinen Mads tun.

      Das Gänsemädchen Aase war zu jener Zeit hoch oben in Lappland bei dem großen Grubenfeld, das Malmberget genannt wird. Es war ein merkwürdiger Ort, aber es war vielleicht gerade gut für sie, so wie es war.

      Ehe sie soweit gelangt waren, hatten sie und der kleine Mads große, endlose Waldgegenden durchwandert.

      Mehrere Tage lang hatten sie weder Felder noch Höfe gesehen, nur kleine, elende Poststationen, bis sie auf einmal nach dem großen Dorf Gellivare gekommen waren. Es lag mit seiner Kirche und seinem Bahnhof, seinem Gerichtsgebäude, der Bank, der Apotheke und den Gasthäusern am Fuße eines hohen Berges, der noch jetzt zur Sommerzeit, als die Kinder dahergewandert kamen, mit Schneestreifen bedeckt war. Fast alle Häuser in Gellivare waren neu, aber sie waren gut und solide gebaut und wären nicht die Schneeflocken oben auf den Bergen gewesen und hätten die Birken nicht ganz kahl dagestanden, so würden die Kinder nicht daran gedacht haben, daß die Stadt hoch oben in Lappland lag. Und doch sollten sie nicht in Gellivare nach ihrem Vater suchen, sondern in Malmberget, das noch eine Strecke weiter nördlich lag, und dort sah es nicht so ordentlich aus.

      Das kam daher, daß, obwohl die Leute schon lange gewußt hatten, daß in der Nähe von Gellivare viel Erz zu finden sei, man erst, als die Eisenbahn vor ein paar Jahren fertig geworden, dazu gekommen war, dies richtig auszubeuten. Da strömten mehrere tausend Menschen auf einmal da hinauf, und da war Arbeit genug für sie, aber keine Häuser; die mußten sie sich dann selbst schaffen, so gut sie konnten. Einige zimmerten sich Hütten aus unbehauenen Balken, andere wohnten in Schuppen, die sie sich aus Kisten und leeren Dynamitbehältern bauten, indem sie diese wie Ziegelsteine aufeinander legten. Jetzt hatte man allmählich eine ganze Menge ordentlicher Häuser gebaut, aber der ganze Ort sah trotzdem höchst wunderlich aus. Da waren große Viertel mit schönen, hellen Häusern, aber mitten dazwischen stieß man auf ungerodeten Waldboden mit Baumstümpfen und Steinen. Da waren große, schöne Villen für den Inspektor und die Ingenieure, und da waren niedrige, komische Hütten, die aus der ersten Zeit stehen geblieben waren. Da waren Eisenbahnen und elektrisches Licht und große Maschinenhäuser; man konnte mit der Straßenbahn durch einen mit Glühlichtern erleuchteten Tunnel tief in die Berge hineinfahren. Überall herrschte ein gewaltiges Treiben, und ein Zug nach dem anderen verließ erzbeladen den Bahnhof. Aber ringsumher lag noch das große Ödeland, wo kein Acker gepflügt und kein Haus gebaut wurde, wo nichts weiter war als Lappen, die mit ihren Renntieren umherzogen.

      Nun saß Aase da und dachte darüber nach, daß das Leben hier ebenso war wie der Ort. Meistens ging es ja wohl ganz ordentlich und friedlich zu, aber sie hatte doch so mancherlei gesehen, was wild und sonderbar war. Sie hatte ein Gefühl, daß es hier vielleicht leichter sein würde, etwas durchzusetzen, was außerhalb des Gewöhnlichen lag, als an anderen Orten.

      Sie dachte daran, wie es ihnen ergangen war, als sie nach Malmberget kamen und nach einem Arbeiter fragten, der Jon Assarsson hieß und zusammengewachsene Augenbrauen hatte. Diese zusammengewachsenen Augenbrauen waren das Auffallendste in dem Äußern des Vaters. Sie bewirkten, daß sich die Leute seiner leicht erinnerten. Die Kinder erfuhren auch, daß ihr Vater mehrere Jahre in Malmberget gearbeitet hatte, jetzt aber auf die Wanderschaft gegangen sei. Es geschah oft, daß er auf die Wanderschaft ging, wenn die Unruhe über ihn kam. Wohin er gegangen war, wußte niemand, aber sie waren alle fest überzeugt, daß er in einigen Wochen wiederkommen würde. Und da sie Jon Assarssons Kinder waren, könnten sie ja, während sie auf ihn warteten, gern in der Hütte wohnen, die er bewohnt hatte. Und dann holte einer den Haustürschlüssel hervor, der unter der Türschwelle lag und ließ die Kinder hinein. Niemand wunderte sich darüber, daß sie gekommen waren, und niemand schien sich darüber zu wundern, daß ihr Vater bisweilen in die Einöde ging. Hier oben waren sie wohl daran gewöhnt, daß jeder nach seinem eigenen Kopf handelte.

