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passende Wohnung! Er hatte ja keine Ahnung. Das Wenige, das ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, war mit ihrer Ausbildung aufgebraucht. Die paar Möbelstücke, die Bilder – was brachten sie, wenn man sie verkaufen musste! Die wenigen Schmuckstücke, die ihr Patrick geschenkt hatte – Ach, auch diese würde sie nicht zur Erinnerung aufbewahren können. Aber sie brauchte ja auch nichts zur Erinnerung: Sie hatte ja Kitty, die ihm so ähnlich sah.

      Sie hörte nicht, was Konstantin alles sagte und vorschlug. Er meinte es gut. Er war ein wirklicher Freund gewesen, in all der Zeit, in der so viele sich von Patrick abgewandt hatten auf Betreiben seiner grausamen Mutter. Trotzdem: Sie wollte mit all denen nichts mehr zu tun haben. Bestimmt würde es ihm eines Tages doch zu viel werden. Nein, lieber verschwanden sie vorher aus seinem Blickfeld.

      »Ich danke Ihnen«, sagte sie wieder mit dieser tonlosen Stimme. »Aber – ich möchte jetzt allein sein.«

      »Kitty?«, fragte er besorgt.

      »Wir kommen schon zurecht«, wich sie aus und stand auf.

      »Besuchst du uns wieder?«, bat Kitty und ergriff seine Hand.

      »Natürlich«, erwiderte er hastig. »Ich – hole euch zur Beerdigung …«

      »Nein!«, stieß Daria hart hervor.

      Er zuckte zusammen. Sie hatte recht: Man würde ihr bestimmt den Zutritt in die Schlosskapelle, in der sich in dem romanischen Gewölbe unter dem Altar die Familiengruft befand, verweigern.

      »Aber ich darf in eurem Namen Blumen hinlegen?«, fragte er.

      Sie bat ihn, einen Moment zu warten. Dann kam sie mit ihrer Handtasche wieder. Er wollte abwehren, doch sie bestand darauf, ihm das Geld für die Blumen zu geben.

      »Es ist ohnehin das Geld von Patrick«, sagte sie leise.

      Erst später wurde ihm bewusst, was das bedeutet hatte.

      *

      Frau Lore Haler war eine kleine bewegliche Frau mit vogelflinken schlauen Augen. Nach ihren Bewegungen schätzte man sie auf Mitte, Ende fünfzig, wenn man ihr hageres, hartes Gesicht beurteilte, gab man ihr Anfang siebzig. Sie lag mit vierundsechzig genau dazwischen. Ihre Kleidung war unauffällig und charmelos, und man war überrascht, wenn man die Etiketten sah, wie viel Geld sie dafür ausgegeben hatte. Als sie jetzt das Versteigerungshaus betrat, begrüßte die Dame am Empfang sie höflich mit ihrem Namen.

      Frau Haler neigte mit zufriedenem Lächeln den Kopf. Ja, hier hatte man schon viel Geld an ihr verdient! Gut, wenn man sich daran erinnerte! Sie schlenderte durch die weiten Räume, in denen schöne und weniger schöne Kunstwerke und Antiquitäten zum Verkauf angeboten wurden. Eigentlich brauchte sie nichts – aber wenn sich ein Schnäppchen ergab … Das eine oder andere Bild brachte sie immer noch unter, und für Schmuck war auch noch Platz in ihrem Tresor!

      Ja, ihr lieber Mann hatte sie gut versorgt zurückgelassen.

      »Können Sie denn wirklich nicht mehr dafür bezahlen?«, drang plötzlich eine verzweifelte Stimme an ihr Ohr. »Sie sagten doch selbst, der Schätzwert liege weit höher!«

      »Das ist richtig. Aber wir setzen den Aufrufpreis immer tiefer an, damit sich die Leute dafür interessieren. Das Gemälde wird bestimmt weit höher gehen!«, war die Antwort.

      »Aber ich brauche das Geld jetzt – und nicht erst in vierzehn Tagen nach der Versteigerung«, sagte die junge Frau.

      Lore Haler war wie zufällig näher gekommen und tat, als würde sie den einen oder anderen Gegenstand in dem großen Schaukasten mit Schmuck und Silber betrachten.

      »Dann kann ich Ihnen leider nicht mehr geben«, erwiderte der für Gemälde zuständige Schätzer mit kühler Höflichkeit. »Sie wollen das Bild aus der Versteigerung herausnehmen, das bedeutet für uns einen Verlust der Prozente.« Und weil die junge Frau nichts antwortete, setzte er unfreundlich hinzu: »Überlegen Sie es sich noch einmal!«, und ließ sie stehen. Da bemerkte er Frau Haler: »Ah, Sie sind auch wieder auf der Suche nach etwas Schönem, Frau Haler«, sagte er beflissen. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

      »Danke, ich komme zurecht!«, erwiderte sie.

      »Mami, warum willst du das schöne Bild verkaufen?«, fragte eine Kinderstimme.

      Jetzt entdeckte Lore Haler neben der jungen Frau ein kleines blondes Mädchen.

      »Wir brauchen doch das Geld«, flüsterte die leise – aber Lore Haler hatte gute Ohren. Sie hatte es gehört.

      »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie anspreche«, wandte sie sich nun mit falscher Freundlichkeit an die junge Frau. Sie war gut angezogen und dazu ausgesprochen hübsch. Wieso takelte sie sich so auf, wenn sie kein Geld hatte?!

      »Mami, komm! Gehen wir!« Kitty zog ihre Mutter am Arm.

      »Das kleine Fräulein ist ungeduldig.« Lore Haler beugte sich zu ihr hinunter, und Kitty versteckte sich schnell hinter ihrer Mutter. Die Frau gefiel ihr nicht. Sie hatte ein böses Gesicht! Und so hässliche gelbe Zähne! »Aber vielleicht kann ich euch helfen.«

      »Ich weiß nicht …«, murmelte Daria verlegen.

      »Sie wollen dieses Bild verkaufen?«

      »Ja«, erwiderte Daria einsilbig. Von Wollen war keine Rede! Nichts von all den Dingen, die sie inzwischen ins Versteigerungshaus oder das Leihamt getragen hatte, hatte sie gern hergegeben. Zu viele Erinnerungen hingen daran. Aber sie hatte noch keinen Kindergartenplatz für Kitty gefunden, sodass sie ihrem Beruf hätte nachgehen können. Und auch noch keine bezahlbare Wohnung. Sie lebten in einer kleinen schäbigen Pension – und die Miete war seit zwei Wochen überfällig.

      Frau Haler sah sich das Bild genauer an. Eine Gebirgslandschaft. Ein wirklich gutes Bild. Sie verstand etwas davon. Sie schaute nach der Signatur: Carl Külpen. Der Maler war ihr ein Begriff.

      »Wie hat er es geschätzt?«

      Daria nannte leise die Summe.

      »Und was will er Ihnen dafür geben, wenn Sie es heute verkaufen?« Sie lachte spöttisch, als Daria den Betrag nannte.

      »Kommen Sie, ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein, und du kriegst ein Stück Kuchen von der Tante. Vielleicht werden wir uns ja einig.«

      Kitty wollte keinen Kuchen von dieser komischen Frau. Und Tante war die auch keine! Aber als sie versuchte, ihre Mutter wegzuziehen, fuhr die Fremde sie an: »Du folgst jetzt, Fräulein! Sie haben sie wohl zu sehr verzogen?!«

      »Nein – ich …!«, stammelte Daria hilflos, als sie ihr gegenüber in dem kleinen Café saß, das neben dem Auktionshaus lag. »Sie sehen gar nicht so aus, als bräuchten Sie Geld«, bohrte Frau Haler alles andere als taktvoll. »Falls ich ein bisschen mehr von Ihnen weiß – nehme ich das Bild zum Schätzwert. Heute.«

      »Mamiii!«, flüsterte Kitty.

      Frau Haler lächelte sie an. Es war ein böses Lächeln.

      »Such dir da vorn einen Kuchen aus!«, sagte sie. »Deine Mami und ich haben etwas zu besprechen!«

      »Kitty, folge der netten Dame!«, ordnete Daria jetzt ungewohnt streng an. Wenn die ihr den Schätzwert gab, dann war sie fürs Erste wieder aus allen Schwierigkeiten heraus!

      Kitty zog eine Schnute und rutschte unwillig von ihrem Stuhl.

      Mit wenig Worten erzählte Daria, wie sie in diese Lage gekommen war.

      »Wir wollten heiraten, aber wegen eines Erbvertrags wäre das erst in zwei Jahren möglich gewesen. Und dann ist er – verunglückt.« Sie kämpfte mit den Tränen und sah nicht, wie Lore Haler sie spöttisch musterte.

      Auch so eine, die einfach glaubte, sich mit ihrem hübschen Gesicht in bessere Kreise drängen zu können …

      »Und jetzt brauchen Sie das Geld, um die Pension zu bezahlen«, stellte sie sachlich fest.

      »Ja! Aber wenn Sie wirklich den ganzen Schätzpreis bezahlen, dann habe ich genügend Zeit, weiter nach einer Stellung

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