      Aase war bald mit sich im reinen, wie sie das Begräbnis haben wollte. Am letzten Sonntag hatte sie gesehen, wie einer der Grubenaufseher beerdigt wurde. Er war von des Inspektors eigenen Pferden nach der Kirche in Gellivare gefahren worden, und ein langer Zug von Grubenarbeitern war dem Sarge gefolgt. Am Grabe hatte eine Musikkapelle gespielt und ein Singchor gesungen. Und nach dem Begräbnis wurden alle, die mit in der Kirche gewesen waren, zum Kaffee in die Schule geladen. Etwas Ähnliches wünschte das Gänsemädchen Aase für ihren kleinen Bruder Mads.

      Sie hatte sich schon so lebhaft dahinein gedacht, daß sie beinahe den ganzen Leichenzug vor Augen sah, aber dann sank ihr Mut wieder, und sie sagte sich selbst, daß es wohl nicht so werden könne, wie sie es wünschte. Nicht weil es zu teuer geworden wäre. Sie hatten soviel Geld zusammengespart, sie und der kleine Mads, daß sie ihm ein so schönes Begräbnis bereiten konnte, wie sie es nur wünschen mochte. Die Schwierigkeit lag darin, daß erwachsene Menschen – das wußte sie – sich nie nach einem Kinde richten würden. Sie war nur ein Jahr älter als der kleine Mads, der so klein und schmächtig aussah, wie er da tot neben ihr lag. Und sie selber war ja auch nur ein Kind.

      Die erste, mit der sie über das Begräbnis sprach, war die Krankenpflegerin. Schwester Hilma kam gleich nachdem der kleine Mads gestorben war, und schon ehe sie die Tür öffnete, wußte sie, daß es um diese Zeit vorbei sein mußte. Am vorhergehenden Nachmittag war der kleine Mads in der Nähe der Gruben umhergelaufen. Er war einem großen Luftschacht zu nahe gekommen, als gerade eine Sprengung vorgenommen wurde, und einige Steine hatten ihn getroffen. Er war ganz allein und blieb lange bewußtlos am Boden liegen, ohne daß jemand wußte, was geschehen war. Schließlich bekamen einige Männer, die unter dem Luftschacht arbeiteten, auf eine wunderliche Weise Kenntnis davon. Sie behaupteten, ein kleiner Wicht, der nicht viel größer als eine Spanne hoch gewesen, an den Rand der Grube gekommen sei und ihnen zugerufen habe, sie sollten dem kleinen Mads schleunigst zu Hilfe kommen, er liege oben vor der Grube und sei nahe daran, zu verbluten. Darauf wurde der kleine Mads nach Hause getragen und verbunden, aber es war schon zu spät. Er hatte einen so großen Blutverlust erlitten, daß er nicht mehr leben konnte.

      Als die Krankenpflegerin ins Zimmer trat, dachte sie nicht so sehr an den kleinen Mads als an seine Schwester. »Was soll ich nur mit dem armen Kinde anfangen?« fragte sie sich, »Sie ist gewiß ganz untröstlich.«

      Aber Schwester Hilma sah, daß Aase weder weinte noch klagte, sie half ihr ganz ruhig bei allem, was getan werden mußte. Die Krankenpflegerin wunderte sich sehr darüber, aber sie erhielt Aufklärung, als Aase mit ihr über das Begräbnis zu sprechen begann.

      »Wenn man mit jemand, wie der kleine Mads, zusammengewesen ist,« sagte Aase, die sich gern ein wenig altklug und feierlich ausdrückte, »so muß man vor allem daran denken, wie man ihn ehren kann. Hinterher

